Wir plus drei. Ell Wendt

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Wir plus drei - Ell Wendt


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Du bist zu nachsichtig, das ist es!«

      Ich griff in ihr kurzes dunkelblondes Haar und schüttelte sie ein wenig. »Was würdest du sagen, wenn ich nicht nachsichtig wäre? Wenn ich zum Beispiel sagte: Co, ich finde es scheußlich, daß du ewig diesen alten Kamelhaarmantel trägst und Schuhe ohne Absätze. Ich finde es scheußlich, dich immer mit einer Zigarette im Munde herumlaufen zu sehen und bei jeder Gelegenheit dein ›phänomenal‹ und ›sagenhaft‹ zu hören?«

      »Aber –«, begann Co. Doch dann sagte sie nichts mehr und ging nachdenklich fort.

      Zum Abendessen trug sie Schuhe mit Absätzen und vermied sorgfältig die Worte »phänomenal« und »sagenhaft.« Natürlich tat ich, als bemerkte ich nichts, und Corinnas Gutenachtkuß, wärmer als sonst, dankte mir dafür.

      JULIA

      Übrigens hatte Corinna recht. Julia war wirklich beunruhigend. Was fängt man mit einem Kinde an, das in den Wolken lebt? Juli träumte, wo sie ging und stand. Hieraus ergaben sich zahlreiche Zusammenstöße mit der rauhen Wirklichkeit, aus denen sie schmerzlich erstaunt, jedoch ohne irgendwelchen Nutzen daraus gezogen zu haben, hervorging. Oftmals ertappten wir sie, wie sie mit offenen Augen ins Leere staunte, ein verlorenes Lächeln um den hübschen Mund. Angerufen, fuhr sie zusammen, wie auf frischer Tat ertappt. »Juli, woran hast du eben gedacht?« »Ich – ich –«, Julia stammelte hilflos, »ich weiß wirklich nicht –«

      »Ich wette, du hast an gar nichts gedacht«, rief Corinna erbittert.

      Juli lächelte ihr entwaffnendes Lächeln. Ihre Gutmütigkeit erstickte jeden Angriff im Keim; es war fast unmöglich, sie in Harnisch zu bringen. Stefan behauptete, sie habe eine wattierte Seele.

      Als Baby war sie entzückend gewesen, dick, rosig und blondgelockt. Ein Angelino, sagte begeistert meine Tante Alwine, die gerade von einem Ferienaufenthalt in Italien zurückkam und sich viel darauf zugute tat, der Landessprache mächtig zu sein. Wie dem auch sein mochte, Juli war das faulste »Angelino«, das man sich vorstellen konnte. Ich muß gestehen, daß wir damals, wahrscheinlich aus Gründen des Eigennutzes, jene Faulheit bezaubernd fanden. Man denke, ein Kind, das man stundenlang mit einem Spielzeug sich selbst überlassen konnte, ohne befürchten zu müssen, daß es irgend etwas anstellte!

      Die Schwierigkeiten begannen mit der Schule und steigerten sich von Jahr zu Jahr. Es erwies sich, daß Julia keine Spur von Ehrgeiz besaß.

      »Sie beteiligt sich nicht am Unterricht«, klagten ihre Lehrer und fügten vorwurfsvoll hinzu, ein derart undiszipliniertes Kind sei ihnen noch nicht vorgekommen.

      Wir nahmen uns Julia vor. »Warum hast du wieder nicht aufgepaßt?«

      Aber sie habe doch aufepaßt, verteidigte sich Juli freundlich. Ihre Sanftmut war schrecklich, sie machte es uns immer wieder schwer, unseren gerechten Zorn aufrechtzuerhalten. Um uns ihre Aufmerkamkeit zu beweisen, berichtete sie, es sei in der deutschen Stunde von Leander die Rede gewesen, der allnächtlich den Hellespont durchschwommen hatte, um zu seiner Angebeteten zu gelangen.

      »Glaubst du, daß das heute noch jemand täte?« fragte sie.

      »Nein«, sagte ich, »heute werden Meerengen allenfalls aus sportlichen Gründen durchschwommen. Aber darum handelt es sich jetzt nicht. Es scheint, daß du nicht weißt, was los ist, wenn du aufgerufen wirst. Wo, um alles in der Welt, hast du deine Gedanken?«

      Julia beantwortete meine Frage nicht.

      »Wenn ich einmal heirate«, sagte sie verloren, »dann muß es ein Mann wie Leander sein.«

      Ich schwieg geschlagen. Dieses Kind dachte an nichts als ans Heiraten. Mit fünf Jahren hatte sie den Briefträger heiraten wollen, mit sieben einen Trambahnschaffner, der sie »kleines Fräulein« nannte. Zehnjährig, warf sie ein Auge auf ihren Zeichenlehrer, und seit einiger Zeit hing ihr Herz einem Filmschauspieler an, mit einem Lächeln, süß wie Kunsthonig. Sein Bild hing über ihrem Bett, neben Willy Fritsch und Robert Taylor und einigen anderen Größen vom Film, die sie der Reihe nach geliebt hatte.

      Eine Stunde später fand ich sie in der Wohnstube, mit glühenden Wangen über ein Heft gebeugt.

      »Du machst Schularbeiten«, fragte ich hoffnungsvoll und versuchte, einen Blick in das Heft zu tun.

      Aber Juli klappte es hastig zu. »Nein. Es ist – eine Überraschung für Weihnachten, weißt du.«

      Ein Argwohn stieg in mir auf. Am Abend vertraute ich ihn Stefan an: »Ich fürchte, Juli schreibt!«

      »Um Himmels willen!« rief Stefan.

      Michael, der in der Ofenecke spielte, sah interessiert auf.

      »Juli macht schöne Geschichten«, verriet er mit wichtiger Miene. »Sie will auch eine Schriftstellerin werden, wenn sie groß ist.«

      »Ach, du lieber Gott!« sagte Stefan.

      »Bist du nicht gern Schriftsteller, Vater?« erkundigte sich Michael gespannt.

      »Doch – natürlich.«

      »Warum sagst du dann, ›ach, du lieber Gott‹?«

      Stefan geriet in Verlegenheit. Unmöglich, dem achtjährigen Mick auseinanderzusetzen, was es mit dem Beruf eines Schriftstellers auf sich hatte. Unmöglich, ihm von den »toten Punkten« zu erzählen, von den Stunden des Zweifelns und Verzweifelns. Vom Rausch des Schaffens auf der einen Seite und der Unzulänglichkeit zwischen Wollen und Vollbringen auf der anderen. Vom Kampf um Anerkennung und Erfolg, die nicht allein vom Wert des Geschaffenen abhängen, sondern sehr oft vom Glück, manchmal sogar vom Zufall.

      So zog er sich ziemlich lahm aus der Affäre, indem er sagte, daß Juli besser daran tue, ihre Schularbeiten zu machen, damit sie Ostern versetzt werde.

      »Schularbeiten sind fad«, erklärte Mick kategorisch und wandte sich wieder seinem Spielzeug zu.

      Später im Schlafzimmer kamen wir auf das Thema zurück. Das heißt, ich beschwor Stefan, darauf zurückzukommen. Er lag schon im Bett, und der gläserne Blick seiner Augen, verbunden mit herzhaftem Gähnen, tat mir kund, daß er auf der Stelle bereit war, in das selige Reich der Träume hinüberzuwechseln.

      »Wir müssen über Juli sprechen. Sie hat nichts als Unsinn im Kopf. Wohin soll das führen?«

      Stefan knurrte, er wisse es auch nicht.

      »Vielleicht denkst du einmal darüber nach«, sagte ich gereizt. »Schließlich ist Juli deine Tochter so gut wie meine. Wenn sie Ostern sitzenbleibt –«

      »Und wenn schon –«, brummte Stefan.

      Ich traute meinen Ohren nicht. »Hast du vergessen, daß sie schon einmal sitzengeblieben ist?«

      Stefan entschloß sich seufzend zu einer Zusammenhängenden Rede. Seine Ausführungen gipfelten in der Behauptung, daß ein Mädchen von Julias vielversprechendem Äußeren auf glänzende Schulzeugnisse verzichten könne.

      »Deine Ansichten sind vorsintflutlich«, rief ich aufgebracht. »Heute ist es nicht mehr so, daß Schönheit alle fehlenden Eigenschaften ersetzt!«

      »Nicht alle«, gab Stefan zu, »aber eine ganze Menge. Das war gestern so, es ist, heute so und wird voraussichtlich immer so bleiben.«

      »Nur ein Mann kann so sprechen« – ich warf Stefan einen vorwurfsvollen Blick zu –, »aber selbst angenommen, du hättest recht, so würde ich, was Juli betrifft, eher eine Gefahr als ein Glück darin sehen.«

      Stefan äußerte, er sei im Augenblick außerstande, etwas anderes als eine Tatsache darin zu sehen. »Juli ist dreizehn. Wir – haben – noch – eine – Menge – –«

      Ich nahm an, daß er »Zeit« hatte sagen wollen und hätte gern zu bedenken gegeben, daß wir uns bei Julis amouröser Veranlagung keinem übertriebenen Optimismus in diesem Punkt hingeben dürften. Statt dessen sah ich mich genötigt, ihn mit erhobener Stimme beim Namen zu nennen. Denn Stefan schnarchte. Er schnarchte wie ein Holzknecht, und kein Zug seines Gesichts erinnerte in diesem Augenblick daran, daß


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