Ulrike das schwarz Schaf im Internat. Marie Louise Fischer
Читать онлайн книгу.So wurde noch eine ganze Weile über das Für und Wider der Beteiligung an einem Schikurs geredet, bis sich die Gruppe auflöste.
Ulrike war eine der ersten, die die Treppe zu ihrem Zimmer hinaufging.
Gaby Reitmann lief ihr nach. Vor lauter Eifer nahm sie immer zwei Stufen auf einmal. „Ich muß sofort nach Hause schreiben“, sagte sie atemlos, als sie Ulrike erreicht hatte. „Meine Eltern sind bestimmt einverstanden; fragt sich bloß, ob mein großer Bruder mir seine Schier leiht. Du machst doch auch mit, was?“
„Ich denke gar nicht daran“, gab Ulrike hochmütig zurück.
„Ja, aber warum denn nicht?“ Vor lauter Staunen vergaß Gaby weiterzugehen und blieb mitten auf der Treppe stehen.
„Weil ich sehr froh sein werde, wenn ich Fräulein Faust einmal vierzehn Tage lang nicht zu Gesicht bekomme!“
„Bloß weil ,Gretchen’ die Kurse leitet? Also hör mal, sei kein Frosch, was kann die dir denn schon antun?“
„Nichts.“
„Na also! Dann …“
Ulrike fiel ihr ins Wort. „Kennst du mich eigentlich immer noch so wenig? Ich habe nicht die geringste Lust, mir beim Schifahren die Haxen zu brechen. Du solltest doch schon langsam gemerkt haben, daß ich nicht der sportliche Typ bin!“
„Stimmt“, gab Gaby ohne weiteres zu, „aber Schi fahren ist doch schließlich etwas anderes als Turnen! Ich habe da mal einen Film gesehen …“
„Bitte, Gaby, verschone mich!“
Gaby war nicht im geringsten beleidigt. „Wie du willst“, sagte sie, „bloß, ich hätt’s puffig gefunden, wenn du mitgemacht hättest.“
Plötzlich hatte Ulrike eine Sekunde edler Selbsterkenntnis. Sie spürte eine beschämende Verwunderung darüber, daß Gaby immer noch zu ihr hielt, obwohl sie sich selber doch alles andere als freundschaftlich ihr gegenüber verhielt, oft sogar mehr als unausstehlich war.
„Sei mir nicht böse“, sagte sie versöhnlich, „aber ich passe nun einmal nicht zu so was. Ich würde bloß den ganzen Kurs aufhalten und euch anderen den Spaß verderben. Glaub mir, es ist viel besser, wenn ich hier bleibe. Aber ich werde dir beide Däumchen halten, daß es bei dir klappt.“
„Tu das“, sagte Gaby rasch getröstet, „ich kann’s brauchen!“
Es war gar nicht so einfach, Traudel Simson zu finden.
Katja suchte das ganze Internatsgebäude ab. Ohne Erfolg. Traudel war weder auf ihrem Zimmer noch in der Bibliothek, im Park oder in einem der Versammlungsräume der einzelnen Klubs. Schließlich bekam Katja heraus, daß Traudel ins Dorf gegangen war – als Chefredakteurin der Internatszeitung durfte sie das jeder Zeit, ohne die für jeden anderen erforderliche Sondererlaubnis einzuholen.
Katja blieb nichts anderes übrig als zu warten. Erst war sie darüber sehr ärgerlich, dann aber kam sie zu der Einsicht, daß ein Aufschub auch seine guten Seiten hatte. So hatte sie Gelegenheit, sich zurechtzulegen, was sie sagen wollte, und ihren Zorn verrauchen zu lassen.
Sie erwischte Traudel Simson erst nach dem Abendessen, als die Schülerinnen aus dem Speisesaal in ihre einzelnen Häuser zurückströmten. Sie machte sich an Traudel, die in einer Gruppe größerer Mädchen den Hof überquerte, heran.
„Du, Traudel, hast du fünf Minuten Zeit für mich?“
„Was gibt’s?“ fragte Traudel, die sich aus der Unterhaltung gerissen fühlte, nicht eben erfreut.
„Könnten wir irgendwo in Ruhe sprechen?“
Traudel zögerte eine Sekunde. Dann sagte sie; „Na schön. Komm mit auf mein Zimmer.“
Katja wartete ab, bis Traudel sich von ihren Freundinnen verabschiedet hatte. Dann lief sie hinter ihr her nach oben. Traudel riß die Tür zu ihrem hübschen Zweibettzimmer auf, das sie zusammen mit der gleichaltrigen Henny Pfeiffer bewohnte. Katja stellte mit Erleichterung fest, daß Henny noch nicht da war.
„Es ist wegen Ulrike“, sagte sie, „Ulrike Moeller.“
„Ah, ja?“ sagte Traudel nicht besonders interessiert und hängte ihren Mantel auf einen Bügel.
„Ich bin mit ihr heute in der Ausstellung des Mal- und Zeichenklubs zusammengestoßen …“
„Da hatte ich sie hingeschickt. Sie soll drüber schreiben.“ Traudel setzte sich in einen der Korbsessel, streckte die Beine weit von sich.
„Findest du das wirklich richtig?“ fragte Katja.
„Was?“
„Daß du ausgerechnet Ulrike mit so etwas betraust?“
„Warum nicht? Ich hielt sie dafür sehr geeignet. Oder stimmt’s etwa nicht, daß sie im Kunstunterricht ganz vorne liegt?“ „Doch“, mußte Katja zugeben.
„Na, also“, sagte Traudel. „Sonst noch was?“
Katja begriff, daß Traudel dieses Gespräch so rasch wie möglich zu beenden wünschte. Aber sie war nicht bereit, sich abwimmeln zu lassen. „Darf ich mich setzen?“ fragte sie. „Bitte …“
„Glaub nicht, daß ich dich gern mit diesen Dingen belästige. Aber ich mache mir große Sorgen um Ulrike.“ Traudel lachte. „Das wundert mich nicht. Du bist ja berunmt für dein Talent, dir um andere Leute Sorgen zu machen. Aber laß man, meines Erachtens ist Ulrike ganz in Ordnung.“
„Das würdest du nicht sagen, wenn du sie so gut kennen würdest wie ich! Was sie da heute in der Ausstellung verzapft hat … so etwas von Überheblichkeit war noch nie da! Und das Schlimmste ist, sie wird ihre Kritik genau in diesem Ton abfassen.“
„Deshalb machst du dir Gedanken?“ fragte Traudel erstaunt. „Selbstverständlich wird der Artikel gründlich redigiert, bevor er in Satz geht … aber abgesehen davon kann ein bißchen Pfeffer gar nicht schaden. Mir ist das jedenfalls lieber, als diese zuckersüßen Sachen, die wir immer wieder eingereicht bekommen.“
„Aber das ist doch himmelschreiend!“ sagte Katja, die die Geduld zu verlieren begann, aufgebracht. „Daß ausgerechnet jemand wie Ulrike, die außer der reinen Schularbeit überhaupt nichts leistet, sich getraut, über die anderen herzuziehen! Und du unterstützt das auch noch!”
„He, he! Nun mal langsam! Wer hat denn dieses Wunderkind bei uns angeschleppt?“
„Stimmt, das habe ich getan“, erwiderte Katja hitzig, „weil ich hoffte, daß dadurch ihr Interesse an der Gemeinschaft geweckt würde …“
„Hat es ja auch getan“, sagte Traudel. „Wenn du bei unseren Sitzungen dabeisein könntest, würdest du mit Vergnügen feststellen, wie sehr sie an allem, was auf Burg Hartenstein geschieht, Anteil nimmt.“
„Aber auf die ganz falsche Weise. Sie macht nirgends mit, sondern sie fühlt sich über alles erhaben. Glaub mir doch, Traudel, sie wird von Tag zu Tag überheblicher!“ „Das kann ich beim besten Willen nicht finden“, sagte Traudel ungläubig, „auf unseren Redaktionssitzungen benimmt sie sich durchaus manierlich.“
„Ja, weil ihr alle wesentlich älter seid als sie! Weil es ihr schmeichelt, mitmachen zu dürfen, weil sie euch vielleicht sogar bewundert! Aber den Gleichaltrigen und den Jüngeren gegenüber benimmt sie sich schauderhaft.“
Traudel trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. „So eine Zeit hat wohl jede von uns einmal durchgemacht!“
„Aber dann hat uns niemand auch noch Oberwasser gegeben! Ganz im Gegenteil! Wir sind so eingedeckt worden, daß uns die Flausen sehr rasch vergangen sind.“
„Na ja, vielleicht hast du recht“, mußte Traudel zugeben, „aber du kannst nicht von mir verlangen, daß ich sie zusammenstauche, so lange sie nicht mir persönlich oder der Redaktion Anlaß zu Beschwerden gibt.“
„Entlasse