Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.Halle geführt, woselbst eine in griechischer Weise zugerichtete Tafel, auf welcher ein riesengroßer Mischkrug stand, zu einem nächtlichen Trinkgelage einlud.
Amasis saß auf einem hohen Lehnstuhle159 an der Spitze des Tisches; zu seiner Linken der junge Bartja, zu seiner Rechten der greise Krösus. Außer diesen und den Vertrauten des Pharao befanden sich auch die uns bekannten Freunde des Polykrates, Theodorus und Ibykus, sowie der nunmehrige Oberst der hellenischen Leibwache, Aristomachus, unter den Gästen des Königs.
Amasis, den wir vor Kurzem so ernst mit Krösus reden hörten, erging sich jetzt in beißenden Scherzen. Er schien wiederum zu dem tollen Unterbefehlshaber, dem verwegenen Zechbruder von ehedem geworden zu sein.
Mit sprudelndem Geiste schleuderte er Spässe und Witzworte neckend und höhnend den Trinkgenossen entgegen. Schallendes, oft wohl zu Ehren des königlichen Witzes erkünsteltes Gelächter antwortete seinen Scherzen, Becher auf Becher wurde geleert, und der Jubel erreichte seinen Gipfel, als der Haushofmeister mit einer kleinen vergoldeten Mumie erschien, und, indem er sie der Gesellschaft zeigte, ausrief: »trinket, scherzet und seid fröhlich, denn allzubald werdet ihr gleich diesem160 sein!«
»Ist dies Hinweisen auf den Tod eure Sitte bei Festgelagen?« fragte Bartja, ernster werdend, den König, »oder erlaubt sich Dein Haushofmeister heute nur diesen Spaß?« – »Seit uralter Zeit,« antwortete Amasis, »pflegt man solche Mumien, um die Heiterkeit zu steigern, und die Zecher zu erinnern, daß man genießen solle, so lang’ es Zeit sei, den Trinkgenossen zu weisen. Du, junger Schmetterling, hast freilich noch lange Freudenjahre vor Dir; wir alten Söhne aber, Freund Krösus, müssen uns ernstlich daran halten. – Mundschenk, fülle schnell unsere Becher, damit kein Augenblick des Lebens nutzlos verrinne! Wie Du trinken kannst, Du goldhaariger Perser! Wahrhaftig, die großen Götter haben Dir eine eben so gute Kehle, als schöne Augen und blühende Reize beschert. Laß Dich küssen, Du herrlicher Jüngling, Du schlechter Knabe! Was glaubst Du, Krösus? Meine Tochter Tachot spricht von nichts, als von dem Milchbarte, welcher ihr erst mit holden Blicken, dann mit süßen Worten das Köpfchen verdreht zu haben scheint. Nun, Du brauchst nicht roth zu werden, Du junger Tollkopf! Ein Mann wie Du darf sich wohl nach Königstöchtern umschauen; aber wärest Du Dein Vater Cyrus selbst, die Tachot dürfte mir nicht nach Persien!«
»Vater!« flüsterte der Thronerbe Psamtik, diese Rede unterbrechend, dem Könige zu. »Vater, hüte Deine Zunge und gedenke des Phanes!« Der König schaute seinen Sohn mit einem finstern Blicke an, und als habe ein Krampf seine frohe Laune gelähmt, mischte er sich nur noch seltener in das allgemeiner werdende Gespräch.
Aristomachus, welcher Krösus schräg gegenüber saß, hatte bis dahin, ohne eine Sylbe zu reden oder die Scherze des Amasis zu belachen, die Perser unablässig betrachtet. Sobald der Pharao verstummt war, wandte er sich lebhaft Krösus zu und fragte: »Ich wünschte zu wissen, Lyder, ob Schnee die Berge bedeckte, als ihr Persien verließet?«
Lächelnd und erstaunt über diese seltsame Ansprache antwortete Krösus: »Die meisten Berge des persischen Gebirges waren grün belaubt, als wir vor vier Monaten nach Ägypten aufbrachen; doch gibt es auch Höhen im Lande des Kambyses, auf denen der Schnee selbst in der heißesten Jahreszeit nicht zerschmilzt161, und diese sahen wir weißlich schimmern, als wir zur Ebene hinabzogen.«
Das Antlitz des Spartaners ward sichtlich heiterer. Krösus, dem der ernste Mann gefiel, fragte ihn nach seinem Namen.
»Ich heiße Aristomachus.«
»Den Namen sollt’ ich kennen.«
»Du kanntest viele Hellenen, und viele heißen wie ich.«
»Deinem Dialekte nach gehörst Du dem dorischen Stamme an. Solltest Du nicht ein Spartaner sein?«
»Ich war es.«
»So bist Du es nicht mehr?«
»Wer die Heimath ohne Erlaubniß verläßt, ist des Todes schuldig.«
»Verließest Du sie freiwillig?«
»Ja.«
»Warum?«
»Um der Schande zu entgehen.«
»Was hattest Du verbrochen?«
»Nichts!«
»So beschuldigte man Dich mit Unrecht eines Vergehens?«
»Ja.«
»Wer war der Urheber Deines Unglücks?«
»Du!«
Krösus fuhr von seinem Sitze auf. Der ernste Ton und das finstere Gesicht des Spartaners verboten jeden Gedanken an einen Scherz. Auch die Tischnachbarn der Beiden, welche dem seltsamen Gespräche gefolgt waren, erschraken und baten Aristomachus um eine Erklärung seiner seltsamen Aussage.
Der Spartaner zauderte. Man sah ihm an, daß er ungern reden möge; endlich aber, als ihn auch der König zu erzählen aufforderte, begann er:
»Du, Krösus, hattest, dem Orakel folgend162, uns Lacedämonier, als die mächtigsten der Hellenen, zu Bundesgenossen gegen die Macht der Perser erwählt, und uns das Gold zu der Apollo Herme ans dem Berge Thornax geschenkt. Die Ephoren beschlossen daher, Dir dafür ein riesengroßes, kunstreiches Mischgefäß von Erz zu verehren. Als Ueberbringer desselben erwählte man mich. Bevor wir nach Sardes kamen, zerstörte ein Sturm unser Schiff. Der Mischkrug versank mit ihm. Wir retteten uns mit dem nackten Leben nach Samos. Als wir heimkehrten, ward ich von Feinden und Neidern beschuldigt, Schiff und Mischkrug an samische Händler verkauft zu haben. Weil man mich nicht überführen konnte und dennoch verderben wollte, ward ich verurtheilt, zwei Tage und zwei Nächte lang am Pranger zu stehen. Man schmiedete in der Nacht meinen Fuß an den Schandblock. Bevor der Morgen meiner Entehrung graute, kam mein Bruder zu mir und reichte mir heimlich ein Schwert. Ich sollte mir vor der Beschimpfung das Leben nehmen. Ich konnte nicht sterben, denn ich hatte mich noch an meinen Verderbern zu rächen; darum hieb ich mir selbst den angeschmiedeten Fuß vom Beine und versteckte mich im Schilfe des Eurotas. Mein Bruder brachte mir heimlich Speise und Trank. In zwei Monaten konnte ich wieder auf diesem hölzernen Fuße gehen. Der ferntreffende Apollo übernahm meine Rache, denn meine verruchtesten Gegner raffte die Pest dahin. Trotz ihres Todes durfte ich nicht heimkehren. Zu Gythium schiffte ich mich endlich ein, um mit Dir, Krösus, von Sardes aus gegen die Perser zu fechten. Als ich in Teos landete, erfuhr ich, daß Du nicht mehr König wärest. Der gewaltige Cyrus, der Vater dieses schönen Jünglings, hatte in kurzen Wochen das mächtige Lydien erobert und den reichsten König zum Bettler gemacht.«
Alle Zecher schauten den ernsten Krieger bewundernd an. Krösus schüttelte ihm die harte Rechte; der junge Bartja aber rief: »Wahrlich, Spartaner, ich möchte Dich mit nach Susa nehmen, um meinen Freunden zeigen zu können, was ich gesehen habe, den muthigsten, ehrenwerthesten aller Menschen!«
»Glaube mir, Knabe,« gab Aristomachus lächelnd zurück, »ein jeder Spartaner hätte gleich mir gehandelt. Bei uns zu Lande gehört mehr Muth dazu, feige als tapfer zu sein!«
»Und hättest Du, Bartja,« rief Darius, der Vetter des Königs von Persien, »ertragen können, an dem Schandpfahle zu stehen?«
Bartja erröthete, aber man sah ihm an, daß auch er den Tod der Schande vorziehe.
»Und Du, Zopyrus?« fragte Darius, sich an den dritten jungen Perser wendend.
»Ich würde mich aus bloßer Liebe zu euch verstümmeln163!« rief dieser und drückte unter dem Tische die Hände seiner beiden Freunde.
Psamtik sah mit spöttischem Lächeln, Krösus, Gyges und Amasis voller Wohlgefallen, die Aegypter sich einander bedeutungsvoll anschauend, der