Frostsklave. Regina Mars
Читать онлайн книгу.aber er erhörte sie nicht. Die Wolken hingen grau am Himmel, ohne einen Tropfen Wasser abzugeben.
»Das war ein Brandstifter«, murmelte die Frau hinter Gal. »Bestimmt. Elende Monster. Der Herr der Wölfe soll sie holen und ihnen Würmer in die Nille stopfen.«
Jemand schrie. Eine Frau stolperte heran, fiel nieder und rappelte sich wieder auf. Blonde Strähnen hatten sich aus ihrem Zopf gelöst und ihr Gesicht war eine panische Fratze.
»Boghos!«, brüllte sie und deutete auf das Haus links von dem lichterloh brennenden. Rauch kroch aus den Fensterläden. Das Dach brannte. Es ließ sich nicht sagen, wie weit das Feuer dort drinnen schon fortgeschritten war. Auch durch diese Tür rannten Männer mit Eimern.
»Boghos!«, schrie die Frau und heulte wie eine verletzte Wölfin. »Mein kleiner Boghos ist da drin. Ich konnt ihn doch nicht zur Arbeit mitnehmen. Er ist da drin!«
Sie stolperte auf die Tür zu. Zwei Männer stürzten vor und packten sie.
»Lass das«, knurrte einer. »Lieber dein Kind als du.«
Sie schrie und trat um sich. Erwischte einen mit einem Holzschuh am Knie. Aber er ließ nicht los, auch wenn sein Gesicht schmerzverzerrt war.
»Boghos!«
Gal sah, dass Lukacs' Schultern sich strafften. Hörte ihn leise fluchen. Und dann rannte der Trottel los. An den Männern vorbei, die die tobende Frau festhielten. Unter dem dicken Türbalken hindurch, unter dem bereits schwarze Schwaden hervorkrochen.
Gal überlegte nicht lange. Von einem verwöhnten Bürgermeistersöhnchen würde er sich nicht abhängen lassen. Es sollte nachher niemand sagen, dass das Biest dumm rumgestanden hatte, während der mutige Lukacs in das Haus gerannt war, um das Kind zu retten.
Der Ewige hab ihn selig, würden sie vermutlich auch sagen. Was das Söhnchen da machte, war Selbstmord. Aber mutig.
Gal fühlte sich nicht allzu mutig, als er ihm folgte. Über schwarze Dielen, die dumpf unter seinen Stiefeln hallten. Er hörte das Knacken des Feuers, das sich in die seitlichen Balken fraß. Das Licht war weg. Er brauchte einen Moment, um seine Augen an die Finsternis zu gewöhnen, an den spärlichen Schimmer, den sie ihm ließ. Beinahe wäre er in eine krumme Holztreppe gerannt. Er stieß sich den dicken Zeh, als er hochstolperte wie ein besoffener Ochse.
Lukacs stolperte nicht. Der rannte wie ein junger Hirsch vor ihm nach oben. Sein Hintern verformte sich unter der grünen Hose und Gal stolperte schon wieder.
Raus aus meinem Kopf, Herr der Wölfe!, herrschte er den Widersacher des Ewigen an. Der flüsterte ihm nur weiter zu, wie lecker Lukacs' Kehrseite unter dem dünnen Stoff war.
Irgendwann hatte der Ewige ein Einsehen und schickte dichten Rauch, der den Anblick verdeckte, zumindest teilweise. Sie rannten über einen Teil der Treppe, der schon halb in Flammen stand. Die Hitze traf Gals Haut und er glaubte, dass sie ihm vom Körper platzen würde.
Er hustete, krümmte sich und konnte nicht aufhören, nach Luft zu schnappen. Seine Nase lief. Er fürchtete zu ersticken. Eine dunkle Schwade ließ er hinter sich, aber mehr waren auf dem Weg. Lukacs und er waren im dritten Stock angekommen.
Das Söhnchen blieb stehen und lauschte. Gal lauschte auch, hörte aber nur das Knacken um sie herum, während die Hitze sich durch Holz, Lehm und Stroh fraß. Das Geschrei draußen.
Nein, halt.
Jemand schrie, hier drinnen. Es war ein dünnes Geräusch, hoch und atemlos.
Ein Säugling.
Lukacs rannte bereits weiter, durch den engen, verrauchten Flur, in die Richtung, aus der der Laut kam. Gal folgte ihm.
»Mist!« Lukacs rüttelte an einer Türklinke. Verschlossen. Verzweifelt trat er gegen das alte Holz.
»Aus dem Weg!«, brüllte Gal.
Lukacs wirbelte herum. Seine Augen weiteten sich, als er ihn sah. Hatte er nicht kapiert, dass Gal ihm folgte?
Gals Schulter traf auf das Holz und rammte sie auf. Schmerz schoss durch seinen ganzen Arm und er schaffte es nicht, das Stöhnen zu unterdrücken. Die Wucht schleuderte ihn durch in den Raum wie eine Kegelkugel. Beinahe wäre er gegen die stinkende Wiege geprallt, die an der Wand stand. Verbrauchte Luft umfing ihn, aber gegen den Rauch da draußen roch sie wie eine Frühlingsbrise.
Das Gesicht des Säuglings war rot-verschrumpelt wie ein Winterapfel. Er brüllte sich die Lungen aus dem Leib. Gal packte ihn und hob ihn an seine Brust. Das Kind stank, seine Windeln waren vollgesogen und tropften. Gal verzog das Gesicht.
»Willst du ihn halten?«, fragte er Lukacs, doch der war bereits wieder auf dem Rückweg.
Nur gab es keinen Rückweg mehr. Die Treppe stand in Flammen. Gal hätte Lukacs beinahe hinuntergekegelt, weil der so abrupt stehenblieb.
»Scheiße«, murmelte der Schönling. Er war totenblass. Entsetzt starrte er in die dichten Flammen. Gal sah die Todesangst in seinen Augen und war sich nicht ganz sicher, ob der Uringeruch, der um seine Nase wehte, wirklich von dem Säugling stammte.
Ich sterbe hier, dachte er und Kälte breitete sich in seinem Magen aus. Der Säugling schrie ihm ins Ohr und er spürte das Knacken unter seinen Füßen, zitterte wie ein Blatt im Sturm.
»Hilfe«, krächzte er.
Lukacs sah sich zu ihm um. Sein Mund war ein weißer Strich und jedes Lachen war aus seiner Miene verschwunden.
Trotz der Panik, die ihn lähmte und ihm einen Kloß in den Hals rammte, ärgerte sich Gal, dass er sich so schwach gezeigt hatte. Vor Lukacs. Der tief Luft holte, trotz des Rauchs, der unter der Decke umherkroch.
»Bitte«, murmelte das feine Söhnchen und streckte die Hand aus. Streckte alle Finger aus, als könnte er sie wachsen lassen, als könnten sie das Feuer löschen.
Was sie konnten. Es ging so schnell, dass Gal nicht kapierte, was geschah. Ein Zischen, Rauch wurde zu Dampf und dann brannte die Treppe nicht mehr.
Eisblumen überzogen sie. Wasserdampf stieg auf und es roch nach Winter. Alles war weiß, die krummen Stufen, das splitternde Geländer, die Wände und die Decke.
Kälte schlug Gal entgegen. Er starrte Lukacs an. Der ballte die Fäuste und schaute, als müsste er sich übergeben.
»Guck nicht so blöd«, presste das Söhnchen hervor. »Komm. Bevor wieder alles in Flammen steht.«
Gal folgte ihm, rutschte auf der Treppe aus und fing sich wieder, ohne den Säugling loszulassen, der brüllte wie am Spieß.
Ein Kalter, schoss es in sein Hirn. Lukacs Andon ist ein Kalter.
Ein Monster.
Er konnte nicht anders, als ihn anzustarren. Den Rücken der fein bestickten Jacke, unter der sich Muskeln spannten. Die rußgeschwärzten Haare, die nicht länger blond aussahen.
Ein Monster.
Das sie gerettet hatte. Hustend stürmten sie die Treppen hinunter, durch Rauchschwaden, über glühendes Holz. Nach draußen.
Die Luft war das Leckerste, das Gal je gerochen hatte. Die verkrampften Gesichter in der Eimerkette so wunderhübsch, die krummen Häuser heimelig und gemütlich.
Ich lebe, dachte er.
Lukacs stolperte vor ihm, ging in die Knie. Seine Freunde schossen auf ihn zu, packten ihn an den Schultern, richteten ihn wieder auf. Niemand kam, um Gal zu helfen, also hielt er sich auf den Beinen. Der Säugling schrie immer noch.
Die Mutter riss die Augen auf, als er ihr das tropfende Bündel hinhielt.
»Hier«, brummte er, weil er nicht wusste, was er sonst sagen sollte. »Das ist er, oder?«
»Boghos«, krächzte sie. Ihr tränennasses Gesicht verzog sich schon wieder. Sie nahm den Kleinen entgegen und drückte ihn an sich, egal, wie sehr er stank. »Mama ist hier, mein Kleiner. Mama ist hier.«