Grischa der Geiger. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.Teehändler Grigorieff hineingeworfen und gestopft. Alles, selbst die kostbarsten Prunkstücke. Da oben auf dem Holzschragen, der die ganze Länge der Hinterwand einnimmt, liegen sie, aus ihren Glasvitrinen der Galeriesäle unten gerettet. Märchengrün leuchtet da der mächtige Smaragd von Bagdad, himmelblau der berühmte Sternsaphir von Peking, safrangelb die tauben eigrosse Perle Luciana, blutrot der riesige Rubin des letzten Zaren von Kafan.
Aber das alles verblasst gegen die Königin der Sammlung Grigorieff — eine entthronte Königin hier im nachtdunklen Exil und doch so sieghaft, wie sie durch ein Jahrtausend über den Wechsel der Völker und der Fürsten geleuchtet: die Krone des heiligen Alexander Newski von Wladimir, märchenhaft alt, märchenhaft an Wert, mit den neunhundert Diamanten und Perlen von unwahrscheinlicher Grösse, die den Stirnreif aus frühbyzantinischern Filigrangold überglitzern und das edelsteinfunkelnde Erlöjerkreuz über dem Diadem mit dem sagenhaften Mammut-Diamanten Indrapat krönen.
Lasse dich nicht blenden, Grischa! Noch sieben Minuten. Dann ist das Gnadengeschenk des Schicksals, dann ist die Viertelstunde verstrichen. Greif zu, Grischa! Greif zu! . . . Das alles liegt bereit! Das alles sucht seinen Herrn! Das alles will zu dir!
Sieben Minuten. Genug, um den kostbarsten Inhalt der Geheimkammer in das Mondlicht der Nummer acht herauszuholen! Vor allem die Krone Alexander Newskis! Sie ist allein beinahe soviel wert wie alle an dern Schätze zusammen. Grischa der Geiger streckte beide Hände nach dem Kleinod aus, fuhr mit einem halblauten Schreckensruf herum. Gelber Lichtschein vom Flur fiel durch die jäh aufgestossente Türe in das dämmerige Gemach. Eine dunkle Männergestalt stand auf der Schwelle.
„Schwurst du nicht bei der Mutter von Kasan, nicht hier einzudringen, Jermolai?“ rief Grischa atemlos. Und ein plötzlicher Schrecken: „Oder droht Gefahr?“
Der an der Türe hob warnend den Arm und nun erkannte Grischa: das war nicht der Psalmensänger. Dieser wirre Bart, dieses hagere Hungergesicht gehörten dem Professor Iwan Flug von nebenan. Ein blinder Zorn überkam Grischa. Er packte den Bettler an der schmutzigen, offenen Hemdbrust und drängte ihn hinaus.
„Störe mich nicht, du Wahnsinniger!“ keuchte er. Und das verwilderte Menschenskelett im Ringen init ihm mit einer plötzlich starken, tiefen, ganz veränderten Stimme:
„Merken Sie denn nichts, Sie Verrückter?“
„Jermolai . . .“ Im Kampf mit Iwan Flug schaute Grischa durch den Flur. „Warum liessest du den Iwan herein? . . . Jermolai – wo bist du?“
„Jermolai!“ der andere wies mit der Knochenhand durch die offene Flurtüre in das Stiegenhaus. „Da draussen winkt er über den Geländerstrick der Geheimpolizei zu! Sie kommen! Hören Sie nicht die vielen dumpfen Tritte auf der Treppe?“
„Was ist das?“ stammelte Grischa der Geiger.
„Ich habe Sie schon seit Wochen beobachtet!“ Plötzlich sprach der wahnsinnige Professor ganz vernünftig, ganz zusammenhängend und klar. „Ich hörte das Gerumpel in der Mauer! Ich ahnte, mas vorging! Ich musste Sie retten! Schnell!“
Er riss den Geiger mit sich, dem dämmerigen Ende des Flurs zu. Grischa taumelte.
„Wer sind Sie?“ keuchte er.
„Einerlei! . . . da . . .“ Iwan Flug wandte die Hohlaugen über die Schulter rückwärts. „Da sind sie schon draussen auf dem Treppenabsatz! Ilja und der Tatar an der Spitze! Rennen Sie hier die Hintertreppe hinab! Mit Gott, Kamerad!“
Es klang seltsam fanatisch, dies Kamerad!“ . . . Der Professor Iwan Flug schlurfte eilig in seine Nummer neun zurück. Er kletterte auf seine zerrissene Matratze. Er sass aufrecht auf ihr, starr, mit offenem Mund, und schlief mit offenen, verglasten Augen — ein lebender Leichnam. So mochten sie ihn sehen, die roten Büttel, wenn sie auf der Suche nach Grischa in sein Zimmer drangen.
Und in Grischa dem Geiger war in dieser Sekunde nur noch eines: der blinde Selbsterhaltungstrieb der Kreatur. Gott sei Dank: jedes bessere russiche Haus hatte seinen rückwärtigen Eingang, seine schwarze Treppe. Da, am Ende des Flurs, führte die schmutzstarrende, steinerne Stiege steil in die Tiefe. Grischa sprang in Sätzen durch das Dunkel die Stufen abwärts. Es schoss ihm unterwegs durch den Kopf: drunten an der Hinterpforte stehen sie natürlich bereit und warten auf dich! Wie sollten sie nicht alle Eingänge besetzt haben? Sie werden dich fangen wie eine flatternde Henne! Du bist verloren da unten, Bruder! . . .
Er machte jäh halt. Er stand auf dem Treppenabsatz des Zwischenstocks. Dessen Flurtüre klaffte angelehnt. Wer hätte auch innen auf ein Klingeln öffnen sollen, wo alle Bewohner dieser Zimmer draussen auf dem Arbâtplatz standen und den Leichenzug Litzbands anstarrten? Grischa trat in den Flur und stiess finster entschlossen auf gut Glück die nächste Stubentüre auf. Er sah im Mondchein den Unterkunftsraum einer ganzen Familie. Zwei grosse Bettstellen, drei Kinderbetten auf dem Boden. Eine Wohnecke mit Sofa und Schaukelstühlen. Auf dem Waschtisch zwischen Zigarettenstummeln die Reste eines Pilzgerichts.
Leer das Zimmer — dank der heiligen Dreifaltigkeit leer! Grischa der Geiger atmete auf. Er stürzte zu dem Fenster. Er rüttelte an den mit Eisblumen verkrusteten Glasscheiben. Sie waren nach russischem Brauch für die ganze Winterszeit fest verschlossen, selbst ihre Ritzen noch mit hineingestopften Moosstreifen gedichtet. Für frische Luft gab es nur die Zugschnur zu der Klappe eines ganz kleiner verglasten Mauerlochs an der Wand, hoch oben, gleich unter der Decke.
Der Fenstergriff ächzte unter Grischas Faust. Der eingefrorene Doppelrahmen drehte sich knirschend in den vereisten Angeln. Die schneidende Kälte der Aussenluft schlug Grischa in das bärtige Antlitz. Er kletterte auf die Fensterbrüstung. Still und dunkel lag da unten eine menschenleere Seitengasse. Er mass mit einem Blick die Tiefe. Zehn, zwölf Fuss! Nun gut! Er liess sich an der Aussenwand hinabgleiten, hing an den festverkrampften Fingern der linken Hand, gab sich mit dem rechten Handteller einen Abstoss, landete unten in einem tauweichen, aufspritzenden Schneehaufen, versank in ihm bis an die Hüften, rappelte sich aus dem schwärzlichen Brei heraus, ehe noch dessen kalte Nässe durch den Schafpelz drang, ging auf einmal, fast ohne seinen Willen, die schmale Galle entlang, so wie er immer gegangen, gemächlich, ganz unauffällig . . .
Er wanderte schleppenden Schrittes weiter, halb wie im Traum, blieb stehen, sah sich um: da um ihn dehnte sich schon der Pratz des heiligen Nikita. Viele Strassen liefen hier zusammen. Auf keiner war etwas von Verfolgern zu sehen.
Gerettet, Grischa . . . Und jetzt erst ging es Grischa dem Geiger durch den Kopf: grosser Gott — was ist denn eigentlich geschehen . . .?
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