Frostsklave. Regina Mars

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Frostsklave - Regina Mars


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Stimme herauszuhalten. Wütend zu schauen, so wütend, wie man es von einem Biest erwartete. »Ich arbeite. Ich schufte mir den Rücken krumm für Vati und dich. Was ist das für eine Scheiße, die du da laberst?«

      Sie hob das Kinn. Das breite Oshin-Kinn, das seinem so ähnelte, obwohl er sie um zwei Köpfe überragte. Einen Moment lang trug sie das verschlissene Kopftuch wie die Bürgermeisterin ihren gefiederten Hut.

      »Wir können den Hof auch ohne dich bestellen, Junge. Und dein Bruder sucht sich 'ne Frau, hoffentlich bald, und dann ist kein Platz mehr für dich. Sie werden Kleine haben und so. Du musst gehen.«

      »Warum ich?«, fragte er, obwohl er die Antwort kannte. Sie waren zu elft. Mutter, Vater, zwei ältere Geschwister und sechs jüngere.

      Aber nur einer von ihnen war verflucht.

      »Du weißt, warum.« Ihre Stimme war hart. Ihr Blick war härter. »Ich kann es nicht ändern. Wenn ich deinem Vater gut zurede, lässt er dich noch bis zum Herbst hier.«

      Gal schwieg. Dabei hätte er eine Menge dazu sagen können. Zum Beispiel:

       Klar, für die Ernte im Herbst braucht ihr mich ja noch. Aber dann kann ich gehen.

      Oder:

       Wenn Vati mich loswerden will, soll er es mir ins Gesicht sagen. Egal, wie scheißhässlich mein Gesicht ist.

      Oder:

       Es ist nicht meine Schuld, dass das Monster auf dich gezeigt hat.

      Ein Monster wie das, das mitten auf dem Marktplatz stand, die Hände im Pranger, und mit stierem Blick in die Ferne schaute. Pferdeäpfel und Kohlblätter klebten auf seinem Kittel und den bloßen Armen. Es sah aus wie ein magerer Mann mit Hakennase, kaum älter als Gal mit seinen siebzehn Jahren. Aber alle wussten, dass es kein Mann, sondern ein Monster war. Ein Brandstifter.

      Sie hatten ihn aus einem der Dörfer östlich von Hamparal geholt. Er stand am Pranger, weil sein Onkel ihn gestern dabei erwischt hatte, wie er ohne Feuerstein oder Glut ein Feuer entzündet hatte. Nur mit seinen Händen. Die Hände, die nun im Metallpranger steckten. Morgen würden sie ihn fortjagen. Wenn er Glück hatte. Dem letzten Brandstifter hatte man die Kehle durchgeschnitten, nachts, während er am gleichen Platz gestanden hatte wie der Mann da oben.

      Gal kannte ihn vom Sehen. Einmal hatte der Kerl ein Stück Pökelfleisch bei ihm gekauft und wie alle versucht, ihm nicht in die Augen zu sehen. Nichts von dem Fluch abzubekommen, der Gal zur hässlichsten Missgeburt des gesamten Herzogtums machte.

      Nun stand er da oben, voll Scheiße, und Gal war immer noch eine hässliche Missgeburt. Noch. Bald würde er eine heimatlose hässliche Missgeburt sein.

      Er sah sich um. Krumme Fachwerkhäuser stachen in den bewölkten Himmel. Der Boden zu seinen Füßen war uneben und plattgetrampelt. Von den unzähligen Menschen, die an ihrem Karren und dem Stand vorbei strömten, kannte er nur wenige. Doch alle erkannten ihn. Das verfluchte Balg. Das, auf das einst ein Brandstifter gezeigt hatte, als Gal Mamas Bauch noch fett und rund gemacht hatte. Der Mistkerl hatte ihn verflucht, bevor sie ihn aufgeknüpft hatten.

       Du wirst einen Dämon gebären, Weib.

      Gal unterdrückte das Bedürfnis, seine Hörner zu berühren, wuchtete einen weiteren Kürbis vom Karren und stierte ein Kind böse an, das ihn aus kreisrunden Augen ansah. Es erschrak und flüchtete zurück in die Menge.

      Niemand würde ihn aufnehmen, egal, wie hart er arbeitete. Er hatte nur eine Möglichkeit, und die war tödlich.

      »Du willst, dass ich mich den Söldnern anschließe«, sagte er zu seiner Mutter. Bitterkeit triefte aus seiner Stimme. »Richtig?«

      Sie nahm einen weiteren Kürbis aus dem Wagen. »Sie zahlen gut. Dreizehn Gulden im Monat. Ganz bestimmt. Balogs Jüngster hat dreizehn bekommen.«

      »Balogs Jüngster ist tot.« Er versuchte, sich nicht zu fürchten. Redete sich ein, dass einem hässlichen, riesigen, verfluchten Mistkerl nichts Angst machen konnte. Aber die Angst scherte sich nicht darum. Wie ein Dolch bohrte sie sich durch seine Eingeweide. Er schmeckte Galle. »Er ist gefallen, kaum, dass er sich eingeschrieben hatte. Das sind sie alle. Weißt du noch, wie die Anheurer hier aufgekreuzt sind? Wie sie jedem Jungen einen Humpen Dunkles gekauft haben und erzählt haben, wie viele Gulden sie vom Herzog bekommen? Dafür, dass sie gegen den Drachenbaron kämpfen.« Beim Erntefest hatten sie sie angeworben, weil sie wussten, dass im Winter jedes hungrige Maul eins zu viel war. Weil die Eltern händeringend nach einem Weg suchten, jeden Sohn loszuwerden, der kein Stammhalter war. So wie er. »Sie sind alle tot. Nagy, Gaspar und Fodor. Und die beiden aus Onnere, die sie schon dabei hatten. Jeder, den sie angeheuert haben, ist verreckt.« Wütend sah er sie an. »Soll ich auch abkratzen? Willst du das?«

      »Ich will, dass dein Vater wieder lacht«, fauchte sie. »Seit du geboren wurdest, bläst er Trübsal. Seit du wächst wie Gestrüpp, seit du frisst wie ein Ochse. Es ist zu viel, Gal! Es reicht! Siebzehn Jahre haben wir uns um dich gekümmert und es ist Zeit, dass du auf eigenen Beinen stehst!«

      Er wusste, dass sie recht hatte. Und doch war er mutlos. Wer würde ihm Arbeit geben, so, wie er aussah? Niemand.

      Sein Blick fiel auf eine der dreckigen Pfützen, die der Sommerregen hinterlassen hatte. Sein Spiegelbild blickte ihm entgegen, breitschultrig, unförmig, rotäugig und rothaarig. Die beiden Hörner, die ihm aus der Stirn wuchsen wie einem Widder, ließen ihn noch gruseliger aussehen. Sie waren kürzer als sein kleiner Finger, aber es reichte. Seit er denken konnte, wollte ihm niemand in die Augen sehen. Seine Familie hatte sich daran gewöhnt, aber jetzt, inmitten so vieler Fremder, wurde er angestarrt wie ein dreiköpfiges Ferkel.

      Sein Magen verhärtete sich. Er hatte nur zwei Möglichkeiten. Söldner werden. Oder weggehen. Weit weg, irgendwohin, wo man Missgeburten wie ihm Arbeit gab, solange sie sich ordentlich anstellten. In eine noch größere Stadt. Und das machte ihm mehr Angst, als dem Drachenbaron selbst gegenüberzutreten.

      Was, wenn mich noch mehr Leute anstarren?, flüsterte eine Stimme in seinem Hinterkopf.

      Dann hau ich ihnen die Zähne raus, dachte er. Dann klopf ich ihnen die Schädel weich und reiß ihnen die Klöten ab.

      Er war ein Scheusal, ein Biest. Es war ihm egal, wer ihn anstarrte, er fürchtete sich nicht. Er konnte es sich nicht leisten, sich zu fürchten.

      Als Kind hatte er sich genug Schläge und Tritte eingefangen, um das zu wissen. Bei den anderen Bauernkindern und in der Stadt.

      Einmal hatten sie ihn in einen Hinterhof gelockt. Drei andere Jungs, mit dem Versprechen, dass der Hund des einen Welpen hatte, und er sich einen aussuchen konnte. Gal wurde schlecht, wenn er daran dachte. An das warme, zittrige Gefühl in seiner Brust. Wie er sich danach gesehnt hatte, einen kleinen Hund in seinen Armen zu halten. Hunde liebten einen, egal, wie man aussah. Egal, ob man eine gehörnte Missgeburt war.

      Aber es hatte keine Welpen gegeben. Nur mehr Schläge. Der eine Junge hatte ihm eine Zaunlatte über den Kopf gezogen. Als er sich nicht mehr rühren konnte, hatten sie ihn vollgepisst. Und als er stinkend zu seiner Mutter gewankt war, hatte sie ihn nur angesehen und geseufzt.

      An Schmerzen war er gewöhnt. An ihre enttäuschten Blicke auch. Aber der Moment der Hoffnung hätte ihn beinahe gebrochen.

      Ein Hund, hatte er gedacht. Noch Monate später hatte er sich beim Einschlafen vorgestellt, dass ein Welpe bei ihm war, dass er den warmen Körper in den Armen hielt. Ein Welpe, den es nie gegeben hatte.

      Einfach erbärmlich.

      Sie entluden den Karren und bauten den Stand auf, dann war seine Arbeit beendet. Für den Aufbau war er der Beste, kräftig und schnell, viel stärker als jeder seiner Brüder. Aber kaufen wollte niemand bei ihm. Nicht von einem rotäugigen, rothaarigen Biest. Seine Mutter schickte ihn weg, kaum, dass Gal die letzten Möhrenbunde aufgeschichtet hatte.

      »Viel Spaß«, sagte sie säuerlich. Sie neidete ihm die Freizeit, die sie nie hatte.

      Er knurrte und ging.


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