Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.segelt ein von mir befrachtetes Schiff mit ägyptischem Getreide, nicht von Naukratis, sondern von Kanopus aus nach Milet. Nimm das Pferd des edlen Persers und reite dorthin; wir bahnen Dir mit Gewalt den Weg durch den Garten!«
»Unsere unbewaffnete Schaar würde zu einem Gewaltstreiche nicht genügen,« erwiederte Gyges. »Wir sind zehn Männer, von denen nur drei ein Schwert besitzen; – jene, deren Zahl sich wenigstens auf hundert beläuft, sind bis an die Zähne bewaffnet.«
»Und wenn Du, Lyder, zehnmal keinen Muth hast, und wenn ihrer zweimal hundert wären,« rief Aristomachus, – »ich kämpfe!«
Phanes drückte dem Freunde die Hand. Gyges erbleichte. Der erprobte Held hatte ihn muthlos genannt. Wieder fand er keine Worte, sich zu vertheidigen. Bei jeder Erregung des Gemüths versagte die Sprache seiner Zunge; plötzlich rötheten sich aber seine Wangen und schnell und bestimmt rief er: »Folge mir, Athener! Du aber, Spartaner, der Du sonst zu erwägen pflegst, ehe Du sprichst, nenne in Zukunft Niemand muthlos, den Du nicht kennst. – Ihr Freunde, Phanes ist gerettet. Lebe wohl, mein Vater!«
Erstaunten Muthes schauten die Zurückbleibenden auf die sich entfernenden Männer. Kurze Zeit nach ihrem Verschwinden hörten die lauschenden Gäste den Hufschlag zweier fortsprengender Pferde; dann vernahmen sie nach längerer Zeit einen langgedehnten Pfiff und Hülferufe vom Nile her.
»Wo ist Knakias?« fragte Rhodopis einen ihrer Sklaven.
»Er hat sich mit Phanes und dem Perser in den Garten begeben.« In diesem Augenblicke trat der alte Diener zitternd und bleich in das Zimmer.
»Hast Du meinen Sohn gesehen?« rief ihm Krösus entgegen.
»Wo ist Phanes?«
»Beide lassen euch den Abschiedsgruß durch mich überbringen.«
»So sind sie fort? – Wie entkamen sie? Wohin wandten sie sich?«
»Hier in diesem Seitenzimmer,« erzählte der Sklave, »hatten der Athener und der Perser zuerst einen Wortwechsel. Dann mußte ich Beide entkleiden. Phanes that die Hosen, den Rock und den Gürtel des Fremden an und setzte dessen spitze Mütze auf seine Locken; der Perser aber hüllte sich in das Chiton und den Mantel des Atheners, schmückte seine Stirn mit dem goldnen Reife desselben, ließ sich die Haare von seiner Oberlippe schneiden, und befahl mir, ihm in den Garten zu folgen.
»Phanes, den Jedermann in seiner neuen Kleidung für einen Perser halten mußte, schwang sich auf eines der vor der Pforte haltenden Rosse. Der Fremde rief ihm fortwährend zu: ›Lebe wohl, Gyges, – lebe wohl, geliebter Perser, – reise glücklich, Gyges!‹ Der an der Pforte harrende Diener ritt ihm nach. In den Büschen hörte ich überall Waffengeklirr, aber Niemand trat dem fortjagenden Athener in den Weg. Die versteckten Krieger hielten ihn ohne Frage für einen Perser.
»Als wir wieder vor diesem Hause standen, befahl mir der Fremde: ›Jetzt begleite mich zur Barke des Phanes und laß nicht ab, mich bei dem Namen des Atheners zu nennen.‹ – ›Aber die Matrosen können Dich leicht verrathen,‹ wandte ich ein. ›So geh’ erst allein zu ihnen und befiehl, sie möchten mich empfangen, als wäre ich Phanes, ihr Gebieter.‹
»Ich bat nun, er möge mir erlauben, mich statt seiner im Kleide des Entflohenen von den Häschern ergreifen zu lassen. Er verweigerte dies auf’s Bestimmteste, und er hatte Recht, als er sagte, meine Haltung würde mich leicht verrathen. Ach, nur der Freie schreitet gerade und aufrecht einher; des Sklaven Nacken ist immer krumm und seine Bewegungen entbehren der Anmuth, die ihr Edlen in den Schulen und Gymnasien erlernt. So wird es ewig bleiben, denn unsere Kinder müssen ihren Vätern ähnlich werden; entwächst doch der garstigen Zwiebel keine Rose und dem grauen Rettig keine Hyazinthe223. Das Dienen krümmt den Nacken, wie das Bewußtsein der Freiheit den Wuchs erhebt!«
»Was ist aus meinem Sohn geworden?« rief Krösus, den Sklaven unterbrechend.
»Er nahm mein armes Opfer nicht an und setzte sich, indem er mir tausend Grüße an Dich, o König, auftrug, in die Barke. Ich schrie ihm nach: ›Gehabe Dich wohl, Phanes, glückliche Reise, Phanes!‹ Eine Wolke hatte sich über den Mond gebreitet; es war sehr finster geworden. Plötzlich hörte ich Geschrei und Hülferufe; das dauerte aber nur kurze Zeit, dann erklang ein gellender Pfiff, und endlich vernahm ich nur noch gleichmäßige Ruderschläge. Eben wollt’ ich, um euch von dem Vorgefallenen zu benachrichtigen, in’s Haus zurückkehren, als Sebek, der Schiffsknecht, von Neuem angeschwommen kam. Er berichtete Folgendes: ›Die Aegypter hatten die Barke des Phanes, wahrscheinlich durch Taucher, anbohren lassen. Sobald sie in die Mitte des Stromes gelangt war, sank sie unter. Die Matrosen schrieen nach Rettung. Da kam das königliche Schiff, welches ihnen folgte, herbei, nahm den vermeinten Phanes, als wenn es ihn retten wollte, an Bord, und verhinderte die Matrosen des Atheners, von ihren Bänken zu weichen. Sie Alle sind mit dem angebohrten Fahrzeuge untergegangen, nur der kühne Schwimmer Sebek erreichte das Ufer. Gyges befindet sich auf dem königlichen Schiffe; Phanes ist entkommen, denn jener Pfiff muß den Soldaten an der Hinterpforte gegolten haben. – Als ich, bevor ich hierherkam, die Büsche an der Straße untersuchte, fand ich keinen Menschen mehr hinter ihnen; doch hörte ich das Waffenrasseln und Reden der Krieger, welche sich wiederum auf dem Wege nach Sais befanden.‹«
Mit fieberhafter Spannung hatten die Gäste der Rhodopis dem Sklaven zugehört.
Als er seine Erzählung beendet hatte, war die Stimmung eine sehr getheilte. Das Glück, den geliebten Freund aus einer drohenden Lebensgefahr gerettet zu wissen, war das erste Gefühl der Meisten; dann aber machte sich die Furcht um den kühnen Lyder geltend. Man pries seinen Edelmuth, man beglückwünschte den Vater eines solchen Sohnes und kam endlich darin überein, daß der Thronerbe, sobald der Irrthum seiner Leute bemerkt werden würde, Gyges nicht nur ohne Weiteres freilassen müsse, sondern auch verpflichtet sei, ihm eine Genugthuung zu gewähren.
Krösus selbst beruhigte sich bei dem Gedanken an die Freundschaft des Amasis und jene Scheu, welche derselbe vor der Macht der Perser gezeigt hatte. Bald darauf verließ er das Haus der Rhodopis, um bei dem Melisier Theopompus zu übernachten.
»Grüße Gyges von mir!« rief Aristomachus, als sich der Greis entfernte. »Ich lasse ihn um Verzeihung bitten und ihm sagen, ich wünschte ihn zum Freunde zu haben, oder, wenn das nicht ginge, ihm als ehrlichem Feinde im Felde gegenüber zu stehen.«
»Wer kann wissen, was die Zukunft bringt!« erwiederte Krösus, dem Spartaner die Hand reichend.
Neuntes Kapitel
Die Sonne eines neuen Tages war über Aegypten aufgegangen. Der reiche Thau der Nacht, welcher am Nil den Regen zu ersetzen pflegt, lag wie Smaragden und Edelgestein auf den Blättern und in den Blüthen; die Sonne stand noch tief im Osten, und die von einem frischen Nordwestwinde durchwehte Morgenluft lud vor der drückenden Wärme des Mittags in’s Freie.
Aus dem uns wohlbekannten Landhause traten zwei weibliche Gestalten: die alte Sklavin Melitta und Sappho, die Enkelin der Rhodopis.
Schwebenden Schrittes ging und lief das anmuthige Mädchen durch den Garten. Liebreizend und jungfräulich, wie wir sie im Schlafe gesehen, erschien sie auch jetzt. Dabei umspielte ein schalkhafter Zug ihren rosigen Mund und die Grübchen in Kinn und Wangen. Das volle braune Haar stahl sich unter dem purpurrothen Kopftüchlein hervor, und das leichte weiße Morgengewand mit den weiten Aermeln flatterte zwanglos um ihre geschmeidigen Glieder.
Jetzt bückte sie sich, brach eine junge Rosenknospe, spritzte den Thau, welcher auf derselben lag, ihrer alten Wärterin in’s Gesicht, lachte laut und glockenrein über ihren losen Streich, heftete die Rose an ihren Busen und begann mit wunderbar voller und anmuthiger Stimme zu singen:
»Als Eros einstmals Rosen brach,
Da ist es ihm geschehen,
Daß seine Hand ein Bienlein stach: