Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.jeder Terrasse stand mit je zweiundzwanzig alterthümlichen Pfeilersäulen 90 eine nach Osten zu geöffnete Halle, an deren Hinterwänden schöne Gemälde und Inschriften in seiner Bildhauerarbeit den Nachgeborenen erzählten, was Hatasu mit Hülfe der Götter von Theben Großes geleistet.
Da sah man die Schiffe, welche sie nach Punt 91 entsandt hatte, um Aegypten mit den Schätzen des Ostens zu bereichern, da waren die nach Theben gebrachten Wunder Arabiens zu schauen, da hatte man die Häuser der Bewohner des Weihrauchlandes und alle Fische des rothen Meeres in scharfer und charakteristischer Zeichnung 92 abgebildet.
Auf der dritten und vierten Terrasse befanden sich kleine von Hatasu und ihren Brüdern Thutmes II. und III. angelegte Räume, die sich an den Felsen lehnten und zu denen man durch granitene Thore gelangte. In ihnen sollten die Reinigungen vollzogen, die Bildsäulen der Göttin verehrt, den Manen der Königin geopfert und bevorzugten Betern die Beichte abgehört werden.
In einem Seitenbau wurden die heiligen Kühe der Göttin gepflegt.
Als Pentaur sich der Hauptpforte des Terrassentempels genähert hatte, wurde er Zeuge eines Schauspieles, das ihn mit Ingrimm erfüllte.
Eine Frau verlangte Einlaß in den Vorhof, um am Altar der Göttin für ihren schwer erkrankten Gatten zu beten, aber der feiste Pförtner wies sie mit rohen Worten zurück.
»Da steht es,« sagte er, indem er auf die Inschrift über dem Thore hinwies, »nur wer rein ist, darf seinen Fuß auf diese Schwelle setzen, und man wird nur rein durch Räucherung.«
»So schwinge das Rauchfaß,« bat das Weib, »und nimm dafür diesen Silberring. Ich habe nicht mehr.«
»Einen Silberring!« rief der Pförtner entrüstet. »Soll die Göttin um Deinetwillen verarmen? Die Antakörner, die wir für die Reinigung bedürfen, kosten das Zehnfache.«
»Aber ich besitze nicht mehr,« wiederholte die Frau. »Mein Mann, für den ich zu beten komme, ist krank. Er kann nicht arbeiten, und meine Kinder . . .«
»Die willst Du mästen, um der Göttin zu entziehen, was ihr gebührt,« rief der Pförtner. »Drei Ringe her, oder ich schließe das Thor.«
»Sei barmherzig,« weinte das Weib. »Was wird aus uns werden, wenn Hathor meinem Manne nicht beisteht?«
»Soll unsere Göttin ihm Arznei reichen?« fragte der Pförtner. »Sie hat mehr zu thun, als kranke Hungerleider zu heilen. Das ist auch nicht ihres Amtes. Geh' hin zu Imhotep 93 oder Chunsu dem Plänemacher, 94 oder dem großen Techuti selbst, die den Kranken helfen. Hier wird nicht gequacksalbert.«
»Ich verlange nur Trost in meinem Kummer,« schluchzte die Frau.
»Trost?« lachte der Pförtner, indem er die junge und rundliche Frau mit den Blicken maß. »Den kannst Du billiger haben!«
Das Weib erbleichte und schlug die sich nach ihr ausstreckende Hand des Pförtners zurück.
In diesem Augenblicke trat Pentaur voller Ingrimm zwischen die Beiden.
Segnend erhob er seine Hände über das sich tief vor ihm verneigende Weib und sagte:
»Wer die Gottheit brünstig ruft, dem ist sie nahe. Du bist rein! Tritt ein in den Vorhof!«
Sobald sie in dem Tempel verschwunden war, wandte sich der Priester dem Pförtner zu und rief:
»So also dient ihr der Gottheit, so benützt ihr die Noth der geängstigten Herzen? Her mit den Schlüsseln zu dieser Pforte! Dein Amt wird von Dir genommen und morgen schon gehst Du hinaus auf die Weide und hütest die Gänse der Hathor.«
Der Pförtner warf sich laut aufheulend auf die Kniee, aber Pentaur wandte ihm den Rücken, betrat das Heiligthum und stieg die Stufen hinan, welche zu seiner auf der höchsten Terrasse gelegenen Wohnung führten.
Einige Priester, an denen er vorüberging, wandten ihm den Rücken, andere blickten geräuschvoll kauend auf ihre Mahlzeit hernieder und gaben sich den Anschein, als sähen sie ihn nicht. Sie hatten sich fest mit einander verbündet und waren entschlossen, den unbequemen Eindringling um jeden Preis zu verdrängen.
In seinem für seinen erkrankten Vorgänger prunkvoll ausgeschmückten Gemache angelangt, legte Pentaur seinen neuen Ornat an und verglich dabei mit schmerzlichen Empfindungen das Sonst und Jetzt.
Zu welchem Tausche hatte ihn Ameni verdammt!
Stumpfheit und Abneigung begegneten ihm hier, wohin er auch blickte, während, wenn er durch die Höfe des Setihauses wandelte, ihm hundert Knaben entgegeneilten und sich liebevoll an sein Gewand hängten. Geehrt von den Großen und Kleinen, fand jedes seiner Worte eine Stätte, und wenn er täglich Gedanken austheilte, so empfing er diese Gaben in ernsten Gesprächen mit seinen Genossen und Vorgesetzten geläutert zurück und gewann neue Schätze für sein inneres Leben.
»Das Ungewöhnliche,« sagte er sich, »ist das Reizvolle, und doch wie schwer fällt es, das Gewohnte zu entbehren!«
Die Ereignisse der letzten Tage zogen an seinem innern Auge vorüber. Bent-Anat's Bild zeigte sich ihm und gewann immer deutlichere und verführerische Formen. Sein Herz begann heftiger zu schlagen, das Blut eilte rascher durch seine Adern und er verbarg sein Angesicht in die Hände und vergegenwärtigte sich jeden ihrer Blicke und jedes Wort aus ihrem Munde.
»Dir folge ich gern,« hatte sie ihm vor der Hütte des Paraschiten gesagt. Nun fragte er sich, ob er solcher Führerschaft noch würdig wäre.
Wohl hatte er alte Schranken durchbrochen, aber nicht um das Haus, das ihm theuer war, zu schädigen, sondern um neues Licht einzulassen in seine dumpfen Räume.
»Zu thun, was wir mit Ernst als recht empfinden,« sagte er sich, »kann strafbar erscheinen vor den Menschen, aber nicht vor Gott.«
Er athmete auf und trat auf die Terrasse hinaus, hochaufgerichtet und mit dem festen Willen, auch hier nicht nur das Rechte zu thun, sondern dem Rechten eine Stätte zu gründen.
»Wir Menschen,« dachte er, »bereiten Schmerz schon bei unserem Eintritt in die Welt und Jammer, wenn wir sie verlassen; und so ist es unsere Schuldigkeit, in der Zwischenzeit das Leiden zu bekämpfen und Freuden zu säen. Hier gibt es viele Thränen zu trocknen. An's Werk denn!«
Der Dichter fand Niemand von seinen Untergebenen auf den oberen Terrassen; Alle hatten sich im Vorhofe des Tempels vereint und hörten der Erzählung des Pförtners zu, mit dem sie den gleichen Groll zu theilen schienen; er wußte gegen wen.
Festen Schrittes trat er ihnen entgegen und sagte:
»Ich habe diesen Mann aus unserer Mitte verwiesen, weil er uns Schande macht. Morgen verläßt er den Tempel.«
»Ich gehe sogleich,« entgegnete der Pförtner trotzig, »und werde im Auftrage der heiligen Väter (dabei warf er den Priestern einen Blick des Einverständnisses zu) den Oberpriester Ameni fragen, ob es in Zukunft auch Unreinen gestattet sein soll, dieß Heiligthum zu betreten.«
Schon näherte er sich der Pforte; Pentaur aber trat ihm in den Weg und sagte entschieden:
»Du bleibst hier und wirst morgen, übermorgen und immer die Gänse hüten, bis es mir gefällt, Dir zu vergeben.«
Der Pförtner schaute die Priester fragend an.
Keiner rührte sich.
»Geh' in Dein Haus zurück!« rief ihm der Dichter zu und trat ihm näher.
Der Pförtner gehorchte.
Pentaur schloß die Thür des engen Gelasses, gab einem Tempeldiener den Schlüssel und sagte. »Du verrichtest seinen Dienst, bewachst den Mann und wenn er entwischt, so folgst Du ihm morgen nach zu den Gänsen. Seht, meine Freunde, wie viele Beter dort vor unseren Altären knieen; geht hin und thut, was eures Amtes ist. Ich warte im Beichtraume, um Klagen zu vernehmen und Trost zu ertheilen.«
Die Priester gingen auseinander und näherten sich den Opfernden.
Pentaur stieg von Neuem