Stark wie die Mark. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.Masse.
Der Fähnrich von Bornim schaute, als sei nichts geschehen, an den andern vorbei nach dem rechten Flügel der Paradeaufstellung. Dort wehten Dutzende von Generalsfederbüschen im Wind. Neben ihnen, am rechten Flügel des ersten Bataillons, stand dessen Kommandeur, ein auffallend junger Major mit blondem Schnurrbart, die Schuppenkette unter dem Kinn — Prinz Wilhelm von Preussen, der künftige Kaiser. Weiter nach hinten, in buntem Durcheinander der Uniformen, die fremdländischen Militärattachés und ein auserlesenes, nur spärlich durch die Schutzmannskette bis zu dem Rand des Exerzierplatzes zugelassenes Zivil, Herren und Damen der Gesellschaft aus Potsdam und der Umgegend.
Richtig: dort stand jetzt auch Papa! ... War also doch von Sommerwerk herübergekommen! ... Na ja ... was hiess das für den alten Herrn — um fünf Uhr aus den Federn und fünf Meilen Chaussee, wenn er dafür wieder einmal den Kaiser sehen konnte. Seinen König ... Achim von Bornim unterschied deutlich die hagere, kaum mittelgrosse Gestalt des Vaters drüben, obwohl sie sich in dem schlichten schwarzen Rock, dem ehrwürdigen Zylinderhut unscheinbar in dem Gewimmel der Generalspracht und Gardegala, der Grosskreuze und Haussterne, der Kriegs- und Frühstücksorden verlor. Daneben Achims Schwestern. Alle drei ... die in Ostpreussen natürlich nicht ... Aber die Daniela ... die Berta und die Eva-Marie ... Drei semmelblonde Mariellen, wie er sich in brüderlicher Liebe dachte, viel blonder als er. Weisse Waschkleider, weisse Schirme, rote Backen ... eigentlich ganz stramme Mädels ... konnten so bleiben. An ihrem linken Flügel, neben der Eva-Marie, unter einem knallroten Sonnendach noch ein bräunliches, dunkelhaariges, dunkeläugiges Kleinmädchengesicht ... kaum vierzehn ... Wo hatten sie denn wieder den Balg, die kleine Zültz, aufgegabelt? Dann merkte Achim, wie der Vater ihn erkannte und ihm zunickte, und stand unwillkürlich im Glied stramm und lächelte, und drüben frug einer der mit Eichenlaub und Lorbeern goldüberstickten Potsdamer Riesen den kleinen Herrn im schwarzen Röckchen: „Wohl ein Filius, Exzellenz?“
„Ja, mein Jüngster!“ sagte Herr von Bornim bedächtig. Seine Stimme klang immer etwas heiser. Sie knarrte. Kam knapp und befehlsgewohnt heraus.
„Alles Offiziere?“
„Nee ... den Ältesten hab’ ich im Auswärtigen Amt ... unter Herbert ... Den mittleren in Berlin bei der Gardekavallerie ... mit Gottes Hilfe schon Premier ... aber der drüben ist der fixeste von der Gesellschaft. Der muss mal das Rennen machen ...“
Der alte Herr war so gewohnt, ausserhalb seiner selbst, im Rahmen des Staates, in den Grenzen von Preussen zu denken, dass er den Faden der Familie gleich wieder verlor und auf das Gespräch des Granden zu seiner Linken einging.
„An der Heuernte werden wir Freude erleben, lieber Graf! Kartoffeln ... wollen sehen. Aber Roggen notiert jetzt 145. Gegen 150 für russischen. Wenn einmal die Zeit kommt, wo wir die Spannung nicht beibehalten ...“
„Na ... das lassen Sie mal Bismarcks Sorge sein!“
„Der lebt auch nicht ewig!“ sprach der alte Bornim. Es klang streng. Voll widerwilliger Anerkennung für das menschenübersteigende Mass des Mannes aus der Altmark. Er, Wilke von Bornim auf Sommerwerk, fühlte sich nirgends wohl als zweiter. Er hatte hellblaue flammende Blücheraugen in dem vom Alter gefurchten Gesicht, gesträubtes weisses Haar, kriegerischen weissen Schnurrbart. Sein Kopf war scharf und trocken wie der eines kleinen wilden alten Raubvogels. Er schüttelte ihn missbilligend: „Ja, kann denn der Mann nicht reiten?“
Vor ihm hatte das kleine dunkelhaarige Mädchen mit dem roten Sonnenschirm diesen grüssend zu dem Fähnrich von Bornim hinübergeschwenkt. Durch die rasche Bewegung war der Gaul eines berittenen Gendarmen unruhig geworden. Er stieg ... Der Reiter lag unten am Boden, hielt noch die Zügel, hatte den Fuss im Bügel, war schon wieder oben ... Alles in Ordnung ... Nichts geschehen ... Der alte von Bornim räusperte sich und tadelte die Kleine, deren gebräuntes Gesichtchen mit den grossen dunklen Augen verdutzt und halboffenen Mundes dreinschaute: „Ilse ... Kind ... hab’ die Güte und schmeiss uns nicht mit deinem Parapluie die Parade um! Da kann ja ’ne Kuh scheu werden!“
Er schwankte in letzter Zeit gegenüber der Tochter seines Gutsnachbarn von der Zültz zwischen Du und Sie! Das Kleinzeug wuchs um einen heran, ehe man sich’s versah. Die Ilse war jetzt gerade so im Übergang, mit ihren dreizehn oder vierzehn. In kurzem Röckchen. Dicht vor der Konfirmation. Der richtige Backfisch. Er wandte sich wieder gedämpft an den Grafen.
„Das ist nun wieder so echt der Zültz! Fährt unterwegs mit seinen ungarischen Katzen an mir vorbei, als ob es brennte, schreit: ‚Exzellenz ... tun Sie mir den einzigen Gefallen und heben Sie mir heute das Kind auf! ... Ich kann sie heute nicht brauchen ... Ich hab’ Geschäfte!‘ ... Stoppt mir das Mädel herüber in den Break und heidi!“
„Was hat er denn wieder für Geschäfte?“
„Gott ... Sie wissen ja ...“
Freilich: es war im ganzen Kreis bekannt, dass Kaspar von der Zültz auf Wendisch-Wiesche das Wasser an der Kehle stand. Schon seit Jahr und Tag. Es war ein Wunder, wie er sich immer wieder herauszog. Ein aufregendes Schauspiel für die Landeingesessenen. Der alte Bornim schloss: „Helfen kann man ihm nicht! Der Mann spielt! ... Und neuerdings macht er Geschichten ... Ich habe da von einem Holzhandel gehört ... Nee ... danke ...“
Der General an seiner rechten Seite musste lächeln. Gerade vor ihm hatte die jüngste der drei blonden Schwestern, die Eva-Marie, einen raschen Gruss, mehr ein verstohlenes Kopfnicken mit einem jungen Husarenleutnant ausgetauscht, der in Paradeuniform, aber als Zuschauer, in einiger Entfernung mit einer anderen Familie stand. Dabei war sie plötzlich feuerrot geworden. Er frug: „Wer ist denn der blaue Belling-Husar da drüben, Exzellenz?“
„Bei den Zotzens? ... Ja, wenn ich Namen behielte! ... Er ist schon seit Wochen auf Urlaub in Rhinow!“
Der alte Herr war so harmlos, wie nur Väter sein können. Er hing anderen Gedanken nach.
„Ja ... nun geht Wendisch-Wiesche nächstens auch vor die Hunde!“ sagte er halblaut, damit ihn die kleine Ilse von der Zültz nicht hörte, die ahnungslos dicht vor den Herren stand. „Es ist ein Jammer mit den Gütern ...“
Und dann, in einem seltsamen, jähen Gedankensprung: „Na ... hoffentlich heiraten mir meine Sprösslinge mal wieder ein bisschen Geld ins Haus! Wenigstens die älteren. Um den Achim ist mir nicht bange. Der beisst sich schon sel ...“
Eine jähe Bewegung lief über den ganzen Platz. Ein Strammstehen. Ein Lüften von Hüten. Hundert weiss behandschuhte Hände hoben sich an den Helmrand. Damen sanken knicksend in sich zusammen. Ein hochgewachsener, vollbärtiger Generalfeldmarschall stand da, das Grosskreuz des Eisernen Kreuzes auf der Brust, ein Bild siegender männlicher Schönheit. Er schüttelte dem Kommandeur des ersten Bataillons die Hand. Der Kronprinz des Deutschen Reiches begrüsste seinen Sohn. Dann zog er viele Generale und Grosse des Landes ins Gespräch. Auch den alten Bornim. Die Kriegsschüler drüben beobachteten es aufgeregt. Es war ein Geflüster: der Kronprinz ... der Kronprinz ... Der Fähnrich Kausert, ein respektloser Berliner, erkundigte sich:„Was ist denn das für ein alter Knabe, den er jetzt am Rockknopf fasst?“
„Der alte Knabe ist mein Vater, wenn Sie nichts dagegen haben, Kausert!“ sagte Achim von Bornim kühl und mit unendlichem Hochmut.
Der Linieninfanterist schwieg betreten. Sein Nachbar, der Pionierfähnrich Rossnagel, frug: „Was ist denn Ihr Herr Vater?“
„Oberpräsident z. D. und früherer Staatsminister!“
Dann setzte der junge Bornim noch nachlässig hinzu: „Er konnt’ sich mit Bismarck nicht mehr vertragen. Da ging er. Nun sitzt er auf unsern Gütern ...“
Und weil er sich immer noch über den ‚alten Knaben‘ ärgerte, obwohl der Berliner Kausert für ihn kein Entrüstungsobjekt war: „Zeitung lesen Sie wohl nie — was? Sonst müssten Sie doch was von meinem Vater wissen! Er ist doch Mitglied des Reichstags und des Herrenhauses!“
Die Fähnriche lauschten achtungsvoll. Das war etwas für sie. Der Pionier hatte eine tollkühne unbestimmte Hoffnung, dass Achim von Bornim ihn einmal am Sonntag nach Sommerwerk mitnehmen würde.
„Sind