Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May


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auf das Herz und eins auf den Mund. So!«

      Er legte ihr die rechte Hand wieder auf das Herz, dessen Schlag er bei der Fülle ihrer Büste kaum zu fühlen vermochte, schlang den linken Arm um sie, so daß er sie an sich zu ziehen vermochte, und drückte dann seinen Mund auf ihre Lippen, welche sie ihm fest und ohne Widerstreben hinreichte.

      So blieben sie eine ganze Weile sitzen, in einem innigen Kusse verschlungen, dann entzog sie sich seiner Umarmung, sah ihm lange forschend in die Augen und sagte dann:

      »Durchlaucht, haben Sie wohl eine Ahnung meines Characters?«

      »Ja, gnädige Frau,« antwortete er sofort.

      »Nun, wie bin ich? Ich zweifle sehr, ob Sie mich kennen. Wir sehen uns heute erst zum dritten Male. Sie müßten ein ausgezeichneter Psycholog sein, wenn Sie mich richtig beurtheilten!«

      »So werde ich Ihnen sogleich Gelegenheit geben, meinen psychologischen Scharfblick kennen zu lernen: Sie haben außerordentlich werthvolle seelische und körperliche Anlagen für die Liebe.«

      »Das gebe ich zu.«

      »Aber die Liebe ist bei Ihnen ein Selbstzweck. Sie haben die Gabe glücklich zu sein und auch glücklich zu machen; aber Sie gebrauchen diese Gabe nur dann, wenn Sie wollen.«

      »Auch das ist wahr.«

      »Und wenn Sie Liebe geben und Liebe finden wollen, so fühlen Sie sich als Feldherr.«

      »Was soll das heißen?«

      »Sie kommandiren. Sie warten nicht wie andere Damen, bis der Erwählte kommt, sonder Sie gehen zum Angriffe über, mit fliegenden Fahnen und siegenden Waffen.«

      »Halten Sie das für falsch?«

      »Nein, sondern im Gegentheile für sehr richtig. Die Liebe giebt gleiche Rechte und gleiche Pflichten. Warum soll das Weib warten, wenn der Mann vielleicht zu zaghaft ist?«

      »Ganz recht! Wir verstehen uns, mein lieber Fürst. Sie haben mich wirklich bis tief hinab durchschaut. Wissen Sie auch noch das Weitere?«

      »Gewiß!«

      »Nun?«

      »Sie wollen mir sagen, daß Sie mich lieb haben!«

      Sie sah ihm ganz begeistert entgegen. Sie hatte noch Keinen gefunden, der in dieser so ganz selbstverständlichen Weise mit ihr gesprochen hatte.

      »So ist es!« antwortete sie.

      »Aber diese Liebe ist nicht eine willenlose Gluth?«

      »Nein.«

      »Sie hätten genug Macht über sich, mich nicht zu lieben. Aber Ihr Herz ist mir nicht abgeneigt, und da Ihr Verstand dabei auch seine Rechnung findet, so haben Sie Ihrer Liebe gestattet, sich mit jener Rapidität zu entwickeln, welche allen Ihren Seelenstimmungen eigen ist.«

      »Wahrhaftig, Sie kennen mich ganz und gar! Aber denken Sie nicht, daß meine Liebe so gar sehr von meinem Willen abhängig ist. Ich bringe Ihnen eine hochlodernde Gluth, eine schrankenlose Hingebung und eine unverbrüchliche Treue entgegen. Was bieten Sie mir dafür?«

      »Nichts!«

      Sie fuhr zurück und erbleichte. Das hatte sie nicht erwartet.

      »Nichts?« fragte sie beinahe tonlos.

      »Ja, gar nichts!«

      »Mein Gott, ist es denn möglich, daß ich Sie recht verstehe?«

      Er las eine förmliche Herzens- oder Seelenangst aus dem schwimmenden Blicke, den sie auf ihn gerichtet hielt. Er hatte seine Absicht erreicht. Er las auf dem Grunde ihrer Seele, daß sie seit heute, seit gestern nicht mehr so war, wie sie früher gewesen war. Sie liebte ihn wirklich; sie liebte ihn so, wie sie wohl noch nie geliebt hatte; sie konnte ohne seine Gegenliebe sich wohl nie, nie wieder glücklich fühlen.

      »Sie verstehen mich allerdings nicht recht, beste Baronin,« antwortete er. »Sie reden von einer lodernden Gluth, einer schrankenlosen Hingebung und einer unverbrüchlichen Treue, welche Sie mir entgegenbringen; Sie fragen mich, was ich Ihnen dafür biete, und ich bin gezwungen, mit ›Nichts, gar nichts‹ zu antworten, denn diese Gluth, diese Hingebung, diese Treue, sie können nicht schrankenlos und unverbrüchlich sein, wie Sie sagen, sondern sie haben ihre, und zwar höchst engere Grenzen.«

      »Nein.«

      »O, doch!«

      »Nein, sage ich!« wiederholte sie in erhobenem Tone, indem ihre Augen in einem Feuer glühten, welches man nicht nur ein vulkanisches, sondern ein plutonisches hätte nennen mögen. Es war ein tief und still zehrendes Feuer, welches leicht den Tod bringen konnte.

      »Sie sind – –!«

      Er sah ihr mit jenem starren Blick in die Augen, welcher auf eine unterirdische oder vielmehr unterseelische Gefühlsrevolution schließen läßt, die unter dieser starren, ausdruckslosen Irisdecke wüthet. Sie schlang die Arme fester um ihn, drückte ihn inniger an sich und mahnte:

      »Sprechen Sie, sprechen Sie weiter!«

      »Darf ich denn?« fragte er.

      »Ja, ich wünsche es! Ich bitte Sie darum!«

      »Sie gehören einem – einem anderen Manne. Sie sind verheirathet!«

      »Aber ich liebe diesen Mann nicht!«

      »Wenn ich liebe, will ich glücklich machen und glücklich sein. Welche Garantien des Glückes aber bietet mir die Liebe zu einem Weibe, welche das ganze, persönliche, ausschließliche Eigenthum eines Andern ist, dem das Gesetz das Recht giebt, ihre Seele, ihr Herz, ihr Leben, ihren Körper zu besitzen, wo und wann es ihm beliebt?«

      Da sanken ihre Arme langsam von ihm nieder. Sie erhob sich und schritt einige Male im Zimmer auf und ab. Dann blieb sie vor ihm stehen und fragte, indem die tiefste Erregung aus allen ihren Zügen sprach:

      »Durchlaucht, wollen wir ohne Rücksicht mit einander sprechen? Darf ich rückhaltslos und unumwunden mit Ihnen reden?«

      »Sie dürfen es. Es ist sogar mein inniger Wunsch, daß dies geschehe!«

      Da sank sie langsam vor ihm in die Kniee, schlang die Hände um seinen Leib und sagte:

      »Ich liebe Sie! Ich liebe Sie namenlos und unaussprechlich! Ich habe einst eine Jugendliebe gehabt, heiß, innig, aber verborgen. Das Herz Dessen, für den ich lebte und von dem ich träumte, gehörte einer Anderen. Er sah mich nicht; er beachtete mich nicht. Meine Liebe war eine verschwiegene und unglückliche. Jetzt ist es mir, als sei jene Liebe vom Tode erstanden und tausend, tausend Mal mächtiger und gewaltiger geworden! Ich habe ihr widerstehen wollen, aber ich bin zu schwach dazu. Ich fühle mich Ihnen gegenüber als ein ohnmächtiges Weib, welches kein größeres Glück auf Erden kennen und haben möchte, als Ihre Dienerin, Ihre Sclavin zu sein.«

      »Und dabei sind Sie die Sclavin eines Anderen, die Sclavin Dessen, dessen Weib Sie sich nennen!«

      »Ja, Sie haben Recht. Ich fühle mich als Sclavin, als armselige Sclavin der Verhältnisse, welche mir früher so glänzend erschienen. Wären Sie ein armer Mann, so würde ich Sie auffordern, mit mir fortzugehen, zu fliehen, weit weg, wo uns Niemand kennt, und dann sollte mein ganzes Leben, all mein Denken und Wollen, Ihnen gehören, und Sie würden so glücklich sein, wie ein Mann durch die aufopferndste Liebe seines Weibes nur immer und jemals werden kann!«

      Jetzt gab es keine Spur von Berechnung mehr bei ihr. Sie war von einer verzehrenden, flammenden Leidenschaft erfaßt worden, gegen die sie keinen Widerstand zu finden vermochte. Er beugte sich zu ihr nieder, legte ihr die Hand unter das Kinn, hob ihren Kopf zu sich empor und sagte:

      »Beichten Sie mir, Ella!«

      »Was?« flüsterte sie.

      »Von jener Jugendliebe. Wer war Der, den Sie liebten?«

      »Ein Försterssohn, bei der Polizei angestellt.«

      »Wie hieß er?«


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