Anne nimmt alle Hürden. Lise Gast

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Anne nimmt alle Hürden - Lise Gast


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hat euch sicher schon manches erzählt. Aber es ist vielleicht trotzdem gut, dass ich in kurzen Zügen alles noch einmal wiederhole. Spitzt die Ohren, ich sage nicht gern etwas zweimal, das könnt ihr euch als allererstes merken.

      Um es gleich vorwegzunehmen: Ja, ihr dürft reiten lernen. Ich habe es immer erlaubt, weil ich selbst als junges Mädel leidenschaftlich gern ritt. Und mein Bruder tut euch den Gefallen, er tut es – um euch gleich auch dieser Sorge zu entheben – unentgeltlich, nicht nur, um, wie er sagt, seine Pferde zu bewegen, sondern weil er große Freude an reitender Jugend hat, an männlicher und weiblicher. Wenn ihr also die elterliche Erlaubnis erhaltet und den kleinen Versicherungsbeitrag aufbringt, steht dem Reiten nichts im Wege.“

      „Erzählt mir nicht“, sie lächelte flüchtig, was ihrem festen, gesunden Frauenantlitz gut stand, „dass ihr nicht deshalb hergekommen seid! Ich habe bisher nur Lehrlinge gehabt, die um des Reitens willen kamen, und bin mit allen gut ausgekommen. Bitte merkt euch aber: Ihr müsst es euch verdienen. Ich kann nicht dulden, dass auch nur eine einzige euch anvertraute Arbeit vernachlässigt wird, weil ihr reitet. Ich verlange äußerste Pflichterfüllung, und zwar von euch allen. Wenn sich eine von euch keine Mühe gibt, entziehe ich euch allen die Erlaubnis zu reiten. Verstanden?“

      Alle vier nickten. Allen vieren klopfte das Herz: Werde ich auch alles können, was von mir verlangt wird?

      „Gut.“ Die Königin lächelte wieder, und ihre Stimme klang mild und gut: „Es ist kein Meister vom Himmel gefallen, das weiß ich auch. Ich merke sehr gut, wer den guten Willen hat und wer nicht. Fehler können immer mal unterlaufen. Vertuscht sie nicht, sondern versucht, daraus zu lernen. Helft euch gegenseitig und habt Vertrauen zu mir, das ist die beste Grundlage. So, das wär’s. In der ersten Woche wird noch nicht geritten. Schreibt hübsch nach Hause um die elterliche Erlaubnis zum Reiten. Ohne die darf euch mein Bruder nicht unterrichten. Durch den Betrieb gehen wir heute Nachmittag.“

      Anne wagte bei der Mahlzeit kaum aufzublicken. Es war alles so neu für sie und viel schwieriger, als sie es sich eigentlich vorgestellt hatte. Würde sie es schaffen?

      „Sieh mal, wenn man nun ausgesprochen dumm ist, ungeeignet für die Landwirtschaft“, sagte sie nachher verzagt zu Margot, als sie in ihr Zimmer gingen, „Landwirtschaft ist kein Kinderspiel, das wenigstens weiß ich genau. Landwirtschaft ist etwas ungeheuer Kompliziertes, Weitgreifendes – und wenn nun einer das nicht begreift, dürfen wir alle nicht reiten.“

      „Ach, was heißt dumm. Zu lernen ist das doch alles“, sagte Margot mit der Unbekümmertheit des geborenen Landkindes, „und sie sagt ja ausdrücklich, wenn wir uns Mühe geben.“

      „Aber wenn man zu schwach ist? Es gibt doch Mädel ...“

      „Du meinst Erika? Ja, zum Bäumeausreißen sieht sie nicht gerade aus“, sagte Margot, „aber dann helfen wir ihr eben. Das hat die Königin doch ausdrücklich erlaubt.“

      „Hm.“ Anne sah nachdenklich vor sich hin. „Du, ich glaube, die Königin ist furchtbar gescheit“, sagte sie auf einmal aus tiefstem Herzen. Margot lachte los.

      „Du merkst auch alles. Geht dir ein Licht auf, warum die Lauterbacher Lehrlinge immer so gut in der Prüfung abschneiden?“

      Aller Anfang ist schwer. Anne merkte das sehr genau. Sie, der doch ein landwirtschaftlicher Betrieb nichts Neues war, die mit Margot Scheunen und Ställe, Keller und Böden, Wirtschaftsgebäude und Gärten durchstreift hatte, von Feldern und Koppeln nicht zu reden, sie stand doch bange und den eigenen Fähigkeiten misstrauend davor, von nun an selbst ein Rad im Getriebe zu sein. Es gab vier Abteilungen für Lehrlinge: die Milchwirtschaft, das Geflügel, die Herrschafts- und die Leuteküche. Dazu kam die gemeinsame Gartenarbeit unter Anleitung des Gärtners, die allmonatliche Hauswäsche, gelegentlicher Einsatz auf dem Felde. „Mein Gott, wie sollen wir das alles schaffen“, sagte Erika, als der Rundgang beendet war.

      „Keine Bange, bis jetzt habe ich es mit den Mädeln immer geschafft“, sagte Frau König lächelnd. „Ich denke, wir teilen ein wie folgt: Herta, Sie übernehmen unsere Küche und Erika die Verpflegung der Leute. Im Allgemeinen wird in beiden Küchen dasselbe gekocht, ausgenommen, wenn Jagd ist, Besuch kommt oder Prüfungen stattfinden. So können Sie sich gegenseitig an die Hand gehen. Margot übernimmt das Geflügel, das ist jetzt im Frühjahr bei den vielen Jungtieren die schwierigste Aufgabe, und Anne wird Milchmamsell. Beim Buttern helfen Sie ihr, Margot, überhaupt lernen Sie Anne an. Dafür können Sie sich Anne als Hilfe nehmen, wenn Sie Brennnesseln holen gehen, wir brauchen jetzt viele; jeden Tag.“

      Margot nickte vergnügt. Besser konnte es gar nicht passen. Die Königin schien die Zimmerbelegung auf die Arbeiten zu übertragen. Stets war es am besten so gewesen, dass die beiden Küchenlehrlinge einerseits und die Geflügel- und Milchlehrlinge andererseits miteinander arbeiteten.

      „Ich hab mich darauf fast genauso gefreut wie auf das gemeinsame Reiten“, sagte Margot, „reiten ist wunderbar, aber zusammen schuften auch. Wenn man morgens zum Kükenstall hinausläuft, und alles ist noch nass und so frisch vom Tau, das ist herrlich. Oder das Sausen der Zentrifuge – na, du wirst ja alles selbst erleben. Jetzt komm, ich muss noch rasch das Futter für morgen früh hereinholen, das macht man besser zu zweit. Dafür helfe ich dir, die Deputatmilch auszugeben. Da denkt der Anfänger immer, er lernt es nie. Aber in vier Wochen kennst du jede Milchkanne und jeden Krug. Von den Gesichtern unserer Leute ganz zu schweigen.“

      „Meinst du?“, fragte Anne zaghaft.

      „Natürlich, das hat noch jede gelernt. Komm, hier liegt der Nachweizen, den bekommen die Küken als Frühstück. Wenn du dich hier schon ein bisschen auskennst, ehe du verantwortliche Hühnermutter wirst, fällt es dann leichter. Hier, das ist der Schlüssel.“

      Anne griff mit zu, spitzte die Ohren und sperrte die Augen auf. Nachweizen, angekeimte Gerste, Kartoffelflocken, Rüben, gewärmtes Trinkwasser – es schwirrte ihr im Kopf. Sie bewunderte Margot, die so tat, als sei das alles kinderleicht, und bemühte sich, so viel wie möglich zu behalten. Nachher gingen sie miteinander hinüber zum Milchgewölbe. Margot erklärte Anne die Handhabung der Zentrifuge. Schon klapperten die Holzpantoffeln der beiden Melker im Vorraum. Margot riss die Tür auf. Dröhnend setzten die Männer den Riesenbottich mit Milch ab.

      „Schönen Dank. Großartig, dass ihr so zeitig kommt!“, rief Margot vergnügt. „Hier ist ein neuer Milchlehrling, Anne Birkner, und das sind unsere beiden Cowboys. Die schaffen die schwerste Arbeit von uns allen auf dem Gut, von früh um drei an, auch im Winter, Anne, davor müssen wir uns alle verstecken.“

      „Na, na, Fräulein Margot“, brummte der ältere der beiden Männer stolz-bescheiden. Beide gaben Anne die Hand – Pranken waren es eigentlich, riesige, bärenstarke, hornharte Pranken.

      „Stimmt das?“, fragte Anne nachher. „Ich meine, das mit der schweren Arbeit?“

      „Ja, das stimmt“, sagte Margot. „Melker ist ein sehr schwerer Beruf, und das soll man anerkennen. So, und jetzt können wir die Zentrifuge laufen lassen, hier, siehst du, das ist der Schalter.“

      Am Abend saßen sie noch ein bisschen zusammen auf dem Fensterbrett ihres Zimmers, ehe sie schlafen gingen. Anne hatte die ganze Zeit über das Reiten mit keinem Gedanken streifen können, so sehr hatte die neue Arbeit sie in Anspruch genommen. Es gab so unendlich viel Neues, Schwieriges und Wichtiges – und Margot war, trotz aller Munterkeit und Lachlust, ein sehr strenger Lehrmeister.

      Sie ließ nichts durchgehen, das hatte Anne schon gemerkt. Jetzt kamen sie wieder auf ihr Lieblingsthema, die Pferde, zurück.

      „Also schreib an deine Eltern, dass sie es gestatten sollen. Schreib, wir hätten die Möglichkeit, bei Frau Königs Bruder unentgeltlich Reitstunden zu nehmen. Wie oft, das brauchst du nicht gerade hinzumalen. Außerdem wissen wir das wirklich selbst noch nicht. Im Sommer werden wir nämlich oft verzichten müssen, wenn es dringende Arbeit auf dem Feld gibt.“

      Anne setzte sich an den Tisch und begann zu schreiben. Margot blieb auf dem Fensterbrett sitzen und rauchte eine Zigarette. Draußen rauschten die großen Bäume des Parks. Anne vergaß diesen ersten Abend in Lauterbach nie. Er war so ein bewusster


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