Zeit. Bodil Jönsson

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Zeit - Bodil Jönsson


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darin, dass es sich um eine objektive, vom Menschen unabhängige Definition handelt. Als Kuriosum am Rande sei vermerkt, dass der Meter nunmehr – seit Donnerstag, dem 20. Oktober 1983 – direkt mit der Sekunde verbunden ist. 1 Meter wird definiert als die Strecke, die das Licht im Zeitraum (1/299792458)s durch das Vakuum zurücklegt. Länge wird heute also nicht mehr als Länge definiert, sondern als Zeitfaktor.

      Das ist auf die seltsame Situation zurückzuführen, die in den siebziger Jahren entstanden war. Damals gelang es zum ersten Mal, Lichtgeschwindigkeit im Vakuum zu messen, ausgedrückt in m/s – womit sich zugleich auch eine präzisere Definition des Längenmaßes Meter ergab. Das musste natürlich genutzt werden, und deshalb wurde der Meter neu definiert und direkt mit der Sekunde verbunden.

      In einem Punkt unterscheidet sich unsere subjektiv erlebte Welt aber nicht von der Definitionswelt der Uhrzeit: Auch im Alltag rechnen wir nicht in Entfernungen, sondern in Zeit!

      Persönliche empfundene Zeit

      Die physikalische Zeit, die Uhrzeit, ihre Definition und ihren Gang kann niemand beeinflussen. Man kann sich wohl eine herkömmliche mechanische Uhr zulegen und ausrufen, wie der Poet Gösta Ekstrof:

      Ich will nicht so ein

      digitales Wunder

      das meinen Zeitverbrauch misst

      Ich behalte

      mein globales Orakel

      das mir die Illusion der Unsterblichkeit bewahrt

      Aber man kann nichts daran ändern, dass die Menschheit Zeit nun einmal partout auf eine vom Menschen unabhängige Weise definieren wollte, zuerst im kosmischen Raum, jetzt auch im atomaren Mikrokosmos.

      Die persönliche Zeit dagegen, unser Zeitempfinden und wie wir mit der Zeit umgehen, gehört uns allein. Und sie bleibt uns auch erhalten, vielleicht für immer. Hinter der Uhrzeit jagen wir jedoch hinterher. Die wird »effektiviert«, zerstückelt. Und dann kaufen wir uns ein neues technisches Wunderwerk, um »Zeit zu sparen«. Damit erreichen wir meist das genaue Gegenteil dessen, was wir beabsichtigten – nämlich mehr empfundene Zeit zu haben.

      Verletzungen des Zeitempfindens

      Unterschiedliche Umgebungen bieten mehr oder weniger gute Voraussetzungen, um die persönliche Zeit, den eigenen Rhythmus zu empfinden. Eisenbahnzüge waren früher die perfekten Freiräume auf Rädern. Zwar werden Abfahrt und Ankunft des Zuges in Uhrzeit angegeben, doch dazwischen konnte man die Zeit auf ganz persönliche Weise erleben. Nirgendwo war man so ungestört wie im Zug.

      Doch dann wurde uns Bahnliebhabern dieser Freiraum genommen. Die Handymafia hielt Einzug. Mit ihren Abschlussbilanzen, dem Ergebnis der Führerscheinprüfung und den Komplikationen bei Evas Keuchhusten. Wer will denn das alles wissen? Ich möchte in meinem Klangraum in Ruhe gelassen werden. Ich kann nicht akzeptieren, dass andere Menschen durch ihr Geschwätz im Bahnabteil meine persönliche Zeit so sinnlos zerstören. Oft wird in erheblicher Lautstärke telefoniert, und was gesagt wird, klingt immer irgendwie unnatürlich. Es ist ja auch unnatürlich, nur den einen Teil eines Gesprächs zu hören. So unnatürlich, dass man diese Störgeräusche nicht ignorieren kann – anders als das natürliche Hintergrundgeräusch, das sich zum Beispiel aus einer Unterhaltung zwischen anderen Reisenden ergibt.

      »Liebe Bahn«, schrieb ich 1995. »Ich würde gerne auch weiterhin Eisenbahn fahren. Deshalb schlage ich vor, dass Sie der Handymafia ein Reservat zuweisen, wo sie sich ihrer Zeitzerstückelung hingeben kann. Wir anderen können derweil in den übrigen Waggons unsere freien Zeitzonen genießen. Übrigens werden sich dann bestimmt auch viele Handyterroristen zu uns in die handyfreie Zone setzen – so wie Raucher, die zwischendurch in Nichtraucherabteile übersiedeln. Denn wenn man erst erfahren hat, was empfundene Zeit bedeutet, will man sie auch nicht wieder verlieren.«

      Und jetzt gibt es sie endlich, die handyfreien Bahnwagen, die geschützten Oasen. Vielleicht kann der Zug wieder zu einem Ort werden, an dem sich das Gefühl von empfundener Zeit verstärkt und erweitert.

      Die Zeit denkt

      Während ich entdeckte, dass es Uhrzeit einerseits und empfundene Zeit andererseits gibt, machte sich natürlich auch die übrige Welt Gedanken über diese Fragen. Man kann regelmäßig davon ausgehen, dass in dem Moment, wo man eine großartige und ganz neue Idee entwickelt, irgendwo auf der Welt einer oder mehrere Menschen genau denselben Einfall haben. Vielleicht formulieren sie ihn etwas anders, aber im Grunde handelt es sich um denselben. »Die Zeit denkt«, wie Kristina Persson, Regierungspräsidentin von Jämtland, zu sagen pflegt.

      Aber ich war doch überrascht, dass ich mit meinen Überlegungen nicht so allein gewesen war, wie ich gedacht hatte. Der deutsche Philosoph Peter Heintril hat 1990 »Tempus« gegründet, einen »Verein zur Verzögerung der Zeit«. Das sollte kein Witz sein (auch wenn Vereinsmeier manchmal große Witzbolde sind), und Tempus hat inzwischen in Deutschland, Österreich, Schweden, Italien und der Schweiz an die tausend Mitglieder. Seit 1991 werden jedes Jahr Symposien veranstaltet. Die Vereinsmitglieder werden eingeladen, ganz konkret von ihrem Umgang mit ihrer persönlichen Zeit zu berichten. Der Verein ist recht locker organisiert, gibt aber diverse Publikationen und Videodokumentationen heraus.

      Ich erfuhr von dieser Vereinsgründung erst Jahre später aus einer schwedischen Zeitung. Ich besorgte mir die Schriften des Vereins und las mit zinntellergroßen Augen über Chronos (eine genaue Kopie meiner »Uhrzeit«) und Kairos (was meiner »empfundenen Zeit« entspricht). »Zeitzeichen«, eins der von Tempus herausgegebenen Bücher, wird vorgestellt als das Buch für Menschen, die schon alles haben – nur keine Zeit. Andere Titel lauten: »Leb schneller, dann ist es rascher vorbei!« – »Ich habe Zeit – also bin ich« – »Sie können die Oliven überprüfen, sooft Sie wollen, sie werden trotzdem nicht schneller reif«.

      Es ist vielleicht kein Zufall, dass die Leute von Tempus und ich ganz ähnliche Gedanken entwickelt haben – und zwar gerade zum jetzigen Zeitpunkt. Erst in der heutigen Zeit, die nicht mehr vom täglichen Kampf ums Überleben geprägt ist, können solche Überlegungen entstehen. Jetzt haben wir Zeit, um über die Zeit nachzudenken. Und die braucht man, wenn man die Uhrzeitfixierung des Industrialismus und dessen Motto »Zeit ist Geld« überwinden will.

      Wie verschafft man sich mehr empfundene Zeit?

      Vielleicht lesen Sie dieses Buch ja, weil Sie wissen möchten, wie man sich denn mehr empfundene Zeit verschafft. Meine erste Antwort lautet, dass Sie die empfundene Zeit ganz bewusst erleben müssen – und begreifen, dass die Uhr nicht alles ist.

      Wenn Ihnen dann schon vertraut ist, was empfundene Zeit bedeutet, können Sie versuchen, sich mehr davon zu verschaffen. Das ist durchaus möglich, wenn man lernt, seine »Rüstzeit« mit Bedacht zu nutzen (3. Kapitel). Und wenn man die Balance zwischen zerstückelter und ungeteilter Zeit findet (4. Kapitel).

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