Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.wir von verschiedenen Enden angefangen haben. Dir ward erst das Gute, dann das Schlimme zu Theil; mir erging es umgekehrt; wenn ich nämlich zugebe,« fügte er bedenklich hinzu, »daß ich mich in meinem jetzigen Glücke wohl befinde.«
»Und ich,« erwiederte Krösus, »wenn ich zugebe, unter meinem sogenannten Unglücke zu leiden.«
»Wie könnte das anders sein nach dem Verluste so großen Besitzes?«
»Liegt denn das Glück im Besitze?« fragte Krösus. »Ist denn das Glück überhaupt ein Besitz? Das Glück ist doch nur eine Vorstellung, ein Gefühl, welches die neidischen Götter dem Dürftigen öfter gewähren wie dem Mächtigen, dessen klarer Blick von prunkenden Schätzen geblendet wird, der immer in Niederlagen bluten muß, weil er sich der Kraft bewußt, viel zu erlangen, stets unterliegt im Kampfe um den Besitz aller Güter, die er zu besitzen wünscht und nie zu erlangen vermag.«
Amasis seufzte und sprach: »Ich wünschte; daß ich Dir Unrecht geben könnte; wenn ich aber an meine Vergangenheit zurückdenke, so muß ich gestehen, daß zugleich mit der Stunde, welche mir das sogenannte Glück brachte, die großen Sorgen meines Lebens begannen.« – »Und ich versichere Dich,« unterbrach ihn Krösus, »daß ich Dir für Deine verspätete Hülfe dankbar bin, weil mir die Stunde des Unheils das erste reine, wahrhaftige Glück gewährte. Als die ersten Perser die Mauern von Sardes bestiegen, verwünschte ich mich selbst und die Götter, schien mir das Leben hassenswerth, das Dasein ein Fluch. Kämpfend wich ich mit den Meinen zurück, Verzweiflung im Herzen. Da erhob ein persischer Soldat sein Schwert über meinen Scheitel, mein stummer Sohn fiel dem Mörder in den Arm und seit langen Jahren hörte ich wieder das erste Wort von seiner durch das Entsetzen gelösten Zunge. Mein stummes Kind Gyges hatte in der Stunde des Schreckens seine Sprache wieder erlangt, und ich, der den Göttern geflucht hatte, beugte mich nun ihrer Macht. Dem Sklaven, dem ich befohlen, mich zu tödten, sobald ich in die Gefangenschaft der Perser kommen würde, nahm ich sein Schwert ab. Ich war ein verwandelter Mann und lernte nach und nach den immer und immer aufgährenden Ingrimm gegen mein Geschick und meine edlen Feinde besiegen. Du weißt, daß ich endlich des Cyrus Freund wurde, daß mein Sohn neben mir mit dem vollen Gebrauche seiner Sprache als freier Mann aufwachse durfte. Was ich Schönes in meinem langen Leben gesehen, gehört und gedacht, sammelte ich, um es auf ihn zu übertragen, er war von nun an mein Reich, meine Krone, mein Schatz. Wenn ich des Cyrus sorgenschwere Tage und schlaflose Nächte ansah, so graute mir in der Erinnerung an meine eigene frühere Größe und Macht und immer klarer ward es mir, wo das eigentliche Glück zu suchen sei. Ein jeder trägt es als verborgenen Keim in seinem Herzen. Der zufriedene, geduldige Sinn, der sich hoch an Schönem und Großem, freundlich auch an dem Kleinen erfreut, das Leid ohne Klagen hinnimmt und es durch Erinnerungen versüßt, das Maßhalten in allen Dingen, das feste Vertrauen auf die Huld der Götter und die Gewißheit, daß auch das Schlimmste an uns vorübergehen muß, weil ja jedes Ding dem Wechsel unterworfen ist, dies Alles zeitigt den verborgenen Glückskeim in unserer Brust und gewährt uns die Kraft zu lächeln, wenn der vom Schicksale unerzogene Mann verzagen und verzweifeln möchte.«
Amasis hörte aufmerksam zu, mit dem goldenen Windhundskopfe auf seinem Stabe Figuren in den Sand kritzelnd; dann sagte er.
»Wahrhaftig, Krösus, ich ›der große Gott‹, ›die Sonne der Gerechtigkeit‹, ›der Sohn der Neith‹, ›der Herr des Kriegsruhms‹, wie die Aegypter mich nennen141, bin versucht, Dich, Beraubten und Entthronten, zu beneiden. In früheren Tagen war ich glücklich wie Du es bist. Ganz Aegypten kannte mich, den armen Sohn eines Hauptmanns, wegen meines fröhlichen Herzens, meiner Schelmenstreiche, meines leichten Sinns und meines Uebermuths142. Der gemeine Soldat trug mich auf Händen, meine Vorgesetzten hatten viel an mir zu tadeln; dem tollen Amasis ließ man aber so manches durchgehen; meine Genossen, die Unterbefehlshaber des Heeres, kannten keine Festfreude ohne mich. Da schickte uns mein Vorgänger Hophra in den Krieg gegen Cyrene. In der Wüste verschmachtend, weigerten wir uns weiter zu ziehen. Der Verdacht, der König wolle uns den hellenischen Söldnern opfern, trieb zu offener Empörung. Scherzend, wie immer, rief ich den Freunden zu: ›Ohne König werdet ihr nicht fertig, so macht mich zu eurem Herrscher; einen fröhlichern findet ihr nirgends!‹ Die Soldaten hatten das Wort gehört. ›Amasis will König werden,‹ rief es von Glied zu Glied, von Mann zu Mann. ›Der gute, der glückselige Amasis sei unser König!‹ ward mir in wenigen Stunden zugejubelt. Ein Zechgenosse setzte mir den Helm des Feldherrn auf; – ich verwandelte den Scherz in Ernst, die Masse der Soldaten hielt zu mir, und wir schlugen Hophra bei Momemphis. Das Volk schloß sich der Verschwörung an. Ich bestieg den Thron. Man nannte mich glücklich. Bis dahin aller Aegypter Freund, ward ich jetzt der Feind ihrer Besten. Die Priester huldigten mir und nahmen mich in ihre Kaste auf, aber nur, weil sie hofften, mich ganz nach ihrem Belieben lenken zu können. Meine früheren Vorgesetzten beneideten mich oder wollten mit mir verkehren wie ehedem. Du begreifst, daß sich dies mit meinem neuen Amte nicht vereinen ließ und mein Ansehen untergraben haben würde; da zeigte ich denn eines Tags den bei mir schmausenden Befehlshabern des Heeres, die wiederum ihre Scherze mit mir zu treiben versuchten, das goldene Becken, in dem man ihnen die Füße vor dem Gastmahle gewaschen hatte; fünf Tage später ließ ich, als sie wieder bei mir schwelgten, eine goldene Bildsäule des großen Gottes Ra143 auf die geschmückte Tafel stellen. Sobald sie diese erblickten, sanken sie nieder, um anzubeten. Als sie aufgestanden waren, ergriff ich den Scepter, hielt ihn hoch und feierlich in die Höhe und rief: ›Dieses Götterbild hat ein Künstler in fünf Tagen aus dem verachteten Gefäße gemacht, in das ihr spieet und in dem man euch die Füße wusch. Ich selbst war einstmals ein solches Gefäß; die Gottheit aber, welche besser und schneller als ein Goldschmied zu formen versteht, hat mich zu eurem Könige gemacht. So fallet vor mir nieder und betet an. Wer ungehorsam ist oder der Ehrfurcht, welche er dem Könige, dem Vertreter des Ra auf Erden schuldet, fürderhin vergißt, der ist des Todes schuldig!‹ Sie fielen nieder Alle, Alle. Mein Ansehen war gerettet; meine Freunde aber hatte ich verloren. Nun bedurfte ich eine andere feste Stütze. Ich machte die Hellenen dazu. Ein Grieche ist an Kriegstüchtigkeit mehr werth als fünf Aegypter; das wußte ich wohl, und darauf fußend, wagte ich das durchzusetzen, was ich für heilsam erachtete.
»Die griechischen Söldner umgaben mich stets. Ich lernte von ihnen ihre Sprache, sie führten mir den edelsten Menschen zu, dem ich jemals begegnet bin, den Pythagoras. Ich bemühte mich, griechische Kunst und griechische Sitten bei uns einzuführen, denn ich hatte erkannt, daß es thöricht sei, an hergebrachtem Schlechterem eigensinnig zu hängen, wo Besseres am Boden lag, und nur darauf wartete, in ägyptischen Acker gesäet zu werden.
»Ich theilte das ganze Land zweckmäßig ein144, bestellte die beste Sicherheitsbehörde in der ganzen Welt und setzte Vieles durch; mein höchstes Ziel jedoch, griechischen Geist, griechischen Formensinn, griechische Lebenslust und freie hellenische Kunst in diese bunten und üppigen und doch so finsteren Lande einzuführen, scheiterte an der Klippe, welche mich, so oft ich etwas Neues erstrebe, mit Sturz und Untergang bedroht. Die Priester sind meine Hemmschuhe, meine Gegner, meine Meister. – Sie, die am Hergebrachten mit abergläubischer Ehrfurcht hangen, sie, denen alles Fremde ein Gräuel ist und die jeden Ausländer für den natürlichen Gegner ihres Ansehens und ihrer Lehren halten, lenken das frömmste aller Völker mit beinahe unumschränkter Gewalt. Darum mußte ich ihnen die schönsten meiner Pläne opfern, darum muß ich mein Leben nach ihren strengen Satzungen, als unfreiester aller Menschen, hinschwinden sehen, darum werde ich unbefriedigt sterben und nicht einmal sicher sein, ob mir die zürnende, stolze Schaar der Vermittler zwischen Mensch und Gottheit die ewige Ruhe im Grabe gönnen wird.«
»Beim Retter Zeus, Du armer Glücklicher!« unterbrach ihn Krösus mit Theilnahme, »ich verstehe Deine Klagen! Denn wenn ich auch in meinem langen Leben schon manchen einzelnen Menschen gekannt habe, der ernst und finster durch’s Leben ging, so glaubte ich doch nicht, daß es ein ganzes großes Geschlecht geben könne, dem düstere Herzen zu Theil wurden, wie den Schlangen der Giftzahn. So viele Priester ich