Wir plus drei. Ell Wendt

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Wir plus drei - Ell Wendt


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Kinder in einem Abstand von zwei bis drei Jahren zur Welt kommen sollten, nicht nur, damit es sozusagen in einem Aufwaschen vor sich gehe, sondern um ihnen das Glück einer gemeinsamen Kindheit zu schenken. Aber die Natur hatte es anders gewollt. Sie hatte große Zeitspannen zwischen Corinna, Julia und Michael gelegt. Als Mick geboren wurde, war Corinna elf Jahre alt und Julia fünf. Der kleine Michael wuchs heran, verwöhnt von einem unsäglich stolzen Ehepaar und zwei zärtlichen Schwestern. Namentlich ich war geneigt, ihn für den vollkommensten kleinen Buben zu halten, der jemals das Licht der Welt erblickt hatte. Alles, was bei Co und Juli Gegebenheiten der Natur gewesen waren, wurde bei Michael zum Wunder: das erste Lächeln, der erste Zahn, die ersten tastenden Schrittchen. Selbst seine Zornausbrüche bestaunte ich als Kundgebungen eines überschäumenden Temperaments. Stefan lachte mich aus, weil ich aus Micks kindlichen Spielen kühne Schlußfolgerungen auf die in ihm schlummernden Talente zog.

      »Vielleicht wird einmal ein großer Baumeister aus ihm«, vermutete ich, während wir zusahen, wie der kleine Michael mit dicken, ungelenken Fingerchen Bauklötze aufeinandertürmte.

      »Oder ein Marmeladefabrikant«, sagte Stefan lachend. »Findest du nicht, daß er Kurt ähnlich sieht?«

      Ich war empört. Mick, der aussah wie ein Raffaelscher Engel! »Kurt war auch ein hübsches Kind«, entsann sich Stefan. »Ich weiß noch, daß ich ihn deshalb verabscheute. Immer hieß es, der süße Kurti, immer wurde er mir als Beispiel vorgehalten: ›Schau dir Kurti an, wie nett und sauber er aussieht! Kurti ist ein Junge, der etwas auf sich hält!‹ Einmal verprügelte ich ihn, als er seinen besten Matrosenanzug anhatte, nur damit er nicht immer wie ein geleckter Affe herumlaufen sollte.«

      »So warst du also«, sagte ich. »Und ich habe dich für einen verträumten Einzelgänger gehalten.«

      »Ich war ein stilles Kind«, sagte Stefan, »aber es ist falsch zu denken, daß stille Kinder temperamentlos sein müssen.«

      Michael war kein stilles Kind. Es war das letzte, was man von ihm behaupten konnte. Der erste Konflikt zwischen Vater und Sohn entstand durch Micks Gewohnheit, seine Plüschtiere laut singend durch die Wohnung zu ziehen.

      »Kannst du dem Buben nicht beibringen, daß man auch leise spielen kann!« beschwor mich Stefan.

      Aber für Mick war ein Spiel ohne Gesang überhaupt kein Spiel. Nicht etwa, als habe sich darin eine frühe musikalische Begabung kundgetan! Micks Gesang entbehrte jedes Wohlklanges, er war nur ungewöhnlich laut. Manchmal geriet sogar ich, die bereit war, meinen Sohn hemmungslos zu vergöttern, außer Fassung. »Mick, um Himmels willen, hör auf zu singen!«

      Stille! Mick lag bäuchlings am Boden und baute einen Tierpark auf. Ich hörte ihn zu den Tieren sagen: »Wir dürfen nicht singen – – wir dür–fen nicht sin–gen, la la lala.« Das letzte la erklomm sieghaft den höchsten Diskant. Es war hoffnungslos!

      Michael war jedermanns Freund. Schwer zu sagen, ob sein Herz mehr am Briefträger Waggerl hing, den er auf seinen postalischen Gängen zu begleiten pflegte, oder an Herrn Holzeder, dessen »Bazar« ein immer neues Wunderland war. In der Werkstatt des Schusters Enzensberger war er ebenso zu Hause wie beim Schreinermeister Reitlhuber, und auch der Schullehrer, Herr Promoli, war Mick wohlgesinnt. Er konnte eine stattliche Anzahl von »Fleißkärtchen« aufweisen, Bilder von grausamer Buntheit, die Herr Promoli zum Lohn für gute Leistungen verteilte.

      In der »Kolonie« bevorzugte Michael Kunstmaler Sörensen. Dieser trotz seiner trübseligen Wirtschaftslage immer wohlgelaunte junge Mann und seine kleine Frau waren Kindernarren. Sie wurden nicht müde, Fragen zu beantworten und zerbrochenes Spielzeug zu flicken. Sie schienen vollkommen unempfindlich gegen Lärm zu sein, und obwohl sie sich schlecht und recht durchbrachten und Pompe funèbre zufolge nur einmal in der Woche Fleisch aßen, bewirteten sie Michael und seine Spielgefährten mit Milch und Honigbroten.

      Was schließlich und endlich Pompe funèbre betraf, so erstrahlte ihr kummervolles Gesicht in einem wohlwollenden Lächeln, sobald sie Micks ansichtig wurde. Ihre Beziehungen wurzelten in der gemeinsamen Liebe zu Orpheus und den Hühnern. Sie führten lange Gespräche über Hühnerzucht, und Mick setzte Pompe funèbre durch seine wißbegierigen Fragen in Verlegenheit.

      Warum Orpheus keine Eier lege, wollte er eines Tages wissen.

      »Weil er ein Hahn ist«, antwortete Pompe funèbre.

      »Warum legt ein Hahn keine Eier?« beharrte Michael.

      »Er hat statt dessen schöne Federn«, erkärte Pompe funèbre unter hemmungslosem Verzicht auf Logik.

      Mick versank in Schweigen. Offenbar fand er eine Ungerechtigkeit darin, daß Nutzlosigkeit mit Schönheit belohnt wurde.

      »Was tut er denn, wenn er keine Eier legt?« hub er nach einer Weile von neuem an.

      »Das verstehst du noch nicht«, sagte Pompe funèbre schamhaft.

      Ich war der Unterhaltung durch das offene Fenster gefolgt und kam Pompe funèbre zu Hilfe, indem ich Michael ins Haus rief und ihm verbot, so viel zu fragen. Mick trollte sich; sein rundes Gesicht drückte Vorwurf und Zweifel aus.

      Am nächsten Tage kam er aus der Schule, den Triumph des Wissenden im Blick.

      »Jetzt woaß i, was mit die Hähne is«, verkündete er bei Tisch im reinsten Oberbayrisch.

      Wir horchten mißtrauisch auf.

      »Der Schustertoni hot gsagt, der Gockel ist der Pappa zu die kloanen Hüahnerl«, erklärte Michael. »Damit ihr’s wißt!«

      Wir nahmen es dankbar zur Kenntnis.

      TEE BEI QUANTES

      Es kam, wie der Professor vorausgesagt hatte: Frau Major Quante veranstaltete einen Tee. Sie lud die ganze »Kolonie« ein, mit Ausnahme eines neu zugezogenen Ehepaares aus Augsburg.

      »Die Leutchen haben noch nicht Besuch gemacht«, teilte sie uns leutselig mit. »Selbstverständlich hätte ich sie sonst auch gebeten.«

      Man hätte annehmen sollen, daß das Landleben dazu angetan sei, die Fesseln der Konvention zu lockern. Weit gefehlt, zumindest was Quantes anbetraf. Es mußte mit ihrem ehemaligen Beruf Zusammenhängen. Wer Frau Quante auf dem Sofa thronen sah, silberhaarig und pompös, suchte sich ängstlich an alles zu erinnern, was er jemals über gutes Benehmen gehört hatte, und der Major ging sogar so weit zu behaupten, Formlosigkeit sei der Beginn der Anarchie.

      Wir saßen um den runden Tisch im Eßzimmer. Vor den Fenstern verdämmerte der Novembertag, die Hängelampe goß grün verhülltes Licht über den Tisch, in dessen Mitte Frau Quantes berühmter Napfkuchen prangte. Vom raumkünstlerischen Standpunkt aus betrachtet war Quantes Eßzimmer nicht schön zu nennen mit seiner dunkel gestreiften Tapete und den schweren, geschnitzten Möbeln, aber es lag eine verschollene Behaglichkeit über dem Ganzen, die auf eine anheimelnde Weise an Kindheit und Elternhaus erinnerte.

      Zwischen Major Quante und dem Professor war ein Stuhl frei geblieben.

      »Vielleicht kommt unser Gast nachher ein wenig herunter«, erklärte Frau Quante, während sie Tee in die goldgeränderten Tassen goß. »Ihr Mann bat uns vor seiner Abreise, wir rnöchten ein wenig für Zerstreuung sorgen, aber sie ist am liebsten allein in ihrem Zimmer. Diese jungen Frauen von heute sind so – so –«

      Frau Major Quante suchte vergeblich nach einem Wort, geeignet; uns über das Wesen der jungen Frauen von heute aufzuklären. Wir sahen einander an. Die Äuglein des Professors funkelten vor Spottlust, Kunstmaler Sörensens Jungengesicht erstrahlte in einem unverhohlenen Grinsen, Frau Willbrandt-Schrödls Doppelkinn schob sich erwartungsvoll vor, und Pompe funèbre hob witternd die Nase in der freudigen Hoffnung auf irgendwelche Enthüllungen. Wir wußten alle, daß wir nur eingeladen worden waren, um die neue Hausgenossin vorgeführt zu bekommen.

      Der Major schlürfte genießerisch seinen Tee. Sein rotes Gesicht unter dem eisengrauen Haar hatte einen grimmigen Ausdruck, so, als sei er jeden Augenblick darauf gefaßt, einen Feind auftauchen zu sehen. Man mochte über sein polterndes Wesen denken, wie man wollte – niemand konnte sich der Würde entziehen, mit der der Major


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