Stark wie die Mark. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.wie wir uns heirateten! Es war ganz vernünftig, dass ich mich angekauft hab’! ... Vielleicht zu gross ... aber wer kann das wissen? ... Man will doch mal sein eigner Herr sein ... Wenn meine Frau gesund geblieben wäre ...
Er fing beinahe an zu weinen. Er schlug die Knöchel der Finger aneinander. Sein schönes Abenteurergesicht war schmerzlich verzerrt: Die Frau für immer im Sanatorium. Selten mehr bei sich. Und ich nicht Witwer und nicht Ehemann, das Wurm, die Ilse, auf dem Hals — mit meiner Gabe, zu bummeln ... Kein Wunder ... Und was die Krankheit kostete ... Zwei Jahre war er nun bei der Anstalt im Rückstand gewesen ... Der leitende Arzt war ja ein anständiger Kerl, mit einer Engelsgeduld ... aber schliesslich hatte er doch gedroht, er müsse die Kranke nun zurückschicken ... ja ... wohin denn dann mit ihr ... um Gottes willen ... wohin? So war damals das Geschäft mit Rehfisch zustande gekommen ... Er war so überzeugt gewesen, noch irgendwie Deckung zu finden. Ein Vierteljahr war lang. Aber gestern war der erste Mai ...
Komisch, dass es einen gerade an den paar guten Eigenschaften packte, die man noch an sich hatte ... sonderbar ... das Leben: Wenn man’s jetzt überschaute, war’s, als hätt’ es so sein müssen. Man lief blindlings drauf zu ... ratsch in die Falle ... Wer das alles so leitete ... Herrgott, andere Menschen waren doch auch leichtsinnig ... Freilich sollte der Mensch nicht spielen ... Aber er tut’s doch nu mal ... er tut’s ...
Kaspar von der Zültz stand nachdenklich, die Hände in den Hosentaschen. Jetzt nur kalt Blut, sagte der Fuchs beim Kesseltreiben. Noch war nichts geschehen. Vor allem musste man hier ’raus, aus dem Haus. Den ganzen Tag über. Sonst kamen sie einem über den Hals. Und dann noch einmal zu den Nachbarn. Es war der letzte Versuch. Vielleicht half doch einer im Lande. Dumm nur: die Geschichte hatte sich schon ’rumgesprochen! ... Einerlei ... Nur jetzt keine falsche Scheu ...
„Anspannen, Johann!“ schrie er in den Hof. Dann ging er hinüber in das Eckzimmer. Da sass Ilse immer noch mit der Mademoiselle. Er fuhr der Kleinen mit der Hand über den seidendunklen Backfischscheitel.
„Na, min Döchting — willste mit? Ich fahr’ aus!“
„Ja, Papa!“
Ilse schnellte stürmisch empor. Der Télémaque bekam einen Schubs, dass er bis zum Tischrand glitt. Sie hatte das Temperament ihres Vaters. Die Französin sagte vorwurfsvoll: „Monsieur nimmt Ilse in letzter Zeit fortwährend mit!“
„Na ja ... wenn’s uns doch Spass macht! ... Was, Mausi?“
Der Hausherr lachte, immer das Unstete im Blick. Er sprach das fliessende Französisch des ehemaligen Hofmanns.
„Aber sie bleibt im Lernen zurück, Monsieur! ... Sie erkältet sich auch noch einmal bei dem Wind und Wetter. Ich übernehme keine Verantwortung!“
Kaspar von der Zültz wurde plötzlich wieder ernst. Bleich. Fünf Jahre älter.
„Nichts zu machen, Mademoiselle Roger! Es gibt Zeiten ... ich kann jetzt nicht allein sein ... Verstehen Sie ... ich muss immer jemanden um mich haben ... Hab’ aber niemanden ausser meiner Maus da ... Also man los! ... Pell dich gut ein, Ilse! ... So! ... ’s kann Abend werden, bis ich zurückkomm’! ... Wer unter Tags nach mir frägt, wird abgewimmelt! Nach Rhinow, Johann!“
Der Wagen rollte lautlos auf weichem Weg durch die weite, ebene Mark. Goldenes Sonnengeglitzer auf tiefblauen Seen, schwarzgrünes Luch und Bruch und lichtgrüne Saat und Föhrendunkel auf weissem Sand, Windmühlenflug auf niederem Hügel, braune Sturzäcker mit Reihen pflügender Gespanne, die Ziegelei da hinten, die Kirchtürme am Horizont ... es war alles wie sonst und schien, als könne es sich nie ändern, und als sei kein Berlin auf der Welt, und über Kaspar von der Zültz kam allmählich etwas von dem Frieden frischer Luft und würziger Scholle. Er sass gefasst, in seinen Mantel gewickelt, und rauchte, bis der Kutscher vor einem altmodischen, niederen, still in einen uralten Park gebetteten Gutshaus hielt. Ein junger Leutnant in blauem Attila trat zufällig auf die Freitreppe hinaus. Er erwiderte die Vorstellung des andern.
„Von Sillein! Jawohl! Mein Onkel ist daheim!“
Über der Türe zum Arbeitszimmer stand der Bibelspruch: „Ich und mein Haus wollen dem Herrn dienen!“ Der alte, schlichte Herr von Zotzen-Rhinow war gerade in eine Besprechung mit Förster und Inspektor vertieft. Drei ernste, sonnengebräunte Köpfe staken da beisammen. Nun schickte er die beiden Angestellten weg, setzte sich Kaspar von der Zültz gegenüber und sagte, nachdem der mit seinem nervösen Hüsteln und Lachen kurze Zeit geredet, in seiner einfachen Art: „Wie viel oder wie wenig Sie auch brauchen mögen — ich hab’ es nicht! Ich bin kein reicher Mann. Ich bewirtschafte mein Rhinow und bin froh, wenn ich es meinem Sohn so hinterlassen kann, wie ich es von meinem Vater ererbt hab’! Mehr schaut heutzutage da nicht heraus!“
„Ich dachte auch nur, wenigstens eine Unterschrift zum Gutsagen!“
„Da sei Gott vor! Ich werde mich hüten und dem Teufel den kleinen Finger geben!“
„Nun denn ... adieu!“
Der stille Christ begleitete seinen Besucher bis zum Tor. Unterwegs sagte er, und der andere merkte, dass jener schon etwas von der Holzgeschichte wusste: „Beten Sie, Herr von der Zültz. Es liegt Kraft im Gebet!“
Die kleine Ilse wartete im Wagen. Sie sass stillvergnügt und liess sich von der Sonne bescheinen, froh, die Lerchen zu hören, statt der Vokabeln der Mademoiselle Roger. Als sie wieder mit ihrem Vater durch den weiten Rhinower Forst fuhr, frug der plötzlich mit erstickter Stimme: „Kind, kannst du das Vaterunser?“
„Natürlich, Papa!“
„Bitte ... bet es einmal!“
Die Kleine war verwundert. Aber sie faltete die mageren Kinderfinger und fing an: „Unser Vater, der du bist im Himmel ...“ Und Kaspar von der Zültz krampfte die Hände ineinander und schaute vor sich nieder und bewegte kaum die Lippen, bis es in dem Frühlingswind verklang: „Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit! Amen!“ Eine wilde Angst zog ihm das Herz zusammen. Nein. Umsonst. Da rührte sich nichts Rechtes. Da war kein Glaube. Keine Hoffnung. So rasch holte man das in zwölfter Stunde nicht nach ...
„Zültz!“ schrie eine heisere Stimme vom Grabenrand. „Zültz! ... ’Morjen, oller Schwede! ... ’Morjen, Ilseken! ... Na — wo führt Sie denn der Deibel her?“
Ein kleiner runder Herr stand da, im Jagdanzug, die Flinte in der Hand, das Hütchen über dem krebsroten Kopf bis in den Stiernacken zurückgeschoben, einen Zwicker auf der scharfgebogenen Nase, unter der ein Schnurrbärtchen kriegerisch starrte. Die wasserblauen Äugelchen blickten schlau in die Welt. Der Gurt der Joppe wölbte sich über dem spitzen Bäuchlein. Trotzdem sprang der Fünfziger gelenkig über den Graben und trat an den Wagen heran.
„Guten Morgen, Leggien! Ich wollte eben zu Ihnen nach Bernöwel.“
„So? Schön! Hohe Ehre! Da fahr’ ich mit!“ Er stieg ein. „Bleib sitzen! ... bleib sitzen, Ilseken! Oder soll ich Sie zu dir sagen, mein Kind ...? Na ... wie du willst!“ Er nahm neben von der Zültz Platz. „Krähen hab’ ich geschossen! Die Biester gehen mir an meine Fasaneneier! Da versteh’ ich keinen Spass ... Na ... Wie steht’s bei Ihnen? Was macht das Futter? Gut? Ja ... aber wissen Sie: ich schimpf’ doch! Ich schimpfe immer! Auf alle Fälle! Schliesslich zahlt der Landwirt ja doch die Zeche!“
„Na ... Sie gewiss am wenigsten!“
Der kleine dicke Junker lachte. Man war jetzt schon auf seinem Grund und Boden. Dort hinten lag Bernöwel. Das war kein altfränkischer Herrensitz wie bei den Zotzens. Das erinnerte an eine Fabrik, mit dem hohen Turm der Brennerei, den Schornsteinen der Dampfmolkerei, den linienweise wie blaugestrichene Batterien aufgefahrenen landwirtschaftlichen Maschinen, den Wellblechschuppen für die Sachsengänger, den endlosen Reihen von Schweineställen, der kleinen Feldbahn in die Torfmoore hinaus — an eine Fabrik kaufmännischer Grossindustrie zur Erzeugung von Branntwein, Schinken, Butter und Mehl, mit dem Hauptbuch im Kontor.
„Ein toller Betrieb — was?“ sagte der von Leggien stolz. Um sie herum waren bunte Kopftücher, fremdartige Gesichter, slawische Laute. Ungarn. Galizier. Russen.
„Ja