Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May


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der arme Försterssohn, hat ganz die Prärogative einer fürstlichen Abstammung.«

      Je länger ihr Auge auf dem Bilde verweilte, desto inniger und liebevoller wurde der Blick des schönen Mädchens.

      »Wenn er Hellenbach wäre!« flüsterte sie.

      Sie blickte schnell um sich, als ob sie befürchtete, von Jemand gehört worden zu sein. Sie hatte da einen Gedanken ausgesprochen, welcher zwar als leise, unbestimmte Ahnung in ihrem Herzen gelegen hatte, aber niemals zum greifbaren Ausdruck gekommen war. Und fortgerissen von dieser augenblicklichen Empfindung zog sie das Album empor und drückte einen Kuß auf die Photographie.

      »Er kommt; er kommt ja! Bei ihm werde ich den besten Rath erlangen. Hier aber ist es mir zu enge; hier wird mir's bange: ich muß hinaus aus dem Zimmer!«

      Sie legte, als gelte es dem Ersticken zu entrinnen, in schneller Hast die Seidenrobe ab und griff zu einem anderen Gewande.

      Als die Zofe Ella vorhin durch den Wink des Barons aufgefordert worden war, das Zimmer zu verlassen, hatte sie geahnt, daß die Unterredung zwischen Vater und Tochter eine wichtige sein werde. Darum war sie auf den Gedanken gekommen, draußen zu lauschen, und – sie hatte Alles gehört. Als sie bemerkte, daß der Baron gehen werde, hatte sie sich schleunigst entfernt. Jetzt kehrte sie zurück und beeilte sich, ihrer Herrin beim Umkleiden zu helfen.

      »Ich promenire nach dem Tannenstein,« sagte Alma, als sie fertig war. »Man wird mich jetzt wohl nicht bedürfen.«

      Sie ging, und das Auge der Zofe folgte ihr, bis sie durch das Thor geschritten war.

      »Da ist sie fort, die Braut Hellenbach's, die Schöne, die Unvergleichliche!« murmelte sie. »Sie sah nicht sehr glücklich aus! Und da das Album aufgeschlagen! Ah, das Bildniß Brandt's! Sie hat ihn mit Hellenbach verglichen; sie liebt ihn!«

      Die dunklen Augen der Zofe leuchteten in einem tückischen Lichte.

      »Und da,« fuhr sie fort, »ein Brief! Sie hat vergessen, ihn einzuschließen. Von wem mag er wohl sein?«

      Sie nahm das Papier, öffnete es und las:

      »Meine lieben Eltern!

      Ihr wißt genau, in welcher Weise bei Euch da oben an der Grenze die Wilderei und Pascherei betrieben wird. Die Schmuggler ziehen in förmlichen bewaffneten Karavanen herüber und hinüber und liefern den Grenzern geradezu Gefechte. Man vermuthet, daß sie eine feste Organisation und ein wirkliches Oberhaupt besitzen. Eine Eingabe des Herrn Barons von Helfenstein, in welcher er um außerordentliche Hilfe bittet, hat der Behörde vollends die Augen geöffnet. Man wird Militär detachiren und hat außerdem beschlossen, einen gewandten Polizeibeamten zu senden, der die heimliche Aufgabe zu lösen hat, den Verbrechern das Handwerk zu legen. Und denkt Euch mein Entzücken: Die Wahl ist auf mich gefallen. Ich habe schleunigst abzureisen und sende Euch kurz vor dem Einpacken diese Zeilen, um Euch von meiner Ankunft zu benachrichtigen. Wenn Ihr sie erhaltet, bin ich bereits unterwegs. In herzlicher Liebe Euer glücklicher

      Gustav.«

      Die Zofe legte den Brief zusammen und dann wieder an seine vorige Stelle. Es blitzte wie Schadenfreude über ihr Gesicht.

      »Wie gut, daß dieser Brief in meine Hände fiel!« flüsterte sie. »Ich muß meinen Bruder warnen. Dann mag Brandt sehen, ob er einen Pascher fängt!«

      Jetzt fiel ihr Auge auf die neue Robe, welche Alma wieder abgelegt hatte.

      »Welch ein herrliches Kleid!« sagte sie zu sich selbst. »Warum bin nicht ich als die Tochter eines reichen Freiherrn geboren! Welch eine Figur würde ich in diesem Kleide geben! Oder bin ich etwa weniger hübsch, wie diese Alma? Noch gestern erst sagte der Cousin, daß ich nicht nur hübscher, sondern sogar viel, viel schöner sei, als sie. Sie ist nach dem Tannensteine, und vor zwei Stunden kann sie nicht zurück sein. Wie wäre es, wenn ich einmal anprobirte? Ich muß sehen, ob ich es verstehen würde, mich in einer solchen Toilette zu bewegen.«

      Sie war eine volle, hohe Brünette von nicht viel über zwanzig Jahren. Sie hatte sehr Recht, sich für eine Schönheit zu halten. Ihr dunkelwelliges Haar, ihre feurigen Augen, ihr etwas scharf gebogenes Näschen, der ein Wenig breite, kräftig gezeichnete Mund, das Alles harmonirte mit der Energie, welche sich in ihren Bewegungen aussprach. Dieses Mädchen mußte einen festen Willen besitzen.

      Der so schnell gefaßte Entschluß wurde schleunigst ausgeführt. Sie legte das einfache, schwarze Kleid, welches sie trug, ab und griff dann zur Seidenrobe. Dabei fiel ihr Blick in den hohen Pfeilerspiegel. Sie blieb unwillkürlich mit ausgestrecktem Arme stehen. Ihr Auge leuchtete auf, und um ihre Lippen spielte ein stolzes, selbstgefälliges Lächeln. Sie warf den Kopf wie herausfordernd zurück und sagte:

      »Das, ja, das ist die richtige Stellung, um beurtheilen zu können, ob ich häßlich bin! Ich bin schön, schöner als tausend Andere! Dieser kleine und doch kräftige Fuß, dieses volle Bein, die Rundung der Hüften, diese Büste, dieser Arm! Wahrhaftig, ich kann unmöglich wünschen, schöner zu sein! Und wozu und für wen besitze ich diese Schönheit? Um die Frau irgend eines Koches, Kammerdieners oder Leibjägers zu werden? Kann ein solcher Mensch beurtheilen, welchen Schatz er in mir besitzt?«

      Sie schüttelte trotzig den Kopf und zog die Brauen zusammen.

      »Wer von der Natur so bevorzugt worden ist wie ich, der muß mit seinen Vorzügen zu rechnen verstehen. Dieser Herr Cousin Franz von Helfenstein ist so dumm, zu glauben, daß er seine reiche Cousine bekommen werde! Er sollte mich sehen, so wie ich hier stehe! Und dann erst im Seidenkleide! Ziehen wir es also einmal an!«

      Das Kleid schmiegte sich ganz vortrefflich um die vollen Formen der Zofe. Die Taille war tief ausgeschnitten; sie schloß auf den Achseln in Spitzenbouquets, ohne in Ärmel überzugehen. Nun zog das Mädchen die Nadeln aus ihrem Haar, so daß dasselbe reich und schwer über ihren Nacken herabfiel.

      »Da ist die Hofdame fertig!« sagte sie. »Kein Graf brauchte sich zu schämen, an meiner Seite zu sitzen! Sehen wir einmal, wie sich die Schleppe legt!«

      Sie schritt langsam auf und ab. Der schwere, seidene Stoff rauschte über den Teppich dahin. Daher kam es wohl, daß die Zofe ein leichtes Klopfen überhörte. Die Portièren wurden hinter ihr auseinander geschlagen, ohne daß sie es bemerkte, und der Cousin Franz von Helfenstein, mit dem sie vorhin auf dem Corridore gesprochen hatte, trat ein. Als er das Mädchen erblickte, machte er eine Bewegung der Ueberraschung und rief aus:

      »Donnerwetter! Ella! Ich glaubte, Cousine Alma hier zu treffen!«

      Sie stieß einen Schrei aus und fuhr erschrocken herum.

      »Mein Gott! Herr Baron!« rief sie. »Ich habe vergessen, das Vorzimmer zuzuriegeln!«

      »Das ist allerdings eine ganz bedeutende Vergeßlichkeit! Stände Cousinchen hier an meiner Stelle, sie würde wohl weniger nachsichtig sein als ich!«

      Er war näher getreten und betrachtete sie mit verschlingenden Blicken. In seinen Augen flackerte es eigenthümlich auf, nicht hell und rein, sondern trüb und unbestimmt, wie Irrlichter über die schmutzige Fläche eines Sumpfes tanzen.

      »Ich wollte – wollte –,« stotterte sie in größter Verlegenheit.

      »Sie wollten einmal dieses Kleid anlegen, um zu sehen, ob ich wirklich Recht hatte, als ich gestern behauptete, daß Sie viel schöner seien als Alma. Nicht wahr?«

      Sie erglühte bis tief in den Nacken herab. Um seine Lippen her spielte ein faunisches Lächeln. Er ergriff mit der Linken ihre Hand, strich ihr mit der Rechten in grob sinnlicher Liebkosung über den nackten Arm und sagte:

      »Liebe Ella, Sie können immerhin eingestehen, daß Sie schön sind; auch ich sehe es ja. Lassen Sie mich Ihnen meine Huldigung darbringen, so wie Sie es verdienen.«

      Er zog sie an seine Brust. Sie sträubte sich leise, aber keineswegs ernstlich, und dabei flüsterte sie:

      »Herr Baron, Sie lieben ja doch eine Andere.«

      »Eine Andere? Hm! Meinen Sie etwa, daß man nur Diejenige schön finden und


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