Wir plus drei. Ell Wendt

Читать онлайн книгу.

Wir plus drei - Ell Wendt


Скачать книгу
Tonkrug, mit Wiesenblumen oder buntem Laub gefüllt, war der einzige Luxus, den er sich gestattete.

      Im Oberstock hörten wir Pompe funèbre mit Eimer und Besen hantieren. Sie war eine Fanatikerin der Sauberkeit und ließ es sich nicht nehmen, ihr »Witwenstübchen« täglich auszuräumen, um wie sie sagte, »gründliche Ordnung zu schaffen«.

      Stefan seufzte. »Nicht einmal auf dem Lande hat man Ruhe.«

      Ich trat hinter seinen Stuhl und streichelte sein Haar. »Wenn wir es erst zu einem eigenen Häuschen gebracht haben –« Dieses eigene Haus war das Ziel, dem alle unsere Wünsche zustrebten. Wir hatten schon einen Platz ausgesucht, wo es stehen sollte, ganz oben am Waldrand neben Sörensens »Hundehütte«. An stillen Abenden überboten wir uns im Pläneschmieden. Keiner von uns konnte zeichnen. Trotzdem fertigten wir einen Grundriß an, in dem niemand sich auskannte, nicht einmal wir selber. Aber wir zeichneten immer mehr hinein, so daß er allmählich einem Schnittmusterbogen glich mit seinem Gewirr rätselhafter Linien. Wir führten stundenlange Gespräche über die Zahl der Räume, über die Größe der Fenster und die Farbe des Holzes; wir ereiferten uns und vergaßen manchmal vollkommen, daß wir ein Luftschloß bauten, zu dessen Verwirklichung vorläufig alle Voraussetzungen fehlten. Zuweilen behauptete Stefan mit einem vorwurfsvollen Blick auf mich, die Kinder verschlängen Unsummen. Aber ich glaube nicht, daß unsere Kinder mehr kosteten als die anderer Leute. Außerdem war es Stefan, der ihnen, seinen Theorien von spartanischer Erziehung zum Trotz, keinen Wunsch abschlagen konnte.

      Stefan befreite die »große Erika« von ihrer Wachstuchhülle. Seine Schreibmaschine hieß die »große Erika« im Gegensatz zur kleinen, die ihn auf Reisen begleitete und obendrein mir zur Erledigung seiner beruflichen Korrespondenz diente. Er spitzte umständlich mehrere Bleistifte, legte Papier zurecht und fluchte, weil er seinen Radiergummi nicht finden konnte. Seine Vorbereitungen erinnerten mich an die eines Menschen im Schwimmbad, der mit allerlei Listen und Ränken den Augenblick hinauszögert, in dem er sich dem nassen Element ausliefern muß. Endlich lagen und standen alle Dinge an ihrem Platz; der Augenblick, in dem nichts mehr den Schwimmer hindert, sich ins Wasser zu stürzen, war gekommen.

      Ich zog leise die Tür hinter mir zu. Für die nächsten Stunden war Stefan der Welt und ihrem Treiben so entrückt, als lebe er auf einem anderen Stern.

      PROFESSOR AMBROSIUS

      Als ich aus dem Hause trat, war der Himmel grau in grau. Ein rauher Wind wirbelte ein paar bunte Blätter durch die Luft, die Berge waren hinter einer Wolkenwand verschwunden. Ich schlug den Kragen meines Mantels hoch und ging schnell den Pfad zum Dorf hinab, den ein windschiefes Schild als Benediktenwandstraße bezeichnete. Eine kühne Bezeichnung übrigens, denn wenn man es recht besah, konnte von einer Straße nicht die Rede sein. Aber der Gemeinderat war offenbar der Ansicht gewesen, daß das Vorhandensein von Häusern das Vorhandensein von Straßen bedinge. So waren die schmalen Pfade, die sich durch die Wiesen zogen, vermittels Beschriftung in den Straßenstand erhoben worden. In der Benediktenwandstraße wohnte außer Pompe funèbre und uns Professor Ambrosius; Quantes Haus stand an der Zugspitzstraße und das von Frau Willbrandt-Schrödl an der Ludwig-Thoma-Straße. Den Vogel aber hatten Sörensens abgeschossen, denn der liebliche Wiesenpfad, der sich an der »Hundehütte« vorbei zum Waldrand hinaufschlängelte, hieß Immanuel-Kant-Straße. Wir schrieben diesen genialen Einfall der Anwesenheit des Bäckermeisters Senftl im Gemeinderat zu. Herr Senftl war ein Mann, dessen Neigungen über das Bäckcereigewerbe hinaus den Bezirken des Geistigen zustrebten. Sein von paradiesischen Düften erfüllter Laden gegenüber dem Schulhaus war ein Magnet, der die Kinder unwiderstehlich anzog. Den Mittelpunkt des Dorfes aber bildete der Gasthof »Zum grünen Baum«, »ausgeübt« von Herrn Emanuel Holzeder. Hier hatten sowohl die Einheimischen als auch die Bewohner der »Kolonie« ihren Stammtisch; Höhepunkte des menschlichen Daseins als da sind Hochzeits-, Taufund Begräbnisschmaus, spielten sich im »Grünen Baum« ab; an stillen Abenden hörte man das Rollen der hölzernen Kugeln auf der Kegelbahn bis zum Walde herauf.

      Neben dem Gasthof »Zum grünen Baum« betrieb Herr Holzeder einen Laden, von uns »Holzeders Bazar« genannt, denn es gab dort alles zu kaufen, angefangen bei Geräten für die Landwirtschaft bis zu kolonialen Erzeugnissen, wollener Unterwäsche, buntgeblumten Dirndlstoffen, Geschirr, Spielzeug, Nähnadeln und Ansichtskarten. Herr Holzeder durfte sich mit Recht rühmen, der reichste Mann des Dorfes zu sein, aber auch er hatte sein Kreuz zu tragen in Gestalt seiner einzigen Tochter, die eine schwere Erkrankung in früher Kindheit zum Krüppel gemacht hatte.

      »Unser Herrgott sorgt schon dafür, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen«, pflegte Pompe funèbre im Hinblick auf Herrn Holzeders Tochter zu sagen, mit einer Miene triumphierender Gerechtigkeit, die ich aus Herzensgrund verabscheute.

      Elf Uhr! Aus dem Schulhause strömten, schreiend und lachend, die Kinder. Meine Augen entdeckten Michael inmitten einer Schar raufender Buben, und mein Herz schlug höher beim Anblick seiner kleinen, festen Gestalt in der ausgewachsenen Lederhose. Ich liebte meine drei Kinder mit der gleichen Zärtlichkeit, in einem verborgenen Winkel meines Herzens jedoch war der kleine Michael unumschränkter Herrscher. Vielleicht weil er der Jüngste war, vielleicht aber auch aus dem unterbewußten Gefühl einer besonderen Verbundenheit zwisehen Mutter und Sohn heraus, deren Ursprung zu den Rätseln der Natur gehört.

      »Mick hat niemals aufgehört, Mumis Schoßkind zu sein«, hatte Corinna einmal gesagt. Natürlich war es übertrieben, aber ein Körnchen Wahrheit steckte doch darin.

      Nachdem ich meine Einkäufe bei Herrn Holzeder, beim Bäckermeister Senftl und in der Metzgerei des Herrn Alois Brunnhuber erledigt hatte, machte ich mich auf den Heimweg. Der Wind warf sich mir entgegen, er zerrte an meinen Kleidern und zwang mich, den »Unverwüstlichen«, einen altersgrünen Filz, den ich unter hemmungslosem Verzicht auf jede Eitelkeit hier draußen trug, tiefer in die Stirn zu ziehen. In der Benediktenwandstraße kam mir der Professor entgegen. Er wehte vor dem Winde daher, wie eine Fledermaus anzusehen in seinem flatternden Lodencape und mit den dünnen, grauen Haarsträhnen, die wirr seinen Kopf umstanden. Es gab schwerlich einen häßlicheren Menschen als ihn, und schwerlich einen, der ein gütigeres Herz besessen hätte. Unsere Freundschaft hatte ihren Ursprung in der Zeit, als ich sein Buch über ostasiatische Kultur las. Nie zuvor, so schien mir, war ein wissenschaftliches Thema bei vollkommener Durchdringung des Stoffes so kurzweilig und lebensnah angepackt worden. Hingerissen forschte ich von Stund an in Buchhandlungen und Zeitschriften nach Arbeiten von Professor Gregor Ambrosius. Nach einem Vortrag in der »Gesellschaft für Völkerkunde« faßte ich mir ein Herz und suchte ihn auf. Ich fand mich dem sonderbarsten kleinen Manne gegenüber, der mir jemals begegnet war. Graue Augen von durchdringender Klugheit beherrschten ein kleines, vogelähnliches Gesicht, dessen Häßlichkeit man, gefesselt von einer ungeheuren Beweglichkeit des Ausdrucks, alsbald vergaß. Die Kleidung des Professors war nicht dazu angetan, den ungewöhnlichen Eindruck seiner Erscheinung herabzumindern. Damals trug er zu einem Cut von vorsintflutlichem Schnitt einen gebatikten Flatterschlips. Er gestand mir später, daß es sich um den »Anzug für besondere Gelegenheiten« handle, während er auf dem Lande im »Wind- und Wetteranzug« einherging, einem zeitlosen Gebilde aus graugrünem Lodenstoff. Aus der Bekanntschaft wurde bald eine Freundschaft. Wenn der Professor nicht in seiner Eigenschaft als Ethnologe in fernen Ländern weilte, ging er fast täglich bei uns ein und aus. Stefan und er schätzten einander, obwohl oder vielleicht gerade weil sie so verschieden geartet waren. Die Kinder hingen ihm mit großer Liebe an, und mir wurde seine immer bereite Freundschaft zu einem nicht mehr fortzudenkenden Bestandteil meines Lebens. Vor etwa drei Jahren hatte er sich das kleine Heim in Riedling geschaffen, für den »Lebensabend«, wie er mit einem spöttischen Zwinkern sagte, aber wir waren überzeugt, daß es ihn noch mit siebzig wieder in die Welt hinaustreiben würde, unverwüstlich jung und springlebendig, wie er war.

      »Hallo, Frau Elisabeth«, rief er mir zu, während er eine der zahllosen Unebenheiten der »Benediktenwandstraße« mit einem Sprung überwand, »woher des Weges? Nein, sagen Sie nichts. Lassen Sie meiner Phantasie freien Lauf! Wetten, daß Sie aus ›Holzeders Bazar‹ kommen?«

      »Erraten!« sagte ich lachend. »Wetten, daß Sie sich auf dem Wege zu ›Holzeders Bazar‹ befinden?«

      »Unser Scharfsinn ist bewundernswert. Stellen


Скачать книгу