Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May


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bestraft wird und außerdem seiner Anstellung verlustig geht!«

      »Ich machte ihm weiß, daß ich wiederkommen und mit ihm theilen würde!«

      »Das ist sehr unwahrscheinlich, wird aber genau untersucht werden. Wer ist dieser Mensch hier?«

      Dabei deutete der Beamte auf Robert.

      »Fragen Sie ihn selber!«

      »Er war Ihr Helfershelfer? Er hat sich am Einbruche betheiligt?«

      »Ja.«

      »Wie kommen Sie zu ihm?«

      »Das ist meine Sache!«

      »Woher haben Sie die Leiter, den Revolver und die anderen Sachen?«

      »Die hat mir eben Der hier besorgt.«

      »So scheint er trotz seiner Jugend ein ganz und gar durchtriebener Kerl zu sein!«

      »Er ist gescheidter und gefährlicher als Ihr Alle!«

      »Hm! Sie wollen also nicht sagen, wer er ist?«

      »Er mag es selber sagen!«

      »Ganz wie Sie wollen! Durch ein verstocktes Verhalten verbessern Sie Ihre Lage keineswegs!«

      »Und Sie werden sie mir bei all Ihrer Klugheit auch nicht verschlimmern. Darauf können Sie sich verlassen.«

      Diese vorläufigen Erörterungen waren also zu Ende. Jetzt wurde der Thatbestand aufgenommen, und dann confiscirte man die Leiter nebst den anderen Gegenständen. Die Familie des Obersten war ganz außer sich vor Freude, daß Alles so gut abgelaufen war, und zeigte sich den Polizisten gegenüber von aufrichtigster Dankbarkeit. Endlich wurden die beiden Gefangenen in festen Gewahrsam gebracht. Man trug sie die Treppe hinab und brachte sie sodann mittels Schlitten nach dem Gefängnisse.

      Der Schlag, welchen Robert erhalten hatte, war ein außerordentlich kräftiger gewesen. Der herbeigeholte Gerichtsarzt erklärte, daß er zwar nicht tödtlich sei, sich vielleicht nicht einmal als sehr nachtheilig erweisen werde, daß aber trotzdem der Kranke wohl einen ganzen Tag liegen könne, ohne aufzuwachen.

      Dies war der Grund, daß man nicht eher erfuhr, wer er sei, als bis Pastor Matthesius kam, der ihn kannte. Matthesius war Gefängnißgeistlicher und pflegte darum täglich die Arrestlocale einmal zu durchwandern. Er traf Seidelmann und erzählte es ihm.

      Man kann sich denken, welche Sorge in dem Hause Nummer Zehn der Wasserstraße herrschte. Wilhelm Fels fehlte seit gestern Mittag, und seit Mitternacht war Robert verschwunden. Bertram hustete ohne Unterlaß, die Kleinen jammerten, Marie weinte. Die Letztere begab sich mit Tagesanbruch nach dem Atelier, in welchem Fels gearbeitet hatte. Sie mußte unverrichteter Dinge zurückkehren, denn man hatte noch nicht geöffnet.

      Sie war kaum eine Viertelstunde zu Hause, so wurde geklopft, und der Vorsteher trat ein. Er stellte sich, ohne einen Gruß auszusprechen, an der Thür auf, erhob den Arm und sagte:

      »Wehe Dir, Chorazim, wehe Dir, Bethsaida, wehe Dir, Jerusalem! Ich habe Eure Kinder unter mir versammeln wollen, wie eine Henne versammelt ihre Küchlein unter ihre Flügel, Ihr aber habt es nicht gewollt!«

      Der Vater und Marie ahnten sogleich, daß sein Erscheinen mit den Verschwundenen in Verbindung stehe. Darum fragte der Erstere, indem er vor Husten kaum reden konnte:

      »Warum rufen Sie Wehe? Was ist geschehen?«

      »Das will ich Euch sagen, alter, unverbesserlicher Sünder! Eure Wohnung ist nichts gewesen, als eine Diebes- und Räuberhöhle!«

      »Herr Seidelmann,« hustete der Auszehrende. »Das ist nicht wahr! Wir sind ehrliche Leute, was kann man uns nach sagen?«

      »Hat Euer Sohn Euch nicht gestern Abend eine Miethzinsquittung gebracht, Bertram?«

      »Ja. Er hat Ihnen doch den Zins bezahlt?«

      »Ja, das hat er. Aber wißt Ihr, wer ihm das Geld gegeben hat?«

      »Ja.«

      »Ah! Wer denn?«

      »Ein Jude hier in der Straße.«

      »Lüge, teuflische Lüge! Höllischer Trug! Ein Jude giebt niemals Geld. Die Anhänger der Lehre Mosis haben kein christliches Gemüth. Nein, kein Mensch hat ihm das Geld gegeben, sondern er hat es sich genommen.«

      »Genommen? Was soll das heißen?« keuchte der Alte, der jetzt vor Schreck zu zittern begann. »Er hat gesagt, daß er es erhalten hat, und was er sagt, das ist wahr. Robert hat mir niemals eine Lüge gesagt!«

      »Euch nicht, weil Ihr sein Verbündeter, sein Lehrmeister im Verbrechen seid. Mich aber täuscht Ihr nicht. Er hat das Geld genommen.«

      »Gott der Herr! Soll das etwa heißen, daß er es gestohlen hat?«

      »Ja!«

      Da fuhr der Alte von seinem Stuhle auf und rief:

      »Herr Vorsteher, ich bitte Sie, um Gottes willen, seien Sie doch nicht mein Mörder! Das wäre mein Tod!«

      »Ich muß die Wahrheit sagen, denn die Bibel sagt: Die Lüge ist ein häßlicher Schandfleck an dem Menschen und ist gemein bei ungezogenen Leuten. Ihr Sohn hat das Geld, wovon er die Miethe bezahlte, gestohlen. Und dann, nach Mitternacht, hat er sogar eingebrochen.«

      Marie stieß einen herzzerreißenden Schrei aus. Die Kleinen wimmerten. Der Alte warf die beiden Hände in die Luft und griff umher, als ob er nach einem Halt suche.

      »Ein – ge – bro – chen!« stöhnte er. »Das – das ist eine – eine – Lüge! Das – das thut mein – mein Robert – nicht!«

      Die Worte hatten einen Klang, als wären sie mit Hilfe eines Quirls aus dem Munde geholt worden.

      »Es ist keine Lüge!« fuhr der Vorsteher fort. »Haben Sie nicht nach Mitternacht da drüben zwei Schüsse gehört?«

      »Ja – aaa!«

      »Nun, Euer Sohn hat mit dem Riesen Bormann dort eingebrochen, um aus der Schublade des gnädigen Fräuleins die Juwelen zu stehlen. Man hat sie erwischt und festgenommen und nun stecken sie im Gefängniß, wo die Strafe ihrer wartet.«

      Die Augen des alten, braven Mannes wurden stier; aus seinen Lippen wich alle Röthe, und sein eingefallenes Gesicht war aschfahl geworden. Seine Brust arbeitete wie ein Vulkan, bei welchem eine Eruption bevorsteht.

      »Riese – Bormann – ein – ge – brochen! Gefäng – niß! Gott – mein Gott! – ich – ich ersticke! Es – es – kann nicht sein! Es – ist – ein Lüge!«

      »Lästere nicht, Alter!« rief der Fromme. »Ich komme aus dem Gefängnisse. Ich habe ihn gesehen. Er liegt noch wie todt da von dem Schlag, den er mit dem Todtschläger erhalten hat, als er den Polizisten mit einem Messer erstechen wollte.«

      »Todt –! Mess – sser! Er – er – er – stech –«

      Mehr brachte er nicht heraus, wenigstens keine Worte mehr. Es begann ganz eigenthümlich in seiner Kehle zu gurgeln; es gab ihm einige Stöße; dann war es, als ob Jemand ihn packe und mit aller Macht zur Erde schmettere. Er stürzte mit fürchterlicher Wucht nieder, und ein dicker, beinahe armesstarker Blutstrom quoll aus seinem Munde. Der Schreck hatte seine Adern zerschnitten und seine Lunge zerrissen: ein Blutsturz machte ihn zur Leiche. –

      Marie stieß abermals einen Schrei aus. Er klang, als wenn er gar nicht aus einer menschlichen Kehle komme. Sie warf sich auf den Vater, mitten in die rauchende Blutlache hinein. Die Kleinen kamen auch herbei, voller Angst und Entsetzen über den grausigen Anblick.

      »Gott! Gott! Erbarme Dich!« rief Marie. »Der Vater stirbt. Unser guter Vater stirbt! Helft, helft! Wir müssen ihn aufrichten!«

      Die schwachen Geschwister konnten nicht helfen. Sie schleppte den Todten zur Wand, um ihn an derselben aufzurichten. Der Vorsteher stand dabei, ohne ihr zu helfen.

      Da wurde die Thür geöffnet. Die Blinde erschien. Sie hatte den


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