Das Evangelium nach Lukas. Ambrosius von Mailand

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Das Evangelium nach Lukas - Ambrosius von Mailand


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denn es steht geschrieben: „Was recht ist, dem sollst du auf rechte Weise nachtrachten"115. Bestände nicht die Möglichkeit, Rechtes auf unrechte Weise zu tun, würde niemals gesprochen worden sein: „Was recht ist, dem sollst du auf rechte Weise nachtrachten". Daß sicher Rechtes auch auf unrechte Weise geschehen kann, hat uns der Erlöser selbst mit der Mahnung gelehrt: „Wenn du Almosen gibst, so posaune nicht vor dir her, und wenn ihr betet, so seid nicht wie die Heuchler!"116. Etwas Gutes ist die Mildtätigkeit, etwas Gutes das Gebet, aber es kann auf unrechte Weise geschehen, wenn man etwa einem Armen aus Prahlerei geben wollte, um von den Leuten gesehen zu werden.

       19.

      [Forts. ] Der heilige Evangelist sagt darum nicht bloß: „gerecht vor Gott und wandelnd in allen Geboten und Urteilen des Herrn", sondern auch: „untadelig" wandelnd. Das stimmt wunderbar zum prophetischen Wort, das der heilige Salomo in den Sprüchen gebrauchte, indem er mahnte: „Faß ins Auge stets das Gute vor Gott und den Menschen!"117 Keinen Tadel also gibt es, wo gutes Denken gutem Tun entspricht, und gar oft fordert nur die Härte der Gerechtigkeit der Leute Tadel heraus.

       20.

      [Forts. ] Beachte aber auch genau, wie zutreffend die Wahl und wie folgerichtig die Anordnung der Ausdrücke ist! „Wandelnd in den Geboten und Urteilen des Herrn": Das erste ist das Gebot, das zweite das Urteil. Folgen wir sonach den himmlischen Geboten, wandeln wir in den Geboten des Herrn; urteilen wir und urteilen wir sachgemäß, so halten wir uns offenbar an die Urteile des Herrn.

       21.

      [Forts. ] Es liegt sonach ein erschöpfendes Lob ausgesprochen, das Geschlecht, Wandel, Amt, Handeln und Urteilen umfaßt: das Geschlecht der Ahnen, den Wandel in Gerechtigkeit, das Amt im Priestertum, das Handeln nach dem Gebote, ein Urteilen nach gerechtem Maßstab.

       22.

      „Es geschah aber, da Zacharias nach der Ordnung seiner Reihe vor Gott dem Herrn den Priesterdienst nach der Sitte des Priestertums versah, kam er durch das Los daran, in den Tempel des Herrn zu treten und die Räucherung vorzunehmen. Und das ganze Volk betete draußen zur Stunde des Rauchwerkes"118.

      Es scheint, daß Zacharias hier als Hoherpriester bezeichnet wird, weil er nur einmal im Jahre den Tempel betrat. Vom vorderen Gezelte nämlich steht zu lesen, daß die Priester, welche die Dienste verrichteten, es jederzeit betreten durften, in das hintere Gezelt aber ging nur einmal im Jahre der Hohepriester allein, nicht ohne das Blut, „das er für sich und des Volkes Sünden darbringt"119. Jener Hohepriester ist hier gemeint, der noch durch das Los erkoren wird, weil man den wahren noch nicht kennt; denn wen das Los kürt, das entzieht sich menschlicher Einsicht. Jener (wahre) nun ward gesucht, jener andere vorgebildet: jener wahre Priester in Ewigkeit ward gesucht, dem das Wort gegolten: „Du bist Priester in Ewigkeit"120; der nicht mit dem Blute der Opfertiere, sondern mit seinem eigenen Blute Gott den Vater versöhnte. Damals hingegen war es nur ein vorbildliches Blutvergießen, eine vorbildliche Priesterweihe; jetzt, da die Wahrheit erschienen, laßt uns das Vorbildliche verlassen, der Wahrheit folgen! Und zwar gab es damals steten Wechsel, jetzt aber stetige Fortdauer. So war denn und war sicher bereits derjenige (typisch) da, dessen Dienst auch abwechselnd versehen wurde121.

       23.

      „Durch das Los" wurde (Zacharias) erlesen, in den Tempel einzutreten. Wenn nun im vorbildlichen Ritus niemand als Zeuge beigezogen werden konnte, was anders wurde hierdurch versinnbildet als die Ankunft jenes Priesters, dessen Opfer nichts gemein hätte mit den übrigen; der sein Opfer nicht in den von Menschenhand erbauten Tempeln122 für uns darbrächte, sondern im Tempel des eigenen Leibes unsere Sünden zunichte machen würde. ― „Durch das Los" wurde der Priester ausgesucht. Vielleicht warfen auch die Soldaten nur deshalb das Los um die Kleider des Herrn123, damit das Loswerfen auch am Herrn, da er sich anschickte, in seinem Tempel für uns das Opfer darzubringen, die Gesetzesvorschrift zur Erfüllung brächte. Daher seine Versicherung: „Ich bin nicht gekommen, das Gesetz aufzuheben, sondern zu erfüllen"124. Er gerade sollte hierdurch als der im Alten Testamente Erwartete und durch Gottes Willen Erkorene erscheinen. So fiel auch über den Apostel Matthias das Los125, daß nicht die Apostelwahl von der alttestamentlichen Gesetzesvorschrift abzuweichen schiene.

       24.

      „Da erschien ihm ein Engel zur Rechten des Rauchaltares stehend"126. Nicht umsonst tritt ein sichtbarer Engel im Tempel auf; denn schon wurde die Ankunft des wahren Priesters verkündet und das himmlische Opfer zubereitet, bei dem die Engel dienen sollten. Und zutreffend heißt es, er sei dem, der seiner plötzlich gewahr wurde, „erschienen". Diesen Ausdruck pflegt die Göttliche Schrift speziell sei es von den Engeln sei es von Gott zu gebrauchen, so daß mit ‚erscheinen' ein unvorhergesehenes Eintreten derselben bezeichnet wird. Denn so liest man: „Es erschien Gott dem Abraham bei der Steineiche Mambre"127. Man sagt eben von einem, den man vorher nicht merkt, sondern plötzlich vor Augen sieht, er erscheine. Nicht gleicherweise nämlich treten sinnenfällige Gegenstände und tritt derjenige in die Sichtbarkeit, in dessen Willen das Sichtbarwerden gelegen ist. Zu seiner Natur gehört das Unsichtbarsein, das Sichtbarwerden hängt von seinem Willen ab: will er nicht, bleibt er unsichtbar, will er, wird er sichtbar. So erschien Gott dem Abraham, weil er wollte. Einem anderen erschien er nicht, weil er nicht wollte. Auch dem Stephanus, da er vom Volk gesteinigt wurde, erschien der Himmel offen; auch erschien (ihm) Jesus zur Rechten Gottes stehend128, während er dem Volke nicht erschien. Es schaute Isaias den Herrn der Heerscharen129, ein anderer indes vermochte ihn nicht zu schauen, weil er eben dem erschien, welchem er wollte.

       25.

      [Forts. ] Doch was sprechen wir von den Menschen, nachdem wir selbst von den himmlischen Kräften und Gewalten lesen, „daß niemand Gott je gesehen hat"?130 Und der Evangelist fügte bei, was über die himmlischen Gewalten hinausweist: „Der eingeborene Sohn, der im Schoße des Vaters ist, er hat es uns kund getan"131. Wenn also „niemand Gott den Vater je gesehen hat", so hat man sich entweder mit der Annahme zu bescheiden, daß im Alten Bunde nur der Sohn erschienen sei, und es mögen dann die Irrlehrer abstehen, ihm, der bereits sichtbar war, bevor er aus der Jungfrau geboren wurde, den Ursprung aus der Jungfrau zu geben; oder es kann sicherlich auch die Annahme nicht als irrig zurückgewiesen werden, der Vater oder der Sohn oder gewiß auch der Heilige Geist ― wenn es sonst eine Erscheinung des Heiligen Geistes gibt: nämlich auch vom Geiste hören wir, er sei in Form einer Taube erschienen132 ― werde nur in einer Gestalt sichtbar, wie sie der Wille wählt, nicht die Natur ausformt. Darum nun „hat niemand Gott je gesehen", weil niemand jene Fülle der Gottheit, die in Gott wohnt133, schaute, niemand mit dem geistigen oder leiblichen Auge sie ergründete134. „Hat gesehen" ist nämlich auf beides zu beziehen; erst mit dem Zusatz: „der eingeborene Sohn. . ., er hat es kund getan" wird es mehr als ein geistiges denn leibliches Schauen erklärt. Eine Gestalt wird sichtbar, eine Kraft kund; ersterer wird man mit den Augen, letzterer mit dem Geiste gewahr.

       26.

      Doch was brauche ich von der Trinität sprechen? Auch der Seraph erschien, wann er wollte, und Isaias allein vernahm seine Stimme135. Eben erscheint ein Engel und ist jetzt da, doch man sieht ihn nicht; denn das Sehen liegt nicht in unserer Gewalt, wohl aber in seiner Gewalt das Erscheinen. Doch mag es an der Fähigkeit des Schauens fehlen, die Gnade, sich die Fähigkeit hierzu zu verdienen, ist da. Wer also die Gnade besitzt, verdient sich die Möglichkeit hierzu. Wir verdienen uns die Möglichkeit nicht, weil wir die Gnade des Gottschauens nicht besitzen.

       27.

      Was Wunder auch, wenn der Herr in dieser Welt nur dann erscheint, wenn er will? Selbst bei der Auferstehung ist ein Gottschauen nur denen möglich, die reinen Herzens sind: darum „selig, die reinen Herzens sind; denn


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