Das Evangelium nach Lukas. Ambrosius von Mailand
Читать онлайн книгу.es nicht den Geist (Odem) des Lebens, doch den Geist der Gnade. So konnten wir auch an einer anderen Stelle beobachten, wie die Heiligungsgnade der natürlichen Lebensbedingung zuvorkam; es sprach nämlich dort der Herr: „Ehe ich dich bildete im Mutterleibe, habe ich dich gekannt, und ehe du hervortratest aus dem Mutterschoße, habe ich dich geheiligt und dich zum Propheten für die Völker bestellt"158. Zwei verschiedene Dinge sind der Geist dieses Lebens und der Geist der Gnade. Ersterer nimmt seinen Anfang mit der Geburt, sein Ende mit dem Tode; letzterer ist nicht an Zeit, nicht an Alter gebunden, erlischt nicht mit dem Tode, ist nicht ausgeschlossen vom Mutterleibe. So hat auch Maria voll des Heiligen Geistes geweissagt159, der tote Elisäus einen menschlichen Leichnam durch die Berührung mit seinem eigenen Leibe erweckt160, Samuel nach seinem Tode, wie die Schrift bezeugt, nicht geschwiegen über das Zukünftige161.
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[Forts. ] „Und er wird vom Heiligen Geiste* erfüllt* werden". Wem nämlich des Geistes Gnade einwohnt, dem mangelt nichts; und wem der Heilige Geist eingegossen wird, dem erwächst die Fülle großer Tugenden.
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„Sodann endlich wird er viele von den Kindern Israels zum Herrn ihrem Gott bekehren"162. Wir bedürfen keines Beweises, daß der heilige Johannes die Herzen gar vieler bekehrt hat. Unsere Behauptung stützen ja der Propheten wie der Evangelisten Schriften ― „Stimme des Rufenden in der Wüste: bereitet dem Herrn den Weg, macht eben seine Pfade!"163 ― Und die Taufen, zu welchen die Volksscharen sich drängten, geben deutliche Kunde von den nicht geringen Fortschritten, welche die Bekehrung des Volkes nahm. Wer Johannes glaubte, glaubte ja Christus; denn nicht der eigenen Person, sondern dem Herrn galt die Predigt des Vorboten Christi. Und darum:
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„Er wird hergehen vor dem Angesicht des Herrn im Geiste und in der Kraft des Elias"164. Passend werden diese beiden Begriffe verbunden; denn niemals ist der Geist ohne Kraft, noch die Kraft ohne den Geist. Und darum vielleicht „im Geiste und in der Kraft* des Elias*", weil gerade der heilige Elias beides besaß, große Kraft und Gnade: die Kraft, das Herz der Volksscharen vom Unglauben zum Glauben zurückzuführen, die Kraft des Entsagens und Ertragens und den Geist der Weissagung. In der Wüste weilt Elias, in der Wüste Johannes. Jener bezog von Raben165, dieser von Hecken166 die Nahrung und zog, jede Lockung sinnlichen Genusses mit Füßen tretend, eine spärliche Lebensweise vor und verschmähte eine üppige. Jener fragte nicht nach des Königs Achab Gunst167, dieser verachtete die des Herodes. Jener teilte den Jordan168, dieser wandelte ihn zum heilbringenden Taufbad. Dieser verkehrt mit dem Herrn auf Erden, jener erscheint mit dem Herrn in Herrlichkeit169. Dieser ist der Vorläufer bei der ersten, jener bei der zweiten Ankunft des Herrn170. Jener erquickte nach Ablauf von drei Jahren die ausgetrocknete Erde mit reichlichem Regen171 und dieser befruchtete nach drei Jahren das Erdreich unseres Herzens mit dem Tau des Glaubens. Du fragst, welche drei Jahre das seien? „Sieh", spricht er, „drei Jahre sind es, seitdem ich komme und an diesem Feigenbaum Frucht suche, und ich finde keine"172. Dieser mystischen Zahl (der Jahre) bedurfte es, um den Völkern das Heil zu bringen: Das erste Jahr ist die Zeit der Patriarchen ― und damals gerade reifte aus der Menschheit ein Jahresertrag wie niemals später auf Erden ―, das zweite die Zeit des Moses und der übrigen Propheten, das dritte ist eingeleitet durch die Heilsankunft des Herrn. „Sieh", spricht er, „das angenehme Jahr des Herrn und der Tag der Vergeltung!"173 Auch jener Hausvater, der einen Weinberg pflanzte, schickte nicht einmal, sondern des öfteren seine Erntearbeiter dahin ab: erst schickte er Knechte dahin, sodann wiederum Knechte, das dritte Mal aber sendete er seinen Sohn"174.
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[Forts. ] „Im Geiste und in der Kraft des Elias" erschien Johannes. Das eine läßt sich ohne das andere nicht denken. So begegnet man (der gleichen Verbindung) auch im folgenden, wenn es heißt: „Der Heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten dich überschatten"175. Doch es scheint vielleicht dieser Vorgang zu erhaben für eine Anwendung auf uns und auf die Apostel: indes auch die Wasserfluten, die unter Elias nach Teilung des Jordans zum Ursprung des Flusses zurückströmten, wie die Schrift es bezeugt hat : „Der Jordan ward zurückgestaut"176, deuten auf die künftigen Geheimnisse des Heilsbades hin, durch welche die getauften Kinder vom Sündenzustand in den Urstand ihrer Natur zurückversetzt werden. Und wie? Hat nicht der Herr selbst seinen Aposteln verheißen, daß ihnen die Kraft des Geistes verliehen werden soll, da er versicherte: „Ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist in euch kommen wird"?177 Sodann im folgenden: „Da entstand plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein Windstoß mit großer Gewalt daher käme"178. Zutreffend „mit großer Gewalt", weil „durch seines Mundes Hauch (Geist) all ihre Kraft besteht"179 ― jene Kraft, welche die Apostel vom Heiligen Geiste empfangen haben.
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Zutreffend steht auch, der heilige Johannes „wird hergehen vor dem Angesichte des Herrn"; denn er war sein Vorbote schon in der Geburt und sein Vorbote noch im Tode. Und vielleicht dürfte sich dieses Geheimnis auch in unserem Leben hier und heute noch wiederholen. Es zieht nämlich unserer Seele, sobald wir den Weg zum Glauben an Christus einschlagen, gleichsam die Kraft des Johannes voraus, um die Wege unserer Seele zu bereiten180 und aus dem Krummpfade dieses Lebens gerade Wege für unseren Wandel zu schaffen: an keiner Krümmung des Irrtums sollen wir ausgleiten, jedes Tal unserer Seele voll Tugendfrüchte prangen können, jede über weltliche Verdienste sich erhebende Höhe lieber in Furcht als Tiefland vor dem Herrn sich breiten im Bewußtsein, daß Hinfälliges nichts Hohes bedeuten kann.
4. Die Strafe des Zacharias, Luk. 1,18-20
Der Unglaube schließt, der Glaube öffnet den Mund (39). Der verstummende Zacharias Typus des aufhörenden alttestamentlichen Priester- und Prophetentums (40), bezw. des im Unglauben ersterbenden Judenvolkes (41). „Unsere Sprache ist der Glaube“ (42).
39.
„Und Zacharias sprach zum Engel: Woran soll ich das erkennen? Denn ich bin alt und mein Weib ist vorgerückt in ihren Tagen. Und der Engel antwortete und sprach zu ihm: Ich bin der Engel Gabriel, der vor dem Herrn steht, und bin gesendet worden, dieses dir zu verkünden. Und du wirst stumm sein und nicht reden können bis auf den Tag, da dies alles geschehen wird, darum, weil du meinen Worten nicht geglaubt hast, die in Erfüllung gehen werden zu ihrer Zeit"181.
Zum Schweigen wird der Unglaube des Priesters verurteilt, der Glaube der Propheten erprobt sich im Sprechen. „Rufe, heißt es, und ich antworte: was soll ich rufen? Alles Fleisch ist Gras"182. Da hast du des Gebietenden Befehl, des Gehorchenden Beflissenheit, des Fragenden Bereitwilligkeit, des Willfährigen (Predigt-) Wort. Denn es glaubte, der da um Aufschluß bat, was er rufen solle; und weil er Glauben hatte, weissagte er. Zacharias hingegen vermochte, weil er nicht glaubte, nicht zu sprechen, sondern „gab es ihnen durch Winke zu verstehen und blieb stumm"183. Nicht* einen* nur betrifft der geheimnisvolle Vorgang, nicht* einen* nur das Schweigen.
40.
Es schweigt der Priester, es schweigt der Prophet184. Wenn ich mich nicht täusche, verstummte in dem* einen* der Mund des ganzen Volkes; denn in* einem* Mittler pflegte das ganze Volk zum Herrn zu sprechen. Das Aufhören der Opfer und das Verstummen der Propheten bedeutet das Schweigen des Propheten und das Schweigen des Priesters. „Ich will hinwegnehmen", spricht (der Herr), „die starke Kraft, den Propheten und den Berater"185. Und fürwahr, er hat hinweggenommen die Propheten, indem er von ihnen wegnahm das Wort, das in den Propheten zu sprechen pflegte. Fürwahr, er hat ihnen hinweggenommen die Kraft, indem Gottes Kraft von ihnen wich. Er hat ihnen hinweggenommen den Ratgeber, indem