Ulrike das schwarz Schaf im Internat. Marie Louise Fischer
Читать онлайн книгу.Aber damit nicht genug. Beide Tanten hatte zusammengelegt, um Ulrike eine neue Schihose und einen zünftigen Anorak zu kaufen.
Ulrike war wie vor den Kopf geschlagen. Sie hatte das beklemmende Gefühl, daß alles sich gegen sie verschworen hatte. Eine Woche lang lief sie mit tragischer Miene herum, und ihr Gesicht hellte sich keineswegs auf, als die Namen der Schülerinnen am Schwarzen Brett angeschlagen wurden, die ins Allgäu fahren durften.
„Jubel, Jubel!“ schrie Gaby Reitmann begeistert. „Uli, Menschenskind, hast du Worte? Wir beide sind dabei! Ist das nicht knallig?!“
„Spar dir deinen Atem“, gab Ulrike kühl zurück, „du wirst ihn noch nützlicher verwenden können!“
Gabys Begeisterung war nicht zu dämpfen. „Ich bin einfach platt!“ rief sie. „Daß der alte ,Eisenbart’ mich mitfahren läßt … also, ganz ehrlich, ich hatte es kaum zu hoffen gewagt!“ Ulrike zuckte die Achseln. „Na, wenn schon“, sagte sie verdrossen.
Sie hatten den Anschlag gelesen, als sie, wie stets in der letzten Minute, zum Speisesaal in das Hauptgebäude hinüber rasten. So blieb ihnen keine Zeit mehr, das Thema ausgiebig zu erörtern, sondern sie mußten sich beeilen, daß sie nicht zu spät kamen. Gerade noch rechtzeitig konnten sie auf ihre Plätze an der langen Tafel schlüpfen.
Erst als die Suppe aufgetragen worden war – Ulrike hatte inzwischen gelernt, sie zu essen, wenn sie es auch immer noch, wie am Anfang, mit deutlich zur Schau gestelltem Widerwillen tat –, brachte Gaby das Gespräch wieder in Gang. Sie saßen sich gegenüber, so daß sie sich trotz des Stimmengewirrs ringsum ganz gut miteinander unterhalten konnten.
„Warum hast du mir gar nichts davon gesagt, daß du dich gemeldet hast?“ fragte sie. „Und warum hast du es überhaupt getan, wenn es dich jetzt nicht freut?“
„Höhere Gewalt“, erwiderte Ulrike kurz angebunden.
Gaby vergaß vor Staunen den Löffel voll Suppe, den sie schon in Brusthöhe balancierte, zum Munde zu führen. „Das versteh’ ich nicht!“
„Warum auch?“ sagte Ulrike kühl. „Es wird nicht das einzige sein, was du nicht begreifst!“
„Da kannst du recht haben“, sagte Gaby, mußte lachen und verschluckte sich fürchterlich.
Fräulein Faust warf mahnende Blicke zum Ende der Tafel, Gabys Nachbarin schlug ihr kräftig mit der flachen Hand auf den Rücken, aber es dauerte dennoch eine ganze Weile, bis sie ihren Anfall überwunden hatte. Zurück blieben ein hochroter Kopf und tränende Augen.
„Ich nehme in meiner Eigenschaft als Reporterin teil“, erklärte Ulrike herablassend.
„Na, so etwas!“ Gaby staunte. „Aber mir soll’s recht sein. Hauptsache, du machst überhaupt mit.“
Am Spätnachmittag nach der Arbeitsstunde wurde Ulrike zu Fräulein Faust gerufen. Ein dickes Paket war für sie angekommen, und es mußte, wie alle größeren Sendungen, die ins Internat geschickt wurden, in Anwesenheit der Hausvorsteherin geöffnet werden, damit niemand auf diesem Wege unkontrollierte Süßigkeiten und Eßwaren einschmuggeln konnte.
Ulrike machte sich nichts mehr daraus. Ihre Tanten wußten Bescheid, und sie war sicher, daß sie höchstens ein paar Äpfel und eine Tafel Schokolade zugepackt hatten, nicht mehr, als Ulrike sowieso behalten durfte.
So war es auch heute. Aber zum erstenmal interessierten Ulrike die sonst so begehrten Süßigkeiten gar nicht. Mit einem hellen Schrei der Begeisterung betrachtete sie den eleganten schneeweißen Anorak, den ihr die Tanten geschickt hatten.
Dann wühlte sie weiter, fand eine zartrosa Schihose, hielt sie sich vor und rief: „Ist sie nicht zauberhaft?!”
Fräulein Faust hatte Ulrike, ohne eine Miene zu verziehen, bei ihrem Tun beobachtet. „Ja, wirklich, sehr hübsche Sachen“, bemerkte sie jetzt, „aber leider nicht gerade praktisch!“
„Das ist doch egal“, erklärte Ulrike unbekümmert.
„Nun, für einen Aufenthalt in einem mondänen Wintersportort mögen sie geeignet sein, aber fürs Schullager …“ Fräulein Faust wendete den zarten Anorak kritisch hin und her. „Findest du nicht selber, Ulrike, daß sie ein wenig zu anspruchsvoll sind?“
Erst jetzt wurde Ulrike klar, daß Fräulein Faust nicht bereit war, ihre Freude zu teilen, und sie setzte sofort die wohlbekannte blasierte Miene auf, die die Hausvorsteherin ganz und gar nicht leiden konnte. „Nun“, sagte sie von oben herab, „das kommt ganz darauf an, wie man es gewöhnt ist!“
Fräulein Fausts Nase begann nervös zu zucken, wie immer, wenn sie sich ärgerte. Ulrike beobachtete es voll Genugtuung. Sie hob den leeren Karton hoch in die Luft, drehte und wendete ihn. „Überzeugen Sie sich selber“, sagte sie, „keine Geheimverstecke, kein doppelter Boden … darf ich also wieder einpacken?“
Fräulein Faust wollte sich weiteren Ärger ersparen. So sagte sie nur sehr ruhig: „Ich bitte darum!“
„Oh, vielen Dank!“ erwiderte Ulrike mit übertriebener Betonung. „Zu liebenswürdig!“ Da sie fühlte, daß Fräulein Faust von ihrer Anwesenheit genug hatte, ließ sie sich Zeit beim Zusammenlegen der neuen Kleidungsstücke, obwohl sie selber darauf brannte, den neuen Glanz ihren Zimmerkameradinnen so bald wie möglich vorzuführen.
„Deine Schier sind übrigens auch gekommen“, sagte Fräulein Faust.
Ulrike hätte auch auf diese harmlose Bemerkung eine freche Antwort gewußt. Aber gerade da kamen ein paar andere Schülerinnen, die ebenfalls Päckchen von zu Hause bekommen hatten, ins Zimmer, und sie zog es wohlweislich vor, die Dinge nicht auf die Spitze zu treiben. Ihr war, wenn auch reichlich spät, wieder eingefallen, daß sie bald vierzehn Tage lang von früh bis abends auf Fräulein Fausts Gewogenheit angewiesen sein würde. Es war also ein Fehler gewesen, sie wieder einmal so zu ärgern.
„Fein“, sagte sie darum versöhnlich und fügte, ihren vollgepackten Karton schon unter dem Arm, hinzu: „Übrigens brauchen Sie sich wegen der schicken Sachen wirklich nicht zu beunruhigen. Zum Schifahren sind meine alten Klamotten vielleicht wirklich besser geeignet. Ich werde die neue Kombination, wenn Sie es wünschen, dann eben nur zum Après-Ski tragen.“
„Zum … was!?“ fragte Fräulein Faust entgeistert.
Zum Après-Ski“, erklärte Ulrike seelenruhig. „Wenn man sich nah dem Sport fürs Hotel schick maht.“
„Dazu“, sagte Fräulein Faust mit zuckender Nase, aber anerkennenswerter Selbstbeherrschung, „wirst du wohl kaum Gelegenheit haben.“
Aber es gelang ihr nicht, Ulrikes Freude an den Geschenken der Tanten zu dämpfen. Auf ihrem Zimmer angekommen, zog sie sich sofort um, und sie erntete damit den bewundernden Beifall von Gaby wie auch Gerti Moll.
Selbst Katja sagte, wenn auch mit einem seltsamen Unterton: „Sieht wirklich gut aus, Ulrike! Man möchte fast glauben, daß du Schi laufen könntest!“
„Wahrhaftig!“ rief Gaby. „Du wirkst geradezu olympiareif!“
Ulrike betrachtete sich lange und mit tiefer Genugtuung im Spiegel, obwohl das ein ziemlich schwieriges Unternehmen war. Die Spiegel in den Zimmern waren so klein, daß man sich wirklich nur mit den größten Schwierigkeiten von oben bis unten darin sehen konnte, und auch dann nie im Ganzen, sondern sozusagen nur ratenweise.
Aber Ulrike betrachtete sich mit ihrem inneren Auge. Sie sah sich in eleganter Haltung und mit wunderbaren Schwüngen eine Piste hinabsausen, so daß der Pulverschnee hinter ihr aufstob. Sie trug ihre zartrosa Schihose, dazu eine Mütze und Handschuhe, die genau im Ton paßten, und natürlich den schneeweißen Anorak. Die anderen Schifahrer bremsten ihre Abfahrt, um ihr nachzustaunen, und unten blieben die Leute stehen, um sie anzustarren.
Im Tal angekommen, löste sie lässig die Bindungen, legte die Schier über die Schulter und wandelte die Hauptstraße des Ortes entlang, auf ihr Hotel zu, wieder gefolgt von faszinierenden Blicken,