Wir plus drei. Ell Wendt

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Wir plus drei - Ell Wendt


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schnelle Fortschritte, er steckte in einer neuen Arbeit und dachte nicht daran, in die Stadt zurückzukehren. Auch ich war vollkommen glücklich. Das einzige, was mich bedrückte, war, daß wir Miete zahlen mußten, hier wie dort, ein Problem, dessen Lösung Stefan mit bewundernswertem. Geschick aus dem Wege ging.

      Es gibt Menschen, die die Ehe mit einem Dichter für ein Dasein in höheren Sphären halten. Sie schwärmen von gemeinsamem Gedankenflug und halten die Frau des Dichters für eine Art Muse, der er die Schleusen seines reichen Innenlebens hemmungslos öffnet.

      Ich fürchte, ich muß sie, was Stefan betrifft, ein wenig enttäuschen, Wenn er arbeitete, war er unzugänglicher als eine Auster. Er glich einem Nachtwandler, der blind und taub für das, was um ihn her vorging, unter uns weilte. Wochen großer Schaffensseligkeit wechselten mit solchen ab, in denen er an sich selbst und seinem Werk verzweifelte. Wir nannten diesen Zustand den »toten Punkt« und fürchteten ihn sehr. Wieviel Mühe wir uns auch geben mochten, es war fast unmöglich, Stefan im Stadium des »toten Punktes« nicht auf die Nerven zu fallen. Am liebsten hätte er sich wie ein Mönch in eine Zelle eingesperrt, aber diese Zelle sollte behaglich sein wie Abrahams Schoß und Stefans Leben mehr denn je von einer Fürsorge erfüllt, die ihm jeden Stein aus dem Wege räumte. In solchen Zeiten war es keine Kleinigkeit, Stefan und die Kinder unter einen Hut zu bringen. Er hatte mich mit der Aufgabe betraut, ihnen Respekt vor der väterlichen Arbeit einzuimpfen. Ich tat, was ich konnte, aber es war nicht immer möglich zu verhindern, daß Michaels durchdringende Stimme in die heilige Ruhe seines Arbeitszimmers drang oder daß seine kleinen Füße ein heftiges Getrappel auf der Holzveranda vollführten. Dann konnte es geschehen, daß Stefan wie ein zürnender Gott unter uns fuhr und mit Donnerworten für eine kurze Weile einen Zustand verängstigter Stille schuf.

      Draußen kämpfte die Sonne sich durch den milchigen Dunst des späten Oktobermorgens, der Himmel hing voll perlmutterfarbener Wölkchen. Im Gärtchen gackerten die Hühner, Orpheus’ schmetterndes Kikeriki grüßte sieghaft den Tag.

      »Eurydike verliert ihre schönsten Federn«, berichtete Julia. »Resi sagt, sie sei in der Mauser.«

      »Warum heißt das bunte Huhn Eu-Eury-?« Michael stolperte; mit Fremdwörtern stand er auf schlechtem Fuße.

      »Eu-ry-di-ke«, buchstabierte Julia, während sie träumerisch Honig in goldenen Fäden auf ihr Brot rieseln ließ.

      »Mumi – warum?« wandte sich Michael an mich.

      »Frag nicht so viel«, verwies ich ihn, »zumal, wenn du etwas ganz genau weißt.«

      Wir hatten ihm oft genug von Orpheus, dem begnadeten Sänger der griechischen Sage erzählt. Pompe funèbres Hahn verdankte seinen Namen einem besonders wohllautenden Organ, und da er in der Schar seiner Hennen einem bunten Minorkahuhn besondere Aufmerksamkeiten zu bezeigen pflegte, hatten wir es Eurydike getauft.

      Rrrr – Chchchch – – Michaels Augen hefteten sich selbstvergessen auf die Kuckucksuhr.

      Ich trieb Julia zur Eile an. »Glaubst du etwa, der ›Expreß‹ wartet auf dich?«

      Man brauchte zehn Minuten, um zum Bahnhof zu gelangen; von Julia war nicht zu erwarten, daß sie es in weniger als einer Viertelstunde schaffen würde. Endlich stopfte sie den Rest ihrer Semmel in den Mund, stülpte den runden grünen Hut mit der Spieihahnfeder auf den Kopf und setzte sich, die Schulmappe unter dem Arm, in einen gelinden Trab. Michael, der in die Dorfschule ging, hüpfte wie ein junger Hund nebenher.

      Ich stand am Zaun und sah ihnen nach, wie sie den Hang hinunterliefen. Julias Locken tanzten auf den kindlichen Schulfern, an der Wegbiegung drehte sie sich noch einmal um und winkte mir zu. Drunten fauchte der »Expreß« heran. Mit seinen hochräderigen Wagen und der stämmigen, kleinen Lokomotive, die bösartige schwarze Rauchwolken entsandte, schien er der Zeit der ersten Eisenbahn zu entstammen und hätte jedem technischen Museum zur Zierde gereicht. Eine Weile begleitete er das graue Band der Landstraße, um dann hinter den Häusern des Dorfes zu verschwinden. Das Rattern wurde schwächer und verstummte vor dem schmucken, weißen Bahnhofsgebäude mit der Aufschrift Riedling/Obb., daraus in diesem Augenblick der Stationsvorsteher Wurzbichler hervortrat, die Signalstange wie ein Zepter in der Hand. Ein gellender Pfiff. Das Rattern klang wieder auf und verklang. Hoffentlich hatte Juli den Zug erwischt!

      Ich stand noch eine Weile und genoß den Morgenfrieden, die Wiesen, funkelnd von Tau, den herbstlich gefärbten Wald, der diesseits und jenseits des Tals die Höhen krönte, den barocken Kirchturm von Riedling inmitten der breit hingelagerten Bauernhöfe, und am Horizont, sanft von Dunst umhüllt, die Kette der Berge vom Wendelstein bis zur Zugspitze. Jenseits des Dorfes führte ein Serpentinenpfad zum Fluß hinab. Wir waren ihn im Sommer oft, gegangen, eingehüllt in den harzigen Duft des Waldes. Die Kinder hatten Beeren gesucht, und Michael hatte seine Papierschiffchen dem schäumenden Gebirgswasser anvertraut, das keine Schiffe auf seinen tanzenden Wellen duldete, außer den Flößen aus frischgehauenen Baumstämmen, die im Herbst von kräftigen Bauernfäusten talwärts gesteuert wurden.

      Im Dachgeschoß knarrte eine Tür. Pompe funèbre betrat ihren Balkon und schmückte die Brüstung mit einem gewaltigen Federbett. Wir wechselten ein paar Worte, dahingehend, daß dem Wetter nicht zu trauen sei. Sie spüre es in ihrer linken großen Zehe, erklärte Pompe funèbre, und ihre linke große Zehe sei verläßlicher als ein Barometer. Dann teilte sie mir mit, bei Major Quantes sei gestern ein Gast eingezogen. Es handle sich um eine entfernte Verwandte, die, so munkle man, von den Aufregungen eines Scheidungsprozesses in ländlicher Einsamkeit Erholung suche.

      »Hoffentlich zahlt sie für das Zimmer«, sagte Pompe funèbre, »Quantes könnten es gebrauchen, sie haben viel zu großzügig gebaut; Ich bitte Sie, sechs Zimmer für zwei Personen!« »Frau Major«, sagte ich, »warum vermieten Sie nicht?« Sie sah mich von oben herab an, als sei Vermieten für Majors eine Schande. »Mein Gott, mir ist es auch nicht an der Wiege gesungen worden, daß ich eines Tages gezwungen sein würde, zu vermieten, aber als wir seinerzeit bauten, sagte mein verewigter Mann –«

      An den Zaun gelehnt, ließ ich zum hundertsten Male die Entstehungsgeschichte des Hauses, ausgeschmückt mit den goldenen Worten des »Verewigten«, über mich ergehen. Pompe funèbre tat sich viel darauf zugute, daß ihr Haus das erste am Hang gewesen war. Ein Jahr später hatte Professor Ambrosius Riedling entdeckt; ihm folgten Quantes und Frau Willbrandt-Schrödl. Im Laufe von wenigen Jahren war eine kleine Kolonie entstanden, deren Bewohner einander kannten wie Geschwister. Namentlich Pompe funèbre wußte in allen Häusern Bescheid. War es nicht erstaunlich? Gestern hatten Quantes einen Gast bekommen, und heute in der Frühe war Pompe funèbre bereits über alles Wissenswerte im Bilde!

      Während ich ins Haus zurückging, fiel mir wieder einmal die Vorliebe des »Verewigten« für das Pittoreske auf. Nicht allein die Kuckucksuhr legte Zeugnis dafür ab, das ganze Haus war ein getreues Abbild jener Schweizerhäuschen, die man in Basaren zum Andenken an froh verlebte Ferien kauft und deren Inneres aus unerfindlichen Gründen ein Tintenfaß oder ein Nähkästchen beherbergt. Allenthalben fand sich Geschnitztes, an Giebeln und Balkonen, am Dachfirst und an den Fensterladen, die Haustür nicht zu vergessen, die ein von Heckenrosen umrahmtes SALVE zierte. Das Innere des Hauses wurde von der Malkunst beherrscht. Jede Tür trug ein alpines Emblem, ein Edelweiß etwa oder eine Enzianblüte, einen Gamsbock oder einen Steinadler. Wahrscheinlich hatte der Schöpfer der Embleme auch die Ölbilder in den Zimmern auf dem Gewissen. Sie wiesen eine gewisse Eintönigkeit sowohl in der Wahl der Motive als auch in den Farben auf. Bei allen handelte es sich um Berghäupter, grau und drohend vor einem Himmel von durchdringendem Blau. In der Wohnstube grüßten uns Zugspitze und Venediger, Stefan wurde an seinem Schreibtisch von der finsteren Größe des Matterhorns beeindruckt, über unseren Betten prangte der Großglockner, während Watzmann, Wendelstein und Benediktenwand sich auf die Zimmer der Kinder verteilten.

      Wir hatten uns ehrfurchtsvoll gefragt, ob der »Verewigte« alle diese Gipfel bezwungen habe, aber eine Nachfrage bei Pompe funèbre hatte ergeben, daß sein Herzleiden ihm das Bergsteigen vor der Zeit verboten habe. So hatte er wenigstens seine Lieblinge im Bilde um sich haben wollen. Mit der Zeit war er von Sammelleidenschaft ergriffen worden; er hatte Gipfel gesammelt, so wie andere Freimarken oder Tabaksdosen oder Uhren sammeln.

      »Wenn


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