Florentiner Novellen. Isolde Kurz

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Florentiner Novellen - Isolde Kurz


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er sich mit dem Ruhm des Finders begnügen und noch dazu das Buch seinem Freunde ausliefern? Es war seine redliche Absicht gewesen, aber da begann er zu lesen und blieb gefangen. Er stieß auf so überraschende Sprachwendungen, zugleich einfach, treffend und wohllautend, daß er nicht umhin konnte, die eine und die andere seiner eben begonnen literarischen Arbeit einzuverleiben. Bald riß es ihn weiter, Ciceros Gedanken, Ciceros Worte drängten sich ihm in die Feder, und so entstand jene Perle der neulateinischen Literatur, welche die gelehrte Welt unter dem Titel »M. Antonii Oricellaris Facetiae« bewunderte. Sein Leben lang verzehrt von ohnmächtigem Ehrgeiz, war er endlich unter die Fittiche des Adlers gekrochen und hatte sich von ihm nach dem ersehnten Ziele, einem Stuhl in der platonischen Akademie, tragen lassen.

      Bei der Erinnerung an den Ursprung seines Ruhmes warf Marcantonio einen scheuen Blick nach dem Kamin, wo dazumal Ciceros liber jocularis in Rauch und Flammen aufgegangen war. Es ängstigte ihn, als sei ein Brandmal davon zurückgeblieben.

      Sonnenlose Schwüle hatte den ganzen Tag über der Landschaft gelastet, daß selbst das Laub der Bäume schlaffer hing und die ganze Natur unter dem Bann des Scirocco siechte. Kaum daß da und dort ein Vogel schüchtern die Stimme erhob und gleich wieder verstummte, wie erschreckt von dem unheimlich brütenden Schweigen.

      Bernardo, der trotz seiner Jahre dem Glutstrom mannhaft standhielt, war den ganzen Tag tätig gewesen, um ein paar jungen Landleuten für das morgige Fest einen Schäferchor einzuüben, zu dem er selbst die Verse verfaßt hatte. Als jedoch der Abend dämmerte, ohne der Welt Erlösung zu bringen, da gab auch er sich überwunden und wankte mit schweißtriefender Stirne in sein schwüles Schlafgemach. Seine Tochter hatte sich schon lange zurückgezogen, die Diener schnarchten, im Hause war alles still, nur der Bräutigam machte mit Lucius einen letzten Gang durch die Räume, wo morgen die Hochzeitsgäste bewirtet werden sollten. Nachdem alles besorgt war, schlich Lucius leise vor sich hinmurmelnd in den dämmernden Garten hinunter, der sich in Terrassen gegen die Talsohle zu senkte. Er hatte auf das Beispiel seines Gebieters hin den kühnen Plan gefaßt, für das morgige Fest einen »Triumph der Liebe« zu dichten, den er selbst in der Maske des Götterboten vorzutragen gedachte. Schon seit mehreren Tagen mühte er sich im Schweiße seines Angesichts, aber die Muse setzte ihm einen so hartnäckigen Widerstand entgegen, daß er der Verzweiflung nahe war.

      Jetzt verwünschte er den Scirocco, der ihm das Hirn zerrütte, haderte mit dem traubenschweren Rebenspalier, das ihm schwül über dem Kopfe hing, und scharrte mit den Füßen im Sand, als könnte er hier die fehlenden Reime ausgraben, wie eine Henne ihr Futter. Endlich flüchtete er sich auf einen freien Rasenplatz in der Nähe des Parktores, wo in anmutigem, von Wasserrosen überwuchertem Becken ein Springquell plätscherte. Eine dunkle Wolkenbank hatte sich am Rande des Horizonts gesammelt und ließ, langsam heranschiebend, die abendliche Dämmerung noch düsterer erscheinen. Lucius schwang sich kühn auf den Schoß einer steinernen Najade und ließ seine Stirn von dem fallenden Wasserstaub benetzen, indes er fingernd auf dem Rand des Wasserbeckens den Takt schlug. Dabei kam ihm der Hufschlag eines trabenden Pferdes vom Tal herauf wunderbar zur Hilfe, und er brachte nun wirklich eine geistige Geburt zustande, die einige Ähnlichkeit mit dem Anfang eines freien Hymnus besaß.

      In seinem Feuer beachtete er nicht, daß der Hufschlag immer näher kam, bis er durch die Gitterstäbe eine Reitergestalt auf dem breiten Lorbeergang erblickte, der außerhalb des Gartentores die Besitzung Marcantonios mit der Landstraße verband.

      Sah er ein rächendes Gespenst oder war es wirklich der Junker Veit von Rechberg, der sich jetzt vom Pferde schwang und an das Gartenor pochte?

      In heiligem Schreck, als hätte er sich durch seine dichterischen Mühen an dem Bruch der Verlobung mitschuldig gemacht, rannte Lucius in das Haus zurück, laut nach Herrn Bernardo rufend. Dort taumelte er gegen Marcantonio, dem bei der Schreckenskunde einen Augenblick gleichfalls die Knie versagten. Aber schnell besonnen legte der Florentiner dem Rothaarigen die Hand auf den Mund und zog ihn aus dem Bereich der Schlafgemächer.

      »Den Mund gehalten, Deutscher!« herrschte er ihn an. »Und kein Geräusch im Hause! Das Fräulein und Herr Bernardo dürfen heute nacht nicht mehr gestört werden. Du kommst mit mir und führst das Pferd ganz stille in den Stall. Und ich will nicht hoffen, daß ein Deutscher an seinem Herrn zum Verräter wird.«

      Lucius war so verblüfft von diesem Ton, daß er gar nicht wußte, wie ihm geschah. Nein wahrlich, er haßte ja den Verrat mehr als den Schlund der Hölle und hatte auch nicht die geringste Lust, in dem Kampf, der jetzt notwendig entbrennen mußte, Partei zu nehmen. Er war dem Junker zugetan, aber nur um des Fräuleins willen, nicht weil er ein Deutscher war, denn Lucius fühlte sich ganz als Florentiner. An Marcantonio dagegen war er gewohnt, mit Ehrfurcht emporzublicken, und vor allen Dingen durfte er es mit dem Manne nicht verderben, der im Haus Rucellai Regen und Sonnenschein machte. Er gönnte das Fräulein dem einen und hätte sie doch dem andern nicht gern entrissen gesehen. Aber mochte Herrn Bernardos Weisheit morgen die verschlungenen Fäden entwirren, er hatte kein Amt, als zu schweigen und zu gehorchen. Gedemütigt folgte er Marcantonio, der an das Tor eilte, um den Ankömmling zu begrüßen. Lucius empfing schweigend die Zügel und führte das dampfende Pferd nach dem Stall.

      »Ihr kommt spät, Herr Ritter«, begann der Florentiner, »aber Ihr seid nicht minder willkommen.«

      »Doch nicht zu spät?« stammelte Veit erschrocken.

      »Für heute wohl«, entgegnete Marcantonio ausweichend, »denn Herr Bernardo und seine Tochter sind schon zur Ruhe.«

      »Denkt Ihr, daß ich Eile hatte, edler Herr?« rief der Junker. »Ihr dürft es glauben. In Mailand ließ ich meine Knechte zurück, weil sie nicht schnell genug vorwärts kamen, in Bologna überholte ich den vorausgesandten Boten, aber Ihr müßt wissen, daß die Erlangung des Kodex –«

      »Ihr habt also den Kodex wirklich?« unterbrach der Florentiner mit heimlichem Spott.

      »Hier«, sagte Veit lächelnd und legte die Hand auf seine Brust, wo sich ein Gegenstand wie eine Pergamentrolle abzeichnete.

      Marcantonio empfand ein gewisses Unbehagen, obwohl er sich nichts anderes vorstellen konnte, als der Ritter habe durch irgendwelchen deutschen Gelehrten eine mehr oder minder geschickte Fälschung anfertigen lassen.

      Doch ganz anders erschrak er, als ihm nun der Jüngling, gerührt durch seine lebhaften Glückwünsche, bekannte, daß er gar nicht die Urschrift bringe, die vor Jahren nach Italien verkauft worden sei, sondern nur eine sauber geschriebene Kopie.

      Marcantonio wurde bleich wie der Tod, und um seine Bestürzung zu verbergen, ließ er sich von dem Ankömmling die ganze Jagd auf den Kodex ausführlich erzählen.

      »Ihr müßt wissen«, begann der Junker seinen Bericht, »daß ich bei meiner unerwarteten Rückkehr auf Schloß Stauffeneck zu meinem Schrecken die Truhe leer fand, denn der Schatz war schon vor mehreren Jahren durch einen Zufall zutage getreten. Meine Mutter hatte ihm wenig Beachtung geschenkt und die Bücher dem Gemeindepfarrer überlassen, mit Ausnahme eines einzigen, das ein auf dem Schloß herbergender Mönch sich zum Geschenk erbat. Natürlich war es mein erstes, den Gemeindegeistlichen aufzusuchen, und von ihm erfuhr ich – Heil und Unheil in einem Atem – daß die weggeschenkte Handschrift wirklich der ciceronianische Kodex war.

      Der Pfarrherr entsann sich dieses Umstandes genau, denn an den Titel des Buches knüpfte sich eine schauerliche Erinnerung, die er damals auf Schloß Stauffeneck zum besten gegeben und die er jetzt auch mir mit aller Breite wiederholte.

      Vor ungefähr dreißig Jahren nämlich, da er eben erst als ganz junger Mann zu der Gemeinde versetzt worden, sei im Dorfe das Gerücht ausgekommen, ein fremder Zauberer und Schatzgräber habe sich in den Ort geschlichen und treibe in den nahen Ruinen des etliche Wochen vorher niedergebrannten Blasiusklösterleins sein Wesen. Der Schwarzwälder Führer, welcher den Unhold begleitete, habe selber die Anzeige gemacht, daß der fremde schwarze Mann, der ihm schon unterwegs unheimliche Dinge von einem Zauberbuch gesprochen, die Brandstätte durchwühlte und wie außer sich in unverständlicher Sprache wilde Beschwörungen murmle. Die Bauern seien mit Knütteln und Heugabeln an den Ort gerannt, der Pfarrer hinterher, um den übelangekommenen Fremdling, in welchem er nach den Aussagen des Führers


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