Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie - Georg Ebers


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der Raub eines Herzens wird die Last meiner Sünden schwer machen, wenn mein eigenes Herz gewogen wird,« seufzte der Alte.

      Nebsecht besann sich einen Augenblick und sagte dann:

      »Ich gebe Dir eine Schrift, in welcher ich bezeugen werde, daß ich Dir den Raub befahl. Die sollst Du in ein Säckchen nähen lassen, sie auf Deiner Brust tragen und mit Dir in's Grab legen lassen. Wenn dann Techuti, 103 der Anwalt der Seele, Deine Rechtfertigung vor Osiris und den Todtenrichtern 104 übernimmt, dann reiche ihm die Schrift. Er wird sie verlesen und Du wirst gerecht befunden werden.«

      »Ich bin nicht kundig der Schriften,« murmelte der Alte und aus seiner Stimme klang ein leises Mißtrauen.

      »Ich aber schwöre bei den neun großen Göttern, daß ich nichts auf den Zettel schreiben werde, als was ich Dir versprach. Bekennen will ich, daß ich, der Priester Nebsecht, Dir geboten habe, das Herz zu nehmen und daß Deine Schuld die meine sei.«

      »So bring' mir die Schrift,« murmelte der Alte.

      Der Arzt wischte sich den Schweiß von der Stirn, reichte dem Paraschiten die Hand und sagte.

      »Morgen erhältst Du die Schrift und ich weiche nicht von Deiner Enkelin, bis sie gesund ist.«

      Der Soldat hatte, während er den Hammel in Stücke zerlegte, von diesem Gespräche nichts vernommen. Jetzt hielt er die an einen hölzernen Spieß befestigten Schlägel über das Feuer, um sie zu braten. Die Schakale heulten lauter, als der Geruch des schmelzenden Fettes die Lust erfüllte, und der Alte vergaß, auf den Braten schauend, die furchtbare Aufgabe, die er übernommen hatte. Seit einem Jahre war in seinem Hause kein Fleisch genossen worden.

      Der Arzt Nebsecht schaute, indem er selbst ein Stücklein Brod verzehrte, den Schmausenden zu. Sie rissen das Fleisch von den Knochen und namentlich der Soldat verschlang das ungewohnte und köstliche Mahl mit thierischer Gier. Man hörte ihn kauen wie das Pferd an der Krippe, und Widerwillen erfüllte die Seele des Priesters.

      »Sinnenmenschen,« murmelte er vor sich hin, »Thiere mit Bewußtsein! Und doch Menschen. Seltsam! Sie schmachten unerlöst in den Banden der Sinnenwelt und doch um wie viel glühender verlangen sie nach dem Uebersinnlichen, als wir, um wie viel eigener wird es ihnen als uns!«

      »Willst Du Fleisch?« rief der Soldat, welcher bemerkt hatte, daß sich die Lippen des Arztes bewegten, riß ein Stück Braten von dem Knochen des Schlägels, den er verzehrte, und hielt es dem Heilkünstler hin.

      Dieser wich zurück und der gierige Blick, die blitzenden Zähne und die rohen, dunklen Züge des Mannes erschreckten ihn. Dabei gedachte er der zarten weißen Kranken drinnen auf der Matte und es drängte sich ihm die Frage auf die Lippen:

      »Ist das Mädchen, ist Uarda Dein eigenes Kind?«

      Der Soldat schlug sich aus die Brust und sagte: »So gewiß wie König Ramses des Seti Sohn.«

      Als die Männer ihr Mahl beendet und die flachen Brodkuchen, welche das Paraschitenweib ihnen reichte und mit denen sie ihre Hände vom Fett säuberten, verzehrt hatten, sagte der Soldat, in dessen langsamen Hirn die Frage des Arztes fortklang, tief aufseufzend:

      »Ihre Mutter war eine Fremde. Sie hat die weiße Taube in das Rabennest gelegt.«

      »Aus welchem Lande stammte Deine Frau?« fragte der Arzt.

      »Das weiß ich nicht,« entgegnete der Soldat.

      »Fragtest Du sie nie nach ihrer Herkunft, da sie doch Dein Weib war?«

      »Doch; aber wie hätte sie mir antworten können? Das ist eine seltsame und lange Geschichte.«

      »Erzähle sie mir,« bat Nebsecht. »Die Nacht ist lang und hören ist mir lieber als reden. Aber erst will ich nach unserer Kranken sehen.«

      Nachdem sich der Arzt überzeugt hatte, daß Uarda ruhig und mit gleichmäßigen Athemzügen schlief, setzte er sich wieder zu dem Vater und dem Sohne und der Letztere begann:

      »Es ist lange her. Der König Seti lebte noch; aber Ramses regierte bereits an seiner Stelle, da kam ich heim aus dem Norden. Sie hatten mich zu den Arbeitern geschickt, welche die Festungswerke zu bauen hatten in Zoan, der Ramsesstadt. Ich war über sechs Leute gesetzt, lauter Amu vom Stamme der Hebräer, 105 dem Ramses den Daumen scharf auf's Auge drückte. Unter den Arbeitern gab es Söhne von reichen Heerdenbesitzern, es ward bei der Aushebung eben nicht gefragt. was hast Du? sondern: weß Stammes bist Du? Die Festungsarbeiten und der Kanal, der den Nil mit dem Schilfmeer zu verbinden hatte, mußten vollendet werden und der König, dem Leben blühe, Heil und Kraft, nahm die junge Mannschaft von Aegypten mit in den Krieg und ließ die Amu Hand an's Werk legen, die stammverwandt sind mit seinen Feinden im Osten. Es ging hoch her in Gosen, denn das Land ist schön und es gibt dort Ueberfluß an Korn und Gras, Gemüse, Fischen und Geflügel, 106 und es fehlte mir nicht am Besten, denn unter meinen sechs Leuten waren zwei Muttersöhnchen, deren Eltern mir manches Stück Silber zuwandten. Jeder liebt seine Kinder, aber die Hebräer lieben sie zärtlicher als die anderen Menschen. Wir hatten täglich unsere abgemessene Zahl an Ziegeln abzuliefern, 107 da half ich dann den Jungen, wenn die Sonne brannte, und ich brachte in einer Stunde mehr vor mich als sie in dreien, denn ich bin stark und war damals noch stärker als heute.

      »Da kam die Zeit, in der man mich ablöste. Ich mußte nach Theben zurück zu den kriegsgefangenen Arbeitern, die den großen Amonstempel drüben zu bauen haben, und weil ich ein Stück Geld mit nach Hause brachte und es gute Weile hatte mit der Beendigung der großen Wohnung des Königs der Götter, so dacht' ich daran, mir ein Weib zu nehmen; aber keine Aegypterin. Paraschitentöchter gab es genug, aber ich wollte heraus aus der verfluchten Kaste des Vaters und die anderen Mädchen hier, das wußt' ich, fürchteten sich vor unserer Unreinheit. Im Unterlande war mir's besser gegangen und manches Amu- und Schasuweib 108 ist gern in mein Zelt gekommen. Ich hatt' es von vorn herein auf eine Asiatin abgesehen.

      »Mehrmals kamen kriegsgefangene Mädchen zum Verkauf, aber sie gefielen mir nicht oder waren zu theuer.

      »Indessen schmolz mein Geld zusammen, denn wir genossen das Leben in den Feierstunden, die der Bauzeit folgten. Es gab ja auch Tänzerinnen genug im Fremdenviertel.

      »Da, es war gerade in der Zeit des heiligen Festes der Treppe, kam ein neuer Transport von Kriegsgefangenen an und darunter viele Weiber, die am großen Hafen an den Meistbietenden verkauft wurden. Die schönen und jungen wurden hoch bezahlt, aber auch die älteren waren mir zu theuer.

      »Ganz zuletzt wurde eine blinde Frau vorgeführt und ein dürres Weib, das stumm war, wie der Ausrufer, der sonst die Vorzüge der Gefangenen weidlich pries, den Käufern mittheilte. Die Blinde hatte gesunde Hände und ein Schenkwirth kaufte sie, bei dem sie heute noch die Handmühle dreht; – die Stumme hielt ein Kind auf dem Arme und kein Mensch konnte sagen, ob sie alt sei oder jung. Sie sah aus, als läge sie schon im Sarge, und das Kleine, als wollt' es ihr in's Gras vorangehen. Dazu waren ihre Haare roth, brennend roth, so recht wie die Farbe des Typhon. Aber ihr schneeweißes Gesicht sah nicht bös aus, auch nicht gut; nur müde, todesmüde. Um ihre dürren weißen Arme liefen blaue Adern wie dunkle Schnüre, und die Hände hingen ihr matt hernieder und in ihnen hing das Kind. Wenn ein Wind sich erhebt, dacht' ich, so weht er sie fort mit sammt ihrem Kleinen.

      »Der Ausrufer verlangte ein Angebot. Alles schwieg; denn zur Arbeit war der stumme Schatten nicht brauchbar und sie war halb todt und ein Begräbniß ist theuer.

      »So vergingen einige Minuten. Da trat der Ausrufer an sie heran und gab ihr einen Schlag mit der Geißel, damit sie sich ermuntere und den Käufern weniger elend erscheinen möge. Sie schauerte zusammen wie eine Fieberkranke, drückte das Kind fester an sich und schaute sich um, als suche sie Hülfe, und mir gerade in's Angesicht. Was nun geschah, das war wie ein Wunder, denn ihr Auge war größer als irgend eines, das ich je gesehen, und es wohnte darin ein Dämon, der Macht hatte über mich und mich gelenkt hat bis an's Ende, und an jenem Tage hat er mich zum ersten Male verzaubert.

      »Es war nicht heiß und ich hatte nichts getrunken, und doch handelte ich gegen meinen Willen und meine


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