Stadt, Land, Klima. Gernot Wagner
Читать онлайн книгу.Je reicher diese Länder werden, desto höher klettern auch die Emissionen. Die große Frage ist: Was passiert in den reichen Ländern?
Tatsächlich: In reichen Ländern sinken die CO2-Emissionen wieder. Schweden etwa weist einerseits weniger ökonomische Ungleichheit auf, andererseits sind auch die CO2-Emissionen seit den 1970er-Jahren gesunken – von jährlich über elf Tonnen CO2 pro Person auf unter fünf. Deutschland legte einen ähnlichen Weg zurück, auch wenn dort die Emissionen noch über acht Tonnen liegen. Und in den Vereinigten Staaten sind sie heute zwar immer noch ungefähr doppelt so hoch wie in Deutschland, aber auch hier sind sie gesunken – von Höchstwerten um die 22 Tonnen CO2 pro Person und Jahr Anfang der 1970er-Jahre auf heute rund 16 Tonnen.25
Gute Nachrichten also? Nicht ganz: Die CO2-Emissionen eines bestimmten Landes sind jene, die bei der Produktion von Gütern und Dienstleistungen entstehen. Die große Frage ist: Was ist mit deren Konsum passiert? Entscheidend ist, wie viel CO2 in all den Produkten und Dienstleistungen enthalten ist, die über nationale Grenzen hinweg reisen: Welthandel eben.
Das alles zu berechnen, mit bilateralen Welthandelsdatenbanken und dem fossilen Energiegehalt dieser Waren und Dienstleistungen, bestimmte drei Jahre meines Forscherlebens während meines Doktoratsstudiums.26 Einerseits war das alles trockene Buchhaltung. Andererseits lassen sich erst mithilfe dieser Zahlen andere wichtige Fragen beantworten. Eine davon lautet: Warum existiert diese weltweite Schere zwischen CO2-Emissionen im Konsum und in der Produktion?
Eine Erklärung wäre: Reichere Länder verwenden neuere, sauberere Technologien, die weniger CO2-Emissionen verursachen. Gleichzeitig importieren reichere Länder mehr Waren, vornehmlich aus ärmeren Ländern, die mit ihren älteren, schlechteren Technologien höhere CO2-Emissionen verursachen. Das wäre die hoffnungsvolle Geschichte – hoffnungsvoll deshalb, weil fortschrittliche Technologie die Welt retten würde, sobald sie auch in bislang ärmeren Ländern Einzug hält.
Eine zweite Erklärung klingt jedoch weniger hoffnungsvoll: Es wäre natürlich auch möglich, dass reichere Länder gewisse Produkte gar nicht mehr selbst herstellen, sondern sich stattdessen auf sauberere Wirtschaftssektoren spezialisieren. Die schmutzige Schwerindustrie wandert ab – und ihre Produkte werden einfach importiert. Die reichsten Länder spezialisieren sich auf Dienstleistungen wie Finanz und Tourismus, während der Stahl aus den ärmeren importiert wird.
Welche dieser Erklärungen ist nun die richtige?
Es treffen teils beide Erklärungen zu: Reiche Länder importieren ihre CO2-Emissionen zusehends. Deutschland zum Beispiel ist in Summe ein Netto-Exporteur von Waren und Dienstleistungen, aber ein Importeur von CO2-Emissionen. Dasselbe gilt für Österreich, die Schweiz und viele andere reiche Länder. Die Vereinigten Staaten sind überhaupt Importchampion bei den CO2-Emissionen: China exportiert die meisten CO2-Emissionen, die Vereinigten Staaten importieren die meisten.
Dabei letztgültig und im Detail zu bestimmen, welcher Anteil jeweils auf den Stand der Technologie und welcher auf die Zusammenstellung der Produkte entfällt, ist äußerst schwierig. Ich selbst bin daran gescheitert. (Glücklicherweise war meine Buchhaltung alleine engagiert genug, um sie als eine von drei Studien für meine Doktorarbeit einzureichen.) Mein Antwortversuch war, technologische Fortschritte gänzlich auszuklammern und zu beobachten, ob sich die Klima-Kuznets-Kurve immer noch bewahrheiten würde. Sie tat es nicht: Ohne technologischen Fortschritt gibt es auch keine Klima-Kuznets-Kurve mehr. Technologie ist also in jedem Fall ein wichtiger Bestandteil der Geschichte.
Doch wie groß der Einfluss von Technologie wirklich ist, ist weiterhin unklar. Klar ist nur, dass beide genannten Erklärungen eine gewisse Rolle spielen – und dass am Ende der Konsum von CO2-Emissionen ausschlaggebend ist. Denn ohne Nachfrage kein Angebot: Wenn niemand die CO2-intensiven Produkte kauft, würde sie auch niemand mehr herstellen.
All dies zeigt unmissverständlich, welche entscheidende Rolle das Einkommen und der Reichtum spielen: Je reicher eine Nation ist, desto höher sind auch die durch den eigenen Konsum verursachten CO2-Emissionen.
Was für Länder gilt, das gilt selbstverständlich auch für Städte: Auch hier ist es wichtig, die gesamten CO2-Emissionen, die im Konsum enthalten sind, zu betrachten.27 Und auch hier spielen Einkommen und Reichtum eine große Rolle.
Städte ziehen Reichtum an – beziehungsweise helfen sie, ihn zu erzeugen. Die Region New York etwa, in der „nur“ rund zwanzig der insgesamt 330 Millionen Amerikaner leben, ist für fast zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes der Vereinigten Staaten verantwortlich. Für sich alleine genommen wäre es damit die zehntgrößte Wirtschaftsregion der Welt.28 Kein Wunder also, dass dort auch viele CO2-Emissionen entstehen.
Allerdings sind es besonders die Suburbs von New York, die als große Klimasünder hervorstechen. Die Stadt selbst weist relativ niedrige Emissionen auf – trotz ihres Reichtums.29 In der Stadt ist das Leben CO2-effizienter als anderswo.
Dieses Bild wiederholt sich auf der ganzen Welt – und es zeigt, wie wichtig die detaillierte Klimabuchhaltung ist. In europäischen Staaten zum Beispiel haben Großstädter im Schnitt um rund sechs Prozent höhere Einkommen als das jeweilige Umland. Gleichzeitig sind die CO2-Emissionen in vergleichbaren Haushalten – angepasst ans Einkommen – in der Stadt um sieben Prozent geringer als am Land. In Summe sind die CO2-Emissionen in der Stadt knapp niedriger als am Land.
Es wäre verlockend, das bereits als Win-win-Situation zu verbuchen: mehr Geld und (insgesamt ein bisschen) weniger CO2! Doch wie wir schon gesehen haben, geht es vor allem um das Potenzial, noch mehr zu erreichen – und zwar viel mehr.
Potenzial für: viel mehr!
Bei der Frage nach dem Potenzial könnte die Antwort nicht klarer ausfallen: Davor strotzen Städte nur so. Das gilt für Mobilität und Verkehr ebenso wie für die Gebäude – von der effizienten Flächennutzung bis zur Isolierung und der effizienten, CO2-armen Energiezufuhr.
Unsere 70-Quadratmeter-Wohnung liegt im zweiten Stock eines Hauses mit insgesamt sieben Einheiten. Das gesamte Grundstück misst nur etwa 200 Quadratmeter, einschließlich eines kleinen Gartens. Es ist ein relativ kleines Gebäude, errichtet vor fast 200 Jahren. Die Mauern sind entsprechend dick – damals wurden europäische und amerikanische Häuser noch recht ähnlich gebaut. Mittlerweile klaffen die Standards auseinander: effiziente Gebäude fast überall in Europa, während amerikanische Neubauten oft mit papierdünnen Tyvek-Schichten isoliert werden – dasselbe Material, aus dem auch Briefumschläge hergestellt werden.
Es gibt zwar regionale Ausnahmen von der Regel, dass sich Städte überall auf der Welt in dieser Hinsicht ähnlicher sind als der jeweilige Unterschied zwischen Stadt und Land – allerdings in diesem Fall leider nur auf einem einzigen Kontinent, in Europa: In Deutschland etwa werden die Gebäudestandards auf Bundesebene geregelt. Die Vereinigten Staaten dagegen sind sich in dieser Hinsicht alles andere als einig: Neubauten in New York werden noch relativ gut isoliert, sind energieeffizient und erhalten teils sogar Dachbegrünung oder Solaranlagen.30 Die New Yorker Standards kommen somit jenen in Deutschland – die dort für Stadt und Land gelten – recht nahe. Doch der Unterschied zwischen New York mit seinen strikten Regeln und den vielen ländlichen Regionen der Vereinigten Staaten, in denen es kaum solche Gebäudebestimmungen gibt, ist enorm.
Potenzial für mehr gibt es freilich auch in New York. Enormes Potenzial! Unsere eigenen allerersten Investitionen als neue Wohnungsbesitzer waren etwa: Deckenisolierung nach deutschen Passivhausstandards, eine effiziente Wärmepumpe und ein Anruf beim Energieversorgungsunternehmen, um die Gasleitung abzustellen. Der Gasherd schadet in jedem Haus sowohl dem Klima als auch der eigenen Gesundheit.31 Und in einer 70-Quadratmeter-Wohnung, wo die Distanz zwischen Küche und Kinderbetten weniger als fünf Meter beträgt, wollten wir in dieser Hinsicht lieber