Anne nimmt alle Hürden. Lise Gast

Читать онлайн книгу.

Anne nimmt alle Hürden - Lise Gast


Скачать книгу
doch heute gar kein aussichtsloser Beruf mehr!“

      „Gar nicht. Reiten ist wieder modern. Jeder sieht das“, sagte Margot eifrig. „Überall werden Reitvereine gegründet, überall Reitlehrer gesucht. Reiten ist als Gegengewicht gegen das Managertum und die Motorisierung jetzt die Masche. Außerdem gibt es wieder Gestüte, die Bereiterinnen suchen. Mein Onkel hat eins, bei Oldenburg. Der nimmt viel lieber Frauen als Männer.“

      „Natürlich.“ Anne saß auf einem kleinen Fußbänkchen, die Arme auf die Knie gestützt und die Hände um die Wangen gelegt. „Aber sag das mal Vater! Der will am liebsten, dass wir alle Beamte werden, mit Pensionsberechtigung.“

      „Ach Quatsch, dein Bruder wird doch auch Arzt, und was ist das heute für ein schwerer Beruf!“, sagte Margot. „Mein ältester Bruder studiert auch Medizin, ich weiß, wie schwer es ist, da hineinzukommen. Wenn er das durchgesetzt hat –”

      „Ja, aber Arzt ist was anderes. Das ist etwas Seriöses, und das hat es immer schon gegeben. Wenn Vater mich wenigstens jetzt Ostern mit der mittleren Reife aus der Schule gehen ließe!“, seufzte Anne. „Denn Vater als Landgerichtsrat will eben mit seinen Kindern auf Nummer Sicher gehen.“

      Dasselbe sagte in diesem Moment Annes Mutter zu ihrem Mann, freundlich, vorsichtig, auf die ihr eigene, nette Art.

      „Es gibt in jeder Generation neue Berufsmöglichkeiten. Und je weniger üblich ein Beruf ist, desto eher hat man Chancen, etwas darin zu leisten und hochzukommen“, sagte sie. „Anne ist nun einmal für die Stadt verdorben, sie gehört aufs Land. Ich fände es sehr vernünftig, wenn wir sie diese Ostern aus der Schule nähmen.“

      „Und Reitlehrerin werden ließen! Wo soll ich denn nur das Geld für so einen Wahnsinnsberuf hernehmen?“, fragte Herr Birkner aufgebracht. „Teure Ausbildung, überhaupt keine Aussichten, und wer sagt denn, dass sie sich überhaupt dafür eignet?“ Sein Gesicht war vor Zorn gerötet. „Ich finde, du solltest Vernunft annehmen und das Mädel in seinen unreifen Ideen nicht auch noch unterstützen. Lehrerin soll sie werden, das ist etwas Solides, und da kann sie auch aufs Land. Die Ausbildung ist nicht lang und verhältnismäßig billig. Dazu braucht sie aber das Abitur.“

      „Sie möchte aber gern ...“

      Vater ließ sie nicht ausreden. „Reitlehrerin! Ihr seid von allen guten Geistern verlassen!“

      Das Letzte sagte er so laut, dass man es auf dem Flur hörte. Dort gingen gerade Anne und Margot vorbei, leise, nicht um zu lauschen, sondern um das Ferkel aus dem Bad zu holen und wieder zu verpacken. Anne fasste unwillkürlich nach Margots Hand.

      Margot packte mit ihrer fest zu.

      „Still!“, flüsterte sie leise, aber energisch. „Das tritt sich alles fest, sagte Kornelius, als ich das erste Mal vom Satan sauste ...“

      Anne stand am Zugfenster, sie brachte es einfach nicht fertig, sich hinzusetzen, so kribbelte es in ihr vor Ungeduld und Spannung. Sie steckte das ganze Abteil an. Und zwei Stationen vor Lauterbach hatte sie schon die Mütze auf dem Kopf, den Mantel an, die beiden Koffer bei Fuß und die Fahrkarte in der Hand. Endlich quietschten die Bremsen.

      Der kleine Bahnhof lag friedlich und still im Schein der Aprilsonne da. Niemand außer Anne stieg aus. Sie fühlte eine plötzliche Beklommenheit und sah sich Hilfe suchend um, da winkte es auch schon beidarmig über den Zaun. So winkte nur eine: Margot. Nun war alles gut.

      „Ja, da staunst du, aber ich konnte dich doch nicht allein hier in der Landschaft stehen lassen“, sprudelte Margot hervor und stemmte die beiden Koffer auf den kleinen, leichten Wagen hinauf, „da bin ich einfach eine Stunde eher aufgestanden und hab vorgearbeitet. So was erlaubt die Königin, die ist überhaupt ein Prachtkerl. Und hier auf dem Bock, das ist der Hermann, der ist auch einer, und das hier ist Harras.“

      Sie war vorn vor das Pferd getreten und streichelte seinen Kopf. Anne grub bereits heftig in den Taschen nach Zucker.

      „Da, mein Guter, du bist das erste Lauterbacher Pferd, das ich kennen lerne. Schmeckt’s? Komm, noch einen! Ja, brav bist du.“

      „Gib ihm nur reichlich, er verdient’s“, sagte Margot. „Er bekommt das Gnadenbrot und tut nur noch Gelegenheitsdienste.“

      Sie kletterten auf den Wagen, und Harras zog an. Margot redete drauflos, unbekümmert um Hermann, der sich zuweilen schmunzelnd nach den beiden „Frolleins“ umsah. Anne holte tief Luft.

      „Margot, ich freu mich so!“

      „Und ich erst! Nun erzähl! Ging alles glatt? Niemand was gemerkt?“

      „Du meinst, meine Eltern? Nein, wie sollten sie? Sie wissen ja nur, dass Lauterbach eins der besten Lehrgüter ist, auf dem man alles lernt, was nötig ist, wenn man landwirtschaftliche Lehrerin werden will oder ...“

      „Oder etwas ganz anderes“, vollendete Margot und lachte.

      „Du hast doch nicht etwa – du hast doch Frau König nicht etwa gesagt ...“

      „Dass du eigentlich Reitlehrerin werden willst? Oder Bereiterin? Nein, das hab ich nicht gesagt“, sagte Margot und lachte noch mehr, „das ist auch vollkommen überflüssig. Das sieht sie dir nämlich an der Nasenspitze an, auf den ersten Blick. Die Königin sieht alles, verlass dich drauf.

      Aber sie hat nichts dagegen. Das ist nämlich ihr Geheimnis, ihr Trick, stets die besten Lehrlinge zu haben.“

      „Das versteh ich nicht“, sagte Anne langsam.

      „Glaub ich, aber wart nur ab. Zunächst sind wir erst mal da, das ist das Gut! Komm, ich bring dich in unser Zimmer. Die beiden andern Neuen sind schon gestern angekommen, jetzt sind wir vollzählig. Los, hopp, in zehn Minuten läutet’s zu Mittag, und vorher sollen wir noch zur Königin kommen.“

      Sie liefen die Treppe hinauf. Am Ende des Ganges nach Süden zu mit einem wunderschönen Blick auf den Garten hinaus lagen die beiden Lehrlingszimmer. Margot, die schon ein halbes Jahr hier als Lehrling tätig war, riss die Tür auf und schob Anne hinein. Von nebenan hörte man auch eifriges Schwatzen.

      „Sind sie genießbar?“, fragte Anne und deutete, während sie ihr Kleid zuknöpfte, mit dem Kopf nach dem Nebenzimmer.

      „Ich hoffe. Herta sieht tüchtig und vernünftig aus, sie stammt von einem größeren Gut. Erika ist aus der Stadt, schmächtig, aber nicht dumm, soviel ich mitgekriegt habe. Soweit man das sagen kann von jemandem, der aus der Stadt ist ...“

      „Du“, drohte Anne, „ich bin schließlich auch ...“

      „Ach Quatsch bist du“, lachte Margot, „wie lange warst du in Neuhausen? Na? Drei Jahre und alle Ferien. Ich glaube, das genügt. Ach Anne, schön war das damals!“

      „Ja.“ Anne lachte auch. Es waren die bisher schönsten Jahre ihres Lebens gewesen, diese drei Jahre auf dem Dorf bei den Großeltern. Von da stammte auch ihre Liebe zu den Pferden.

      Die musste allerdings schon in ihr gesteckt haben, so etwas kommt nicht von außen, von einem zufälligen Aufenthalt auf dem Land. Großvater war auch ein begeisterter Reiter, und unter seinen Ahnen gab es viele Landwirte. Vater war ein bisschen aus der Art geschlagen mit seinem Beruf, fand sie im Stillen, wie überhaupt jeder Beruf, der nicht mit Pferden zu tun hatte, für sie im Grunde gar nicht zählte. Margot hatte andere Pläne.

      „Ich will die Landwirtschaft von allen Seiten lernen“, sagte sie, „ich übernehme das Gut doch einmal. Heinz will Forstmann werden und Helmut Arzt. Aber reiten tu ich natürlich mit.“

      Anne fragte sofort wieder, sooft sie es in letzter Zeit, sobald sie mit Margot zusammen war, auch schon gefragt hatte:

      „Gibt es denn so was? Weißt du auch bestimmt, dass Frau König es auch dies Jahr erlaubt?“

      „Komm, los, es läutet. Pünktlichkeit wird hier groß geschrieben!“, sagte Margot statt aller Antworten und fegte hinaus. Eben ging auch die Zimmertür von nebenan auf, und zu viert liefen sie die Treppe hinunter, standen dann zu viert – denn Margot pochte nicht auf ihr Recht


Скачать книгу