Florentiner Novellen. Isolde Kurz

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Florentiner Novellen - Isolde Kurz


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seufzte nur und schien nicht bei Besinnung zu sein. Da tauchte sie den Zipfel ihres Gewandes in den schwachen Wasserfaden, der noch inmitten des vertrockneten Bettes hinschlich, und netzte ihm die rauchgeschwärzte Stirn.

      Er erholte sich und nannte ihren Namen.

      »Ich sah dich stehen und winken«, stammelte er, »da sprang ich herab und verdanke dir mein Leben.« Er versuchte aufzustehen, aber ein heftiger Schmerz bewies ihm, daß eine Kniescheibe verletzt und an kein Gehen zu denken war. Mittlerweile wurde der Qualm immer dichter und drohte beide zu ersticken. Mit röchelnder Stimme beschwor er sie, ihn zu verlassen und sich zu retten, aber sie schüttelte den Kopf, und nachdem sie mehrmals mit äußerster Anstrengung versucht hatte, den schweren Mann in ihren Armen aufzuheben, setzte sie sich ergeben nieder, zog seinen Kopf auf ihren Schoß und sagte zärtlich: »So sterben wir zusammen.«

      Aber der Himmel hatte Erbarmen mit dem jungen Paar, denn der Wind drehte sich und jagte die Flammen mit dem größten Teil des Rauches hügelabwärts und seitlich gegen das Olivendickicht hinüber.

      Endlich wurde es im Garten lebendig. Windlichter tauchten auf, man hörte die Stimmen der Diener, und nun gelang es Lucrezia mit allem Aufwand ihrer vom Rauch belästigten Lungen Hilfe herbeizurufen. Zwei erstaunte, noch halb verschlafene Knechte schleppten den fremden Jüngling, den ihre junge Herrin liebevoll mit den Armen stützte, die Uferböschung hinauf in den Garten. Dort aber, außer dem Bereich des Qualmes, mußten sie ihn niederlegen und sich nach einer Tragbahre entfernen, da der Verletzte bei der Fortbewegung zu große Qualen litt. Der Lärm wuchs, die Bauern eilten mit Äxten und Hacken nach dem Olivenhain, um den begonnenen Waldbrand einzuschränken, aber der Wind wehte stark, und die Bäume standen so dicht, daß die Waldung preisgegeben werden mußte. Die Leute stellten alle Rettungsversuche ein und trösteten sich mit der Hoffnung, daß das Feuer, wenn es das Ackerland und die Wiesengräben erreichte, ohne Nahrung in sich zusammensinken werde.

      Inzwischen prasselten die Flammen lustig weiter, ein Knistern, Knattern und Knallen ging durch den Hain wie über ein Schlachtfeld. Das Feuer wart seinen Schein weit über den Garten und beleuchtete die Gestalt des jungen Mädchens, die sich aufs neue neben dem halb ohnmächtigen Fremdling niedergeworfen hatte und sein Haupt mit ihren Händen stützte. Sie betrachtete ihn liebevoll. Sein sonst so schönes blondes Kraushaar war ganz versengt und sein Gesicht von Rauch geschwärzt, sonst schien er außer der gebrochenen Kniescheibe keinen Schaden davongetragen zu haben, aber er litt heftige Schmerzen, und der Kopf, der auf Lucrezias Knien lag, war so schwer wie Blei.

      Endlich erschien auch Herr Bernardo in all dem Tumult ohne Übereilung in weißem Überwurf mit schönem würdigem Schritt. Er betrachtete überrascht die Gruppe am Boden, hatte aber Schönheitsgefühl genug, im stillen einen Maler herbeizuwünschen, damit er das wild-anmutige, von rotem Schein umzuckte Bild festhalte: die Jungfrau im weißen Gewande wie eine Pietà mit ihren entblößten Armen den Verwundeten stützend und umschlingend, mit dem kleinen elfenbeinweißen Fuß, der sich fest gegen den Sandboden stemmte, um der schweren Last eine Stütze zu geben, und dem langen schwarzen Haar, das wie ein dunkler Strom am Boden floß.

      Doch aus diesem Kunstgenuß riß ihn eine schreckliche Ahnung.

      »Und der Kodex!« rief er plötzlich.

      »Hier auf meiner Brust«, murmelte Veit, den der Angstschrei Bernardos aus der Halbohnmacht weckte, und er betastete mit den Händen sein Wams.

      »Nein, er ist nicht hier – o mein Gott – ich habe ihn oben gelassen.« –

      Was jetzt geschah, blieb allen Anwesenden als etwas Unerhörtes auf ewig ins Gedächtnis geprägt: Herr Bernardo vergaß plötzlich Haltung und Römerwürde, er fuhr sich mit den Händen in die Haare, zerbiß seine Fäuste und umschlang den Stamm eines jungen Bäumchens, das er verzweifelt rüttelte, indem er in einem fort schrie: »Verbrannt! – Verbrannt! – Verbrannt!« bis sein wildes Geheul in einem tonlosen Krächzen endigte.

      Als er sich des Jammers gesättigt hatte, kehrte ihm noch einmal die Hoffnung zurück, denn für so tückisch wollte er die Götter nicht halten.

      »Das Haus steht noch, nur die Veranda ist zertrümmert. Das Buch muß noch zu retten sein. Kommt alle her, Simone, Gasparino, Giacomo und du, braver Pasquale! Wer mich liebt, der hole das Buch aus den Flammen, ich mache ihn zum reichen Mann. Aber eilt, rettet!«

      Niemand rührte sich; als einzige Antwort streckte eine Flamme ihre breite rote Zunge zu dem seitlichen Fenster heraus, vermutlich, weil die als Vorhang dienende Strohmatte sich jetzt auch entzündet hatte.

      Der Junker war zusammengezuckt und reckte sich aus, als wollte er sich erheben, aber er sank mit jammervollem Stöhnen wieder zurück, und Lucrezia hielt ihn ängstlich fest, ihn mit mütterlichen Liebesworten wie ein krankes Kind beschwichtigend. Die Umstehenden, obwohl sie nur Bauersleute waren, blickten mit inniger Rührung auf das schöne junge Paar, nur Bernardo hatte keine Regung des Mitleids übrig. Er erkannte jetzt die unerbittlich-unversöhnlichen Mächte, die dem Sterblichen den Kelch von der lechzenden Lippe reißen, aber er hatte seine Fassung wiedergefunden. Mit dem Saum seiner Toga verhüllte er den Kopf, denn die Knechte sollten seine Tränen nicht sehen. Nun erschien eine schlotternde, gebrochene Gestalt auf dem Brandplatz: der gute Lucius, dem die Augen weit aus den Höhlen standen und trotz der leckenden Hitze die Zähne klapperten.

      »Ist es wahr, daß er verbrannt ist?« fragte er mit heiserem Ton, der sich kaum hervorgetraute.

      »Verbrannt!« bestätigte Bernardo mit dumpfer Trauer und streckte, ohne sich zu enthüllen, die Rechte nach seinem Diener aus, um eine mitfühlende Hand zu drücken. Aber nichts Lebendiges kam ihm entgegen. Lucius hatte jetzt die Gruppe am Boden erspäht und staunte einen Augenblick mit aufgerissenen Augen. Doch im nächsten Moment lag er auf den Knien und küßte dem Junker die Hände und die sporenbeschwerten Reiterstiefel.

      »Er ist gerettet!« jauchzte er. »O Herr, blickt doch her, hier liegt er ja, er ist in Sicherheit.«

      Bernardo enthüllte einen Augenblick sein Gesicht und sagte dann mit einem Ton, der für den deutschen Junker nichts Schmeichelhaftes hatte: »Der da?« – Und in Gedanken setzte er hinzu: »Möchten doch zehn solcher Barbaren brennen, wenn nur der Kodex gerettet wäre!«

      Aber Lucius verstand seinen Herrn auch ohne Worte. Er schnellte in die Höhe und sagte: »O Herr, ich habe, was Euch trösten wird.« Damit rannte er eilig fort und stand schon nach zwei Minuten wieder da.

      »Hier ist der Kodex«, stammelte er schluchzend, »ich, ich habe ihn für Euch gerettet.«

      Bernardo war überwältigt und stumm. Wie ein Kindlein wiegte er die Schriftrolle am Busen. Jetzt im Glück erwachte auch die Menschlichkeit, er trat zu dem Junker, drückte ihm die Hand und beglückwünschte ihn herzlich zu seiner Rückkehr und Rettung aus der Gefahr.

      »Wir müssen nun vor allen Dingen an Eure Verletzung denken. Und was ich versprochen habe, das halte ich.«

      Er ließ ein heiteres Auge über die Stätte der Zerstörung schweifen, sandte noch einen Dankesblick zum Himmel und entfernte sich, den geretteten Kodex ans Herz drückend. Die Diener hoben unter Lucrezias Anleitung den verletzten Fremdling auf die Bahre und trugen ihn vorsichtig ins Haus. Unterwegs teilten sie sich murmelnd ihre Verwunderung darüber mit, daß Herr Marcantonio von dem fürchterlichen Donnerschlag und dem darauffolgenden Feuerlärm nicht erwacht sei; das mußte ein gesunder Schlaf sein.

      »Man hört es doch immer am Schlag, wenn der Blitz gezündet hat«, sagte ein alter Bauer. »Es war grausig, und wenn der Wind sich dreht und die Funken ins Röhricht wirft, so ist auch das Wohnhaus in Gefahr. Ein Glück, daß es endlich zu regnen beginnt.«

      Noch hatten sie das Wohnhaus nicht erreicht, so goß der Regen schon in Strömen nieder mit so jäher, unwiderstehlicher Gewalt, als ob aus den geöffneten Himmelsfenstern eine Riesenbadewanne ausgeschüttet würde.

      Die herbstliche Mittagssonne blickte auf ein völlig verwandeltes Bild. Das zierliche Rosenhäuschen stand schwarz und nackt in seinen Grundmauern da, und der schattige Hain war in einen häßlichen, dunklen Schutthaufen voll nasser Asche verwandelt, aus dem nur einzelne verkohlte Olivenstämme in grotesken Stellungen


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