Stark wie die Mark. Rudolf Stratz

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Stark wie die Mark - Rudolf Stratz


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von der Zültz auf Wendisch-Wiesche war am Tag nach der Parade zeitig am Morgen von Berlin auf sein Gut heimgekehrt. Er brachte einen Herrn mit. Einen respektablen älteren Herrn mit goldener Uhrkette und leicht sächsischem Tonfall, der sich Krüger nannte. Mehr wusste er selbst nicht von ihm. Aber Przywow und Libochowitz und Rehfisch und wie all seine Berliner Agenten und Geldleute hiessen, hatten ihm geschworen, es sei ein seriöser Mann, ein entschlossener Käufer. Der Richtige für Wendisch-Wiesche. Wenn es gelang, ihm in letzter Stunde noch die Sandbüchse anzuhängen ... Mit dem Angeld liess sich wenigstens die verwünschte Geschichte wegen des Waldverkaufs aus der Welt schaffen — es war die letzte Rettung ... eigentlich nur noch ein Rettungsschimmer, aber Kaspar von der Zültz sprach unaufhörlich, nervös lachend, in seiner liebenswürdig-erregten Art, während er seinen Gast durch Höfe und Ställe des verwahrlosten Gutes führte: „Ich züchte hier ein Schwein!“ sagte er, als sie in den süsslich-scharfen Brodem der Saubucht traten, und machte rasch die Türe hinter sich zu, um die durch Ammoniakdünste zerfressene Decke möglich zu verdunkeln, „... ein Schwein ... ich möcht’ am liebsten immer den Hut abnehmen, wenn ich hier hereinkomm’ ... veredeltes Landschwein natürlich ... was tu’ ich mit Yorkshire — nicht wahr? ... Na ... hier haben wir nun den Kuhstall!“ Er wandte in der Zerstreutheit die erste Jungkuh rechts am Horn zur Seite, damit man nicht merkte, dass sie erst gestern verkalbt hatte „... Grossartige Absatzverhältnisse für die Milch ... Elf Pfennig zahlt die Dampfmolkerei! ... Magermilch kriegt man fast geschenkt zurück ... Hier ist’s eine Lust, Schweine zu mästen, bei den Kartoffeln ...“

      Der Inspektor Wiegand, die rechte Hand seines Herrn, hatte schon dafür gesorgt, dass im Kartoffelkeller alles, was faul war, zu unterst lag. Oben sah man nur eine tadellose Sorte Magnum Bonum. Der stätige Hengst im Stall hatte seit dem Mittag vorher kein Wasser mehr bekommen. Er stand da wie ein Lamm. Kaspar von der Zültz pries die struppigen Ackergäule wie vorher seinen Breitenburger Schlag Kühe. Er donnerte bei den landwirtschaftlichen Maschinen, als der Besitzer eines Musterguts, der unerbittlich nach dem Rechten sieht: „Den Heuwender gerade rücken! ... Den Düngerstreuer mehr nach links! Der Exstirpator sieht wie ein Ferkel aus! ... Warum hat ihn niemand geputzt? So geht’s, wenn man einen Tag von zu Hause weg ist! ... Da sind die Sackschen Pflüge, Herr ... Herr ... Krüger ... Da die Walzen ... Da haben wir das Göpelwerk für das Wasser! Jedes Pony zieht es! ... Famos — was?“

      Der Herr mit der goldenen Uhrkette nickte. Er war glatt rasiert und sah wie ein Landgeistlicher aus. Er sprach fast nichts. Offenbar, um sich nicht zu blamieren. Er verstand anscheinend blutwenig von alledem. Einmal öffnete er seine Brieftasche, um stumm etwas nachzusehen. In dicken Bündeln staken darin die Tausendmarkscheine. Kaspar von der Zültz tanzte es vor den Augen ... Ein Stossgebet: ‚Lieber Gott, steh mir bei!‘ Er hüstelte, lachte und begann wieder — zu verräterisch schimmerten die frischen Schnittflächen der Baumriesen des Parks, die er, um ein bisschen Geld ins Haus zu bekommen, hatte abholzen lassen: „Ja ... hier hat der Sturm bös gehaust! ... Es tut einem im Herzen weh ... Aber was soll man machen? ... Nu möcht’ ich Ihnen vorschlagen, Herr ... Herr Krüger, wir fahren mal draussen die Gutsgrenzen ab! ... Ein Boden ... rotkleefähig ist noch zu wenig! Und eine Jagd! ... Ich glaube, da draussen am Waldrand steht schon ein Rudel Wild ...“

      „Ich sehe nichts!“ sagte der fremde Herr.

      „Drei- und vierschnittige Wiesen ... jawohl: vierschnittig!“

      „Nach der Karte steht das ja eigentlich alles meist unter Wasser!“ Der fremde Herr hatte auf einmal eine Generalstabskarte herausgezogen. Dem andern wurde es etwas schwül zumut. Er lachte jovial.

      „Na ... jetzt im Frühjahr ... nach den Wolkenbrüchen ... Man muss auch nicht zu ängstlich sein, Herr ... Herr Krüger ...! Bitte ... betrachten Sie mal hier den Dampfdreschsatz!“

      „Bezahlt?“

      Wieder lachte Herr von der Zültz etwas gezwungen.

      „Auf Abzahlung! Es steht ja noch ein Pöstchen ... Aber da ist der Wagen! Bitte steigen Sie ein! ... Prüfen Sie alles und dann entschliessen Sie sich am besten rasch! ... Sonst kommen Sie zu spät! ... Es sind eine Menge Bewerber da!“

      Und hinter dem Rücken des Gastes raunte der Inspektor, würdigen Ernst auf dem roten Biedermeiergesicht: „Ich bin ein alter Praktikus ... Ich kann Ihnen nur raten: Steigen Sie in die Goldgrube ’rein, Herr ... Herr ...“

      „Krüger ist mein Name!“ sagte der fremde Herr. „Ich bin königlich preussischer Amtsrat. Auch ein Praktikus. Ich suche auch nicht für mich, sondern für meinen künftigen Schwiegersohn! ... Na ... Ich will jetzt nach Berlin zurück! Hat mich sehr gefreut, Herr von der Zültz!“

      „Wollen Sie nicht den Wagen ...?“

      „Nee, danke! Ich geh’ das Stück bis zur Station.“ Der Domänenpächter blieb, auf seinen Stock gestützt, noch einmal stehen und nickte: „Ich bin nun bald vierzig Jahre Landwirt! Wollen Sie einen guten Rat von mir, Herr von der Zültz? ... So werden Sie das Ding nicht mehr los! Es gibt ja genug Dumme auf der Welt ... aber so dumm ...? Ich glaub’ nicht! ... Wünsch guten Morgen!“

      Er stapfte bedächtig davon. Kaspar von der Zültz schaute ihm finster nach. Dann tauschten er und der Inspektor einen Blick. Beide sagten kein Wort, und der Herr auf Wendisch-Wiesche trat in sein Haus zurück.

      Vom Flur aus sah er in dem grossen Eckzimmer seine Tochter Ilse mit ihrer Französin. Die Kleine sass zurückgelehnt, die Hände im Schoss, mit verdriesslichem Gesicht. Ein paar unordentliche dunkle Haarsträhnchen hingen ihr in die weisse Kinderstirne. Sie sagte halblaut und gottergeben einen Abschnitt aus der voyage de Télémaque auf. Weder sie, noch Mademoiselle Roger bemerkten den Hausherrn, der auf den Fussspitzen vorüberging. Er setzte sich in dem letzten Raum nach dem Garten zu auf ein Kanapee. Den nannte er sein Arbeitszimmer. Er hatte die Auswahl unter den vielen Gemächern. Im ganzen Hause waren ja nur er und das Ilschen und die törichte Französin. Er dachte sich: ‚Seit zehn Jahren ist meine Frau nun krank. Das ist’s ... das ist’s ...‘

      Er zündete sich eine Zigarre an. Er sass ganz still — er, der sonst das Quecksilber selber war. Vor ihm stiegen blaue Wolken, kleine Ringe ... lösten sich ... sonderbar ... sonderbar war doch das Leben ...

      In einem jähen Ruck schnellte er empor, öffnete das Geheimfach seines Schreibtisches, las wieder diesen verwünschten Brief, den Schluss: „... und kann es keinem Zweifel unterliegen, dass der Verkauf und die Bevorschussung des bereits anderweitig hypothekarisch verpfändeten Forsts gegen das Strafgesetzbuch verstösst. Wir ersuchen Euer Hochwohlgeboren, die Angelegenheit spätestens bis zum ersten Mai abends durch Rückzahlung des Vorschusses an unsere Firma zu regeln, und werden wir dann den Vertrag als annulliert betrachten. Andernfalls müssten wir zu unserm Bedauern der Staatsanwaltschaft ...“

      Verflucht und zugenäht! ... Kaspar von der Zültz verschloss tiefsinnig den Brief. Er wunderte sich eigentlich immer noch! So viele Jahre war das nun gegangen! ... So viel Ruhe wie ein Seiltänzer! ... Schulden ... Schulden ... Ein Loch zu ... das andere auf ... mal auch ein gesegneter Abend im Klub in Berlin ... ein bisschen Luft ... man hielt sich doch über Wasser ... man gewöhnte sich daran ... Und nun auf einmal ... Man war doch immerhin ein anständiger Mensch! So hatte er das gar nicht gemeint, mit Rehfisch und Kompanie, Holzhandel und Güteragentur ... Die Bande war auch zu rigoros ...

      Wenn man nun hier mäuschenstill sass ... ei was ... leg nur die Löffel an und duck dich! ... Sie schiessen dich doch wie ’nen Hasen im Lager! ... Sie kommen ... sie kommen ... heute noch ...

      Kaspar von der Zültz stand wieder auf, goss sich Kognak ein und stürzte ihn herunter. Der Wandspiegel drüben warf ihm sein Bild zurück: Ein schmächtig-schlanker, schöner Mann in der ersten Hälfte der vierzig. Haar und Bart tief dunkel wie drüben bei dem Ilschen. In den Augen ... komisch: seinen Augen traute man nie! ... Nun noch, mit der infam-elenden Gesichtsfarbe. Wie ein ausgenommener Hering ...

      Er war sonst ein Kind des Tages und der Welt. Und jetzt diese ungewohnte Stimmung. Über sein Leben hinaus. In das Leben rückwärts mit den Gedanken: Die Jugendzeit ... Lieber Gott, was hatte so ein Leutnant viel Sorgen? Gar, wenn einen nun noch der Erbprinz Freund nannte ... Flügeladjutant an dem kleinen Hof ... Kammerherr ... schöne


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