Im sexten Himmel. Michael Marburg

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Im sexten Himmel - Michael Marburg


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      „Sie riskieren eine zu große Lippe, Neubert“, sagte Herr Schober ungehalten. „So was wie Sie können wir hier nicht gebrauchen. Verlogen, faul und auch noch aufsässig.“

      „Lecken Sie mich am Arsch“, schlug Martin Neubert vor, öffnete die Tür, trat ins Vorzimmer und drosch die Tür wieder ins Schloß.

      Gleich neben der Tür saß eine sehr elegant aussehende Dame, die Chefsekretärin. Sie musterte Martin herablassend-neugierig.

      „Hat es etwas gegeben?“ fragte sie süßlich.

      „Er hat dauernd an seinen Eiern gespielt“, schleuderte Martin ihr ins Gesicht, „und sowas kann ich nicht leiden.“

      Die Dame wurde blaß. Vielleicht wußte sie gar nicht, welche Eier Martin meinte. Martin ließ sie mit ihren Zweifeln allein und ging.

      Er stand wieder auf der Straße. Bildlich und tatsächlich. Die Sonne schien noch immer, die Röcke der Mädchen waren genau so kurz wie gestern, nur war Martins Welt über Nacht ins Wanken geraten.

      Er schob die Hände in die Taschen und schlendertedavon. Wenigstens habe ich es diesem Ekel ordentlich gegeben, dachte Martin wütend. Diese arrivierten Schweine stekken doch alle unter einer Decke, einer schiebt dem anderen die Aufträge zu, sie verabreden ihre Honorare und nehmen die Bauherren aus, daß es nur so kracht. Dafür lassen sie sich in der Öffentlichkeit bewundern, geben die Arbeit ihrer angestellten Architekten als die eigene aus und kriegen obendrein noch Verdiensthonorar. Es sei denn, es fällt ihnen mal was ein. Natürlich keine eigene Idee, sondern ein Bauwerk.

      Na gut, dachte Martin Neubert weiter, es war Unsinn gewesen, zu Neumann &. Schober zu gehen. Ein paar Nummern kleiner reichten auch. Denn schließlich konnte Dr. Winter nicht sämtliche Architekten dieser Stadt gegen Martin aufhetzen, und außerdem waren für ihn die „kleinen Kacker“, wie er seine nicht ganz so aufgeblähten Kollegen nannte, gar nicht existent.

      Holla — da befand sich ja ein Schild neben einem Hauseingang, das auf das Vorhandensein eines Kollegen hinwies. Hans Dreber. Nie gehört. Also rein.

      Das Architektenbüro befand sich in der fünften Etage. Es war klein, bestand aus dem Arbeitszimmer des Chefs und einem Vorzimmer. Im Vorzimmer saß ein rothaariges kleines Biest von höchstens zweiundzwanzig Jahren.

      Als Martin Neubert anklopfte und gleich darauf eintrat, machte das Mädchen eine hastige Bewegung. Es klappte die Schenkel zusammen und zerrte den Rock darüber. Die hat gerade an sich herumgespielt, dachte Martin amüsiert. Dazu paßte auch, daß das Gesicht des Mädchens gerötet war. Tut mir leid, daß ich dich gestört habe, Mieze, dachte Martin weiter, aber Dienst ist nun mal Dienst. „Ich heiße Neubert und bin Architekt“, sagte Martin freundlich. „Kann ich mit dem Kollegen Dreber sprechen?“

      „Tut mir leid. Der Chef ist auf der Baustelle.“ Die Rothaarige lächelte zurück und strich eine Strähne ihres Haares aus der Stirn.

      Auf der Baustelle. Martin wußte genug. Der arme Kerl hatte im Moment nur ein einziges Objekt laufen. Der konnte einen Mitarbeiter ganz gewiß nicht gebrauchen. „Dann schaue ich ein anderes Mal wieder rein“, grinste Martin und versuchte, einen Blick auf die Beine des Mädchens zu erhaschen, aber das gelang ihm nicht, weil die unter dem Schreibtisch steckten.

      „Wie Sie wünschen … “

      Martin wandte sich zur Tür. Die Tür ging auf — Hans Dreher kam herein. Mit Dreck an den Schuhen und einer genialen Haarlocke in der Stirn. Außerdem mit langen Haaren im Nacken. Die Cordjacke war giftgrün, die Hose braun.

      Ein Künstler, dachte Martin.

      „Das ist Herr Neubert, Chef“, sagte die Rothaarige. „Er ist ein Kollege und wollte mit Ihnen sprechen.“

      „Freut mich, freut mich“, meinte Dreber mit unerwartet hoher Stimme. „Kommen Sie, kommen Sie.“

      Er ging in sein Arbeitszimmer, in dem es aussah wie auf einem Schlachtfeld, und deutete großzügig auf einen Stuhl, der mit Fachzeitschriften bedeckt war. Martin räumte sie zur Seite und setzte sich.

      Dreber stand in Denkerpose vor ein paar Entwürfen, die an der Wand hingen.

      „Also schießen Sie los, schießen Sie los“, sagte er und wandte sich seinem Besucher zu.

      „Ich bin gekommen, um Sie zu fragen, ob Sie einen Mitarbeiter gebrauchen können“, erklärte Martin und schlug die Beine übereinander.

      „Einen Mitarbeiter?“ Dreber strich die Locke aus der Stirn, aber sie fiel gleich wieder zurück. „Tut mir leid, mein Bester, ich arbeite grundsätzlich allein“, erwiderte Dreber. „Ich dachte es mir bereits. Vielleicht kennen Sie aber zufällig einen anderen Kollegen, der einen Mitarbeiter sucht?“

      „Warum versuchen Sie es nicht bei Neumann & Schober?“

      „Von dort komme ich gerade.“

      „Und?“

      „Da gibt es ein paar Nasen, die mir nicht gefallen“, log Martin.

      „Kann ich mir denken, kann ich mir denken“, sagte Dreber. Er sagte vieles zweimal. „Nee, tut mir leid, aber ich weiß keinen anderen.“

      „Tja, dann will ich mal wieder“, meinte Martin und erhob sich.

      „Ich bin vor allem künstlerisch tätig, verstehen Sie?“ sagte Dreber. „Auf diesem Gebiet gibt es nicht so viele Möglichkeiten für einen Architekten. Daher komme ich gerade eben über die Runden.“

      „Ich verstehe.“

      „Sind sie schwul?“ fragte Dreber plötzlich.

      „Schwu … — nein … “

      „Dann passen wir schon gar nicht zusammen“, sagte Dreber, als sei es ganz selbstverständlich, einen solchen Punkt mit einem Fremden zu erörtern. „Ich bin’s nämlich und möchte bei der Arbeit so viel Freude wie möglich haben.“ „Das verstehe ich“, grinste Martin. Er dachte an die kleine Rothaarige draußen vor der Tür. Jetzt verstand er, weshalb sie sich mit sich selbst beschäftigen mußte. Bei einem schwulen Chef …

      „Es würde mich trotzdem freuen, wenn Sie was finden, wenn Sie was finden“, sagte Dreber, ließ seine Locke fliegen, abermals vergeblich, und hatte den Besucher bereits vergessen.

      Martin ging.

      Die Rothaarige lächelte ihn fragend an. Jetzt sah Martin ihre Beine doch, weil sie sich ein wenig zur Seite gedreht hatte. Die Beine waren für Martins Geschmack etwas zu dünn.

      „Leider sehen wir uns nie wieder“, sagte Martin zu ihr. „Das ist aber schade“, erwiderte sie.

      „Mir tut’s auch leid. Leben Sie wohl.“

      „Sie auch.“

      Martin ging zur Tür und öffnete sie. Er trat hindurch und steckte den Kopf noch einmal in den Raum.

      „Vielleicht wechseln Sie mal die Stelle, Mädchen, damit Sie nicht so große Not leiden wie hier“, lächelte er.

      „Wie meinen Sie das?“

      „Do it yourself ist manchmal ganz schön, aber auf die Dauer nicht das Wahre“, grinste Martin und verschwand. Die Kleine bekam ein rotes Gesicht, fast so rot wie ihr Haar.

      Nachdem Martin noch drei weitere Kollegen besucht hatte, ohne Erfolg, war der Tag um, und Martin hatte die Nase voll.

      Er ging nach Hause. Seine Wohnung war klein, vierzig Quadratmeter, dreihundert Mark Kaltmiete. Ein Wucher war das, aber dafür gehörte die Wohnung wenigstens nicht Dr. Winter.

      Martin legte sich auf die Couch im Wohnzimmer, die schon so manche schöne Schlacht erlebt hatte. Er dachte nach. So was konnte nie schaden, meinte er.

      Daß ich heute keine neue Stelle gefunden habe, ist ein reiner Zufall, das ist klar. Morgen klappt es bestimmt. Aber was kommt dann?

      Dann kommen


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