Die schönsten Kinderbücher (Illustriert). Гарриет Бичер-Стоу

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Die schönsten Kinderbücher (Illustriert) - Гарриет Бичер-Стоу


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auf Oliver lastete die Zeit nicht schwer, obgleich die junge Dame noch immer das Zimmer nicht verlassen durfte und von Abendspaziergängen keine Rede war, ausgenommen dann und wann ganz kurze mit Frau Maylie. Er verdoppelte seinen Fleiß in den Unterrichtsstunden des silberlockigen alten Herrn und war über seine schnellen Fortschritte selbst erstaunt. Da wurde er eines Tages durch einen unerwarteten Vorfall aufs äußerste erschreckt.

      Das kleine Zimmer, in dem er bei seinen Schularbeiten saß, war im Erdgeschoß, nach hinten hinaus. Man hatte von ihm die Aussicht auf den Garten, aus dem ein Pförtchen nach einem eingezäunten Rasenplatz führte. Jenseits war alles Wiesenland und Buschwerk und so hatte man eine ziemliche weite Rundsicht.

      An einem schönen Abend, in der Dämmerung, saß Oliver am Fenster, noch eifrig in einem Buche lesend. Da der Tag ziemlich schwül war, überfiel ihn plötzlich eine Müdigkeit, und er schlief über dem Buch ein.

      Zuweilen beschleicht uns eine Art Schlummer, die zwar den Leib gefangen hält, aber der Seele die Empfindung für die Außenwelt nicht nimmt. Oliver wußte daher recht gut, daß er in seinem eigenen kleinen Zimmer war – und doch schlief er. Plötzlich trat eine Umwandlung seiner Umgebung ein, die Luft wurde schwül, und er glaubte mit Angst und Schrecken, wieder im Hause des Juden zu sein. Dort saß der abscheuliche Alte in seiner gewohnten Ecke, zeigte auf ihn und flüsterte leise mit einem anderen Mann, der mit abgewandtem Gesicht neben ihm auf einem Stuhle Platz genommen hatte.

      "Pst, Freundchen", glaubte er den alten Juden sagen zu hören, "er ist es, gewiß und wahrhaftig. Komm weg!"

      "Glaubt Ihr, ich erkannte ihn nicht?" schien der andere zu antworten. "Wenn eine Legion von Teufeln seine Gestalt annähme, und er stände mitten unter ihnen, ich würde ihn herausfinden. Verscharrt ihn fünfzig Fuß tief und führt mich über sein Grab, ich würde es wissen, daß er drunten läge, wenn auch kein Merkmal oder sonst ein Zeichen es andeutete!"

      Der Mann schien diese Worte in einem so fürchterlichen Tone des Hasses zu sagen, daß Oliver entsetzt auffuhr und erwachte.

      Guter Gott! was trieb ihm da auf einmal das Blut so stürmisch zum Herzen und raubte ihm Sprache und Bewegungsfreiheit? Dort – dort – am Fenster – dicht vor ihm, so dicht, daß er ihn fast hätte berühren können, ehe er zurückprallte – mit durchdringenden Blicken ins Zimmer sehend und den seinigen begegnend – dort stand der Jude. Und neben ihm, blaß vor Furcht oder Wut, oder vielleicht beidem, der Mann mit wild verzerrtem Gesicht, mit dem er im Gasthaus des Posthalters zusammengestoßen war.

      Doch nur einen Augenblick – dann waren sie verschwunden. Aber er hatte sie und sie ihn erkannt. Er stand eine Sekunde wie vom Blitz getroffen da. Dann sprang er aus dem Fenster in den Garten und rief laut um Hilfe.

      Dreiundzwanzigstes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

       Welches das Wesentliche einer anmutigen Unterhaltung zwischen Herrn Bumble und einer Dame enthält und zugleich offenbart, daß auch ein Gemeindediener für manche Sachen empfänglich sein kann

      Es war ein bitterkalter Abend, und der Schnee lag fußhoch. Es war ein Abend, an dem jeder, der ein Heim hat, sich dicht an das flackernde Kaminfeuer drängt und Gott dankt, daß er zu Hause ist – eine Nacht, wo die Unglücklichen ohne Heim und Obdach nichts Besseres tun können, als sich hinzulegen und zu sterben.

      So sah es draußen aus, als Frau Corney, die Hausmutter der Armenanstalt, wo Oliver Twist das Licht der Welt erblickte, sich in ihrem kleinen Zimmer an den Kamin setzte., in dem ein lustiges Feuer prasselte, und wohlgefällig den kleinen runden Tisch überschaute. Sie war nämlich im Begriff, sich an einer Tasse Tee zu letzen; und als sie ihren Blick wieder dem Feuer zuwandte, wo der kleinste aller nur erdenklichen Teekessel sein lustiges Lied sang, wuchs ihre innere Zufriedenheit in einem solchen Maße, daß sie vergnügt lächelte.

      "Nun", sprach die würdige Dame vor sich hin, indem sie ihren Ellbogen auf den Tisch stützte und sinnend ins Feuer sah, "gewiß haben wir alle große Ursache, Gott dankbar zu sein, wollten wir es nur einsehen."

      Frau Corney schüttelte traurig den Kopf, als ob sie die Geistesblindheit der Armen beklage, die es nicht erkannten, fuhr dann mit einem silbernen Löffel (Privateigentum!) in eine zinnerne Teebüchse und begann den Tee zu bereiten.

      Was für geringfügige Anlässe nicht die Ruhe schwacher Gemüter stören können! Der schwarze kleine Teetopf lief über, während Frau Corney in diesen moralischen Betrachtungen versunken war, und das Wasser verbrühte ein wenig ihre Hand.

      "Verwünschter Topf", sagte sie und setzte ihn hastig nieder, "das dumme Ding hält nur ein paar Tassen. Ach, du lieber Himmel!"

      Der kleine Teetopf und die einzelne Tasse hatten in ihrer Seele traurige Erinnerungen an Herrn Corney geweckt, der noch nicht länger als fünfundzwanzig Jahre tot war. Eine tiefe Rührung bemächtigte sich ihrer.

      "Ich bekomme nie wieder einen solchen Mann", sagte sie mißmutig. "Nie wieder einen wie er."

      Sie kostete gerade die erste Tasse Tee, als leise an die Tür geklopft wurde.

      "Nur herein!" rief Frau Corey ärgerlich. Wahrscheinlich will wieder eines von den alten Weibern sterben, denn die sterben immer, wenn ich beim Essen bin. Bleibt nicht in der Tür stehen, es kommt kalt herein. Was ist denn los?"

      "Nichts, gar nichts", antwortete eine männliche Stimme.

      "Ach, du meine Güte", rief die Matrone schon freundlicher, "sind Sie's, Herr Bumble?"

      "Zu Diensten", erwiderte dieser und trat, seinen Dreispitz in der einen und ein Bündel in der andern Hand, ins Zimmer. "Soll ich die Tür schließen?"

      Die Dame zögerte verschämt mit der Antwort. Es hätte als unschicklich angesehen werden können, wenn sie mit Herrn Bumble bei geschlossener Tür geplaudert hätte. Dieser benutzte das Zaudern und machte die Türe zu, ohne weitere Erlaubnis abzuwarten.

      "Schlechtes Wetter, Herr Bumble", sagte die Matrone.

      "In der Tat, sehr schlecht", erwiderte dieser, "besonders für die Gemeinde! Wir haben heute nachmittag zwanzig Brote und anderthalb Käse verteilt, Frau Corney, und doch sind die Armen nicht zufrieden."

      "Wann wären sie es je", entgegnete die Dame, behaglich ihren Tee schlürfend.

      "Wann? Sie haben recht. Da ist ein Mann, der in Anbetracht seiner großen Familie ein Brot und ein ganzes Pfund Käse erhielt. Glauben Sie wohl, daß er sich dafür bedankt hat? Jawohl, um Kohlen hat er noch gebeten, wenn es auch nur ein Taschentuch voll wäre, sagte er. Kohlen! Was will er mit Kohlen? Wahrscheinlich seinen Käse damit rösten und dann wiederkommen und mehr erbetteln! So machen's diese Leute, Frau Corney."

      Die hielt mit ihrem Unwillen nicht zurück.

      »Vorgestern kam ein Mann", fuhr Bumble fort, "sie waren ja verheiratet, also kann ich's sagen – der kaum ein Hemd auf dem Leibe hatte, (Frau Corney schlug verschämt die Augen nieder) an die Tür unseres Direktors, als dieser gerade eine Mittagsgesellschaft hatte. Er bat um Unterstützung. Der Direktor ließ ihm ein Pfund Kartoffeln und ein halbes Pfund Hafermehl geben. 'Mein Gott' sagte der Undankbare, 'was soll ich damit. Sie hätten mir ebensogut ein Brille geben können!' 'Schön',versetzte unser Direktor und nahm die Gabe wieder an sich, 'dann .werdet Ihr gar nichts kriegen' – 'So werde ich auf offener Straße sterben', erwiderte der Landstreicher – 'Das werdet Ihe Euch noch überlegen', meinte der Direktor."

      "Ha! Ha! Das war gut. Das sieht Herrn Grannett ähnlich! Und was geschah weiter?"

      "Was geschah?" wiederholte Bumble. "Er ging weg und starb tatsächlich auf der Straße. Was sagen Sie zu solchem Eigensinn?"

      "Unglaublich! Aber halten Sie eine Unterstützung außer dem Hause nicht für direkt zwecklos? Sie sind ein Mann von Erfahrung und müssen das wissen."

      "Nein, Frau Corney", sagte der Gemeindediener überlegen, "Unterstützung außer dem Hause


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