Stark wie die Mark. Rudolf Stratz

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Stark wie die Mark - Rudolf Stratz


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      Rudolf Stratz

      Stark wie die Mark

      Roman

      Saga

      Stark wie die Mark

      © 1913 Rudolf Stratz

      Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

      All rights reserved

      ISBN: 9788711507179

      1. Ebook-Auflage, 2016

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

      1

      Der, den wir in diesem Buch ein gutes Stück seines Lebens durch Kampf und Fehle, durch Schuld und Reue und Irrtum und Erkenntnis begleiten wollen, der war an diesem Potsdamer Frühlingstag eigentlich noch ein grüner Junge. Erst nahe an neunzehn. Ein Portepeefähnrich, wie die hundert anderen Kriegsschüler um ihn. Silberglanz der Berliner Gardeinfanterie an Kragen und Aufschlägen. Die Reihen neben ihm entlang auf Pickelhauben und Pelzmützen und Stahlhelmen, auf Czakos und Czapkas, über den jungen Gesichtern die Wappen aller Fürsten zwischen Maas und Memel: der fliegende Adler und der steigende Löwe, der Greif und die Sonne, das Hirschhorn und das springende Ross. Mit Ausnahme der Bayern die ganze deutsche Armee.

      Noch nicht anderthalb Jahrzehnte nach dem grossen Krieg von 1870 ... in der ersten Hälfte der achtziger Jahre ... Und der erste Mai ... Ein tiefblauer Himmel über dem alten Potsdam und seinem Stadtschloss, vor dessen Front die Fähnriche aufmarschiert standen. Frühlingsgrün drüben über den weissen Marmorgruppen des Lustgartens ... davor die sandige Exerzierfläche ... Auf die brannte die Sonne ... Fern klimperte vom Turm der Garnisonkirche, hoch über den Grabstätten Friedrichs des Grossen und seines Vaters, des Soldatenkönigs, das Glockenspiel sein uraltes „Üb immer Treu und Redlichkeit ...“ Dann Stille. Erwartungsvolles Schweigen.

      Der Fähnrich Achim von Bornim sah aus, wie ein Fähnrich aussehen soll. Lang, mager, stramm, den ersten Flaum auf den Lippen, mit einem verwegen-dienstlichen Gesichtsausdruck. Seine spöttischen und klugen grauen Augen musterten lebhaft den Paradeplatz. Mochten die Kameraden dösen, im Stehen, die Köpfe hängen lassen wie die Schwadronsgäule, oder gar fortwährend gähnen, wie diese Oberschlafmütze, der Kürassierfähnrich Lauckardt, zwei Mann von ihm ... Er war ein anderer Kerl ... Und überhaupt ... Von Kindesbeinen an hier zu Hause, in Potsdam, seinen Kasernen und Kasinos.

      Drüben, am Rand des Lustgartens, harrte das erste Garderegiment zu Fuss seines Kriegsherrn. Kaiser Wilhelm der Siegreiche wollte heute das erste Bataillon besichtigen, das sein Enkel, der Major Prinz Wilhelm, befehligte. Achim von Bornim blinzelte sachkundig zu dem Regiment hinüber. Tadellose Kerle! Wie ’ne lange Mauer! Eine Mauer aus drei bunten Längsstreifen, dem Gelb der spitzen Blechhelme, dem Blau der Röcke, dem Weiss der Hosen. Das war wie ineinandergebacken. Das rührte sich so wenig, wie wenn man daheim auf Sommerwerk die grosse Dampfdreschmaschine abgestellt hatte.

      Nur etwas flackerte leise im Maiwind. Zerschossene und vergilbte Seidenfetzen an den drei Fahnenstangen. An den Stangen blinkte etwas. Silberne Ringe. Die trugen die Namen derer, die bei Königgrätz und Gravelotte mit der Fahne in der Hand gefallen.

      Und allerhand Gedanken im Kopf des Fähnrichs von Bornim: die Fahne hatte mein Vetter Stobberow damals gerade zu fassen gekriegt, da blieb er schon tot. Und sein Bruder. Und die Vettern Hellmich und Henning Bornim, die armen Kerle, und ... na ja ... im Krieg ... Es sollte mal wieder Krieg geben. Besser als Kriegsschule ... Herrgott ja ... Die Franzosen! Bismarck musste doch vernünftig sein und mal wieder anfangen ... Und Moltke! ... Na, Moltke war doch natürlich gleich dabei ...

      Der Offizier du jour der Kriegsschule, der Premierleutnant der Jäger von Herrenknecht, hinkte vorbei. Er hatte noch zwei Chassepotkugeln im Bein und auf der Brust das Eiserne Kreuz. Das Eiserne Kreuz war überall. Auch Feldwebel trugen es drüben in der Front. Nur bei den Leutnants war es schon sehr rar geworden.

      Sobald es wieder losging, holte man es sich auch! ... Hoffentlich bald! ... 1870 platzte die Bombe ja auch so aus heiler Haut, mitten in den Hundstagen! Achim von Bornim träumte sich das vor, wie es gegen den Feind ging. Hinten lagen die abgelegten Tornister und war der Boden weiss von weggeschmissenen Spielkarten ... vorn, weit drüben die Rothosen ... Hui — das pfiff ... krach: die erste Granate ... da stürzten schon Mannschaften — da fielen die ersten Herren ... kalt Blut ... ruhig zielen ... vorwärts auf die verfluchte Bande! ... Er sah das vor sich. Er hatte es hundertmal im Kasino gehört. Immer noch sprachen ja die Mitkämpfer von den drei Kriegen. Noch lebte die grosse Zeit.

      Verdammter Friede! Dummes Zeug, was die andern Junker halblaut um ihn schwatzten. Der brünette Husarenfähnrich von Solkowski, der Sohn des einflussreichen Hofpolen, musste sich natürlich dicke tun und aus hohen Kreisen erzählen. Die Kaiserin Augusta war immer noch krank. Es werde für sie in den Kirchen gebetet. Und auch die Fürstin Bismarck sei leidend. Bei der grossen Soiree zu fünfhundert Gedecken, die der Reichskanzler am Sonnabend in seinem Palais in der Wilhelmstrasse gebe, werde die Gräfin Rantzau die Honneurs machen ...

      „Ach ... Du Polack!“ dachte sich Achim von Bornim. Immerhin: Leute von Rang und Namen, in der Gnadensonne des Thrones, imponierten ihm doch, auch wenn es Sarmaten waren. Hinter ihm stritten der Fähnrich von Rakenitz, ein Sachse, und der Württemberger Freiherr Thürmer von Neudeck über das neue, versuchsweise bei ein paar Bataillonen eingeführte Repetiergewehr! Eine tolle Knarre! ... Schoss immer nach rechts ... Klemmte sich im Löffel fest ... „Also mir isch’s recht!“ sprach der biedere Schwabe gottergeben. „Ich wollt’ lieber, ich wär’ schon zu End’ mit der saudummen Kriegsschul’!“

      Zugleich gähnte im ersten Glied der Kürassierfähnrich Lauckardt ungeduldig: „Herrgott, Kinders ... nun könnt’ es aber mal losgehen!“

      Er war ein grosser, hellblonder, rosiger Bursche, in weissem Koller, nicht so windhundmager wie die andern, sondern eher zu breitschultriger Fülle neigend, mit einem weichlichen, verwöhnten Lächeln. Achim von Bornim wandte sofort kampflustig seinen hageren gebräunten Kopf zu ihm herum. Mochte in Gottes Namen ein Kerl von Kreuzzugadel wie der Thürmer von Neudeck auf die Kriegsschule schimpfen. Aber diesem Lauckardt liess er nichts durch. Den musste man immer ducken, mit seiner Selbstgefälligkeit. Er sprach so scharf, als wäre er ein Vorgesetzter: „Sagen Sie mal, Lauckardt ... Sie sind wohl verrückt?“

      „Wieso?“

      „Sie geniessen hier das ganz unmassgebliche Glück, Seine Majestät zu sehen! Der Kronprinz kommt. Prinz Wilhelm. Dort drüben steht das erste Regiment der Christenheit ... Ja — was wollen Sie denn eigentlich noch auf der Welt?“

      Die Fähnriche ringsum lachten über seinen hochmütigen Verweis. Achim von Bornim hatte einen gewaltigen Einfluss auf sie. Er gab sich kaum Mühe, es darauf anzulegen. Es kam ganz von selbst. Sie hatten ihn gleich in den ersten Tagen zu einem ihrer Inspektionsältesten gewählt. Sie hieben förmlich, mit halblauten Worten, auf den Kürassier ein.

      „Still, Lauckardt!“

      „Sie haben’s nötig!“

      „Kss! Kss!“ hetzte aus dem dritten Glied der Fähnrich von Chambaut de Chauvet. Jeder wusste: Lauckardt und der von Bornim standen sich wie Katz’ und Hund. Es gab noch einmal einen Krach. Aber Achim von Bornim sagte nur gelassen und anscheinend harmlos: „Von mir aus können Sie nach Hause gehen, Lauckardt, wenn es Ihnen hier zu langstielig wird! Ich wasche meine Hände in Unschuld!“

      Dabei machte er eine Bewegung der weiss behandschuhten Finger, als hielte er zwischen ihnen ein Stück Seife, und dem Kürassier stieg in hilflosem Zorn eine Blutwelle bis unter das hellblonde, leicht gelockte Haar. Sein Vater hatte im Westen eine Weltfabrik ätherischer Öle und Essenzen. Das war durch einen unglücklichen Zufall Achim von Bornim zu Ohren gekommen. Und durfte man dessen Schilderungen seitdem glauben,


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