Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie - Georg Ebers


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glänzte aus seinen lieben Augen. Seine Händchen faßten das Kleid der Alten und mit dem süßesten Schmeicheltone, den Gott in die holde Stimme der Kinder legt, sagte der Knabe:

      »Ich will still sein wie ein Mäuschen und Niemand soll wissen, daß ich da bin, aber wenn Du mir den Honigkuchen gibst, so laß mich etwas los und zu Uarda hinüber.«

      »Sie ist krank, was willst Du da drüben?« fragte die Alte.

      »Ich möcht' ihr den Kuchen bringen,« sagte der Knabe leise und seine Augen glänzten in Thränen.

      Die Alte tippte dem Kinde mit dem Finger auf das Kinn und eine geheimnißvolle Macht zog sie zu ihm hernieder, um es zu küssen. Aber ehe ihre Lippen sein Antlitz fanden, wandte sie sich von ihm ab und sagte streng:

      »Bleib' ruhig. Nachher wollen wir sehen!« Dabei bückte sie sich und warf einen braunen Sack über den Knaben. Dann trat sie wiederum in's Freie, begrüßte Nemu, bewirthete ihn mit Milch, Brod und Honig, gab ihm Auskunft auf seine Erkundigung nach dem überfahrenen Mädchen, dessen Mißgeschick ihm zu Herzen zu gehen schien, und fragte endlich:

      »Was führt Dich hieher? Der Nil war noch klein, als Du das letzte Mal Deinen Weg zu mir fandest, und jetzt hat er längst zu fallen begonnen. 82 Schickt Dich Deine Herrin, oder begehrst Du selbst meine Hülfe? All' das Gesindel bleibt sich gleich! Niemand geht zu einem Andern, wenn er ihn nicht benutzen will. Was soll ich Dir geben?«

      »Ich brauche nichts,« erwiederte der Zwerg, »aber . . .«

      »Aber Du kommst im Auftrage eines Dritten,« lachte die Hexe. »Ist Alles ein und dasselbe! Wer etwas für Andere verlangt, denkt doch nur an sich selbst.«

      »Mag sein,« gab der Kleine zurück. »Jedenfalls beweisen Deine Worte, daß Du nicht unweiser geworden, seitdem ich Dich zum letzten Mal gesehen, und das freut mich, denn ich brauche Deinen Rath.«

      »Der ist billig. Was gibt es da drüben?«

      Nemu erzählte seiner Mutter kurz, klar und ohne Rückhalt, was man im Hause seiner Herrin vorbereitete, und von der schrecklichen Schande, mit welcher sie durch ihren Sohn bedroht ward.

      Die Alte schüttelte vielmals bedenklich ihren grauen Kopf; aber sie ließ den Kleinen, ohne ihn zu unterbrechen, zu Ende reden. Dann fragte sie und ihre Augen blitzt dabei leuchtend auf:

      »Und ihr glaubt wirklich, daß es euch gelingen werde, einen Sperling an des Adlers Stelle, einen Ani auf den Thron eines Ramses zu setzen?«

      »Die in Aethiopien kämpfenden Truppen sind für uns,« rief Nemu, »die Priester erklären sich gegen den König und erkennen in Ani das echte Blut des Ra.«

      »Das ist viel,« sagte die Alte.

      »Und viele Hunde sind der Gazelle Tod,« lachte Nemu.

      »Doch Ramses ist kein fliehendes Wild, sondern ein Löwe,« sagte die Alte ernst. »Ihr spielt ein hohes Spiel.«

      »Das wissen wir,« entgegnete Nemu, »aber es gibt dabei Großes zu gewinnen.«

      »Und Alles zu verlieren,« murmelte die Alte, indem sie mit den Fingern über ihren sehnigen Hals fuhr. »Thut, was ihr wollt, mir kann's gleich sein, wer die Jungen in den Tod schickt und den Alten das Vieh von den Feldern treibt. Was wollt ihr von mir?«

      »Mich sendet Niemand,« entgegnete der Zwerg. »Ich komme aus freiem Antriebe, um Dich zu fragen, was Katuti thun soll, um ihren Sohn und ihr Haus vor der Ehrlosigkeit zu retten?«

      »Hm,« brummte die Hexe und schaute Nemu, indem sie sich an ihrem Stocke hoch aufrichtete, mit beiden Augen fragend an. »Was geht denn mit Dir vor, daß Du Dir das Schicksal dieser Großen zu Herzen nimmst, als wär' es Dein eigenes?«

      Der Zwerg erröthete und antwortete zögernd:

      »Katuti ist eine gütige Herrin und wenn es ihr wohl ergeht, so wird dabei auch für Dich und mich so Manches abfallen.«

      Hekt schüttelte ungläubig den Kopf und lachte:

      »Vielleicht für Dich ein Brod und für mich eine Krume! Du hast auch noch Anderes im Sinne und ich sehe in Deine Brust, als wärest Du dieser aufgeschnittene Rabe. Du gehörst zu Denen, die ihre Finger nicht still halten können und an jedem Teige kneten, überall schieben, treiben, etwas bewerkstelligen müssen. Jeder Rock ist Dir zu eng. Wärest Du drei Köpfe größer und eines Priesters Kind, vielleicht hättest Du's weit gebracht. Hoch willst Du hinaus und hoch wirst Du enden; als Freund eines Königs oder am Galgen!«

      Die Alte lachte; Nemu biß sich dabei auf die Lippen und sagte:

      »Hättest Du mich nur in die Schule geschickt und wär' ich keiner Hexe Sohn und kein Zwerg, so spielte ich mit den Menschen, wie sie mit mir gespielt haben, denn ich bin klüger als sie Alle und keine ihrer Regungen bleibt mir verborgen. Hundert Wege liegen vor mir offen, wenn sie nicht wissen, wo aus noch ein, und wo sie sorglos vorwärts rasen, da seh' ich den Abgrund, dem sie entgegenrennen.«

      »Und dennoch kommst Du zu mir,« sagte die Alte spöttisch.

      »Ich will Deinen Rath,« erwiederte Nemu ernst, »weil vier Augen mehr sehen als zwei, weil der unbetheiligte Zuschauer klarer sieht als der Spieler und weil Du verpflichtet bist, mir zu helfen.«

      Die Hexe lachte verwundert auf und fragte; »Ich? Verpflichtet? Und zu was denn?«

      »Mir zu helfen,« wiederholte der Zwerg halb bittend, halb vorwurfsvoll. »Du hast mir das Wachsthum geraubt und mich zum Krüppel gemacht.«

      »Weil Niemand es besser hat, als ihr Zwerge,« unterbrach ihn die Alte.

      Nemu schüttelte den Kopf und erwiederte traurig:

      »Das hast Du mir oft gesagt und für manchen Andern, der wie ich im Elend geboren ward, magst Du Recht haben; mir aber hast Du das Leben verdorben, hast Du nicht nur den Leib, sondern auch die Seele verkrüppelt und zu Leiden hast Du mich verdammt, die namenlos sind und unaussprechlich.«

      Des Zwerges großer Kopf sank auf seine Brust herab und mit seiner Linken preßte er die Stelle seines Herzens.

      Die Alte näherte sich ihm freundlicher und fragte:

      »Was ist Dir? Ich dächte, es ginge Dir gut in Mena's Hause.«

      »Das denkst Du,« rief der Kleine, »Du, die mir eben im Spiegelbilde zeigte, wie ich bin und wie mich geheimnißvolle Kräfte drängen und treiben? Du machtest mich künstlich zu dem, was ich bin, Du verkauftest mich an den Schatzmeister des Ramses und dieser schenkte mich dem Vater des Mena, seinem Schwager. Fünfzehn Jahre ist's her! Ich war damals ein junger Mann, ein Jüngling wie andere auch, nur lebhafteren Geistes, unruhiger und feuriger als sie. Man gab mich dem kleinen Mena zum Spielzeug und der spannte mich vor sein Wägelchen und putzte mich mit Bändern und Federn aus und peitschte mich, wenn ich ihn nicht schnell genug fortzog. Wie hat das Mädchen, für das ich mein Leben hingegeben hätte, des Pförtners Tochter, gelacht, wenn ich in dem bunten Mummenschanz keuchend vor dem Wägelein daher hüpfte und mir die Geißelschnüre des jungen Herrleins um die Ohren sausten, der Schweiß von der Stirn und das Blut aus dem wunden Herzen troff! Dann starb Mena's Vater und der Bube kam in das Setihaus und nun diente ich der Frau seines Haushofmeisters, den Katuti auf das Erbgut in Hermonthis verbannte. Das waren Jahre! Die Töchterchen des Hauses spielten Puppe 83 mit mir, legten mich in die Wiege und zwangen mich die Augen zu schließen und mich schlafend zu stellen, während Liebe und Haß und große Entwürfe in mir mächtig waren. Wenn ich mich aufzulehnen versuchte, so schlugen sie mich mit Ruthen, und als ich mich einst im Zorne vergessen und die kleine Mertitefs wund geschlagen hatte, hängte mich Mena, der dazu kam, mit dem Gürtel an einem Nagel im Speicher auf und ließ mich dort schweben; er sagte, er habe mich abzunehmen vergessen. Die Ratten überfielen mich! Da sind noch die Narben, die kleinen weißen Punkte hier! Sieh' nur! Vielleicht werden sie einst ganz verschwinden, aber die Wunden, die mein Herz in jenen Stunden davon trug, die hören nicht auf zu bluten! Dann nahm Mena Nefert zum Weibe und mit ihr kam seine Schwiegermutter Katuti in's Haus. Sie nahm mich dem Haushofmeister fort, ich ward ihr unentbehrlich, sie behandelt mich wie einen Mann, sie schätzt meinen Geist


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