Stark wie die Mark. Rudolf Stratz

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Stark wie die Mark - Rudolf Stratz


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jeden Stein und jedes Haus, hatte in jeder Gasse als Junge gespielt ... Aber es stand etwas Trennendes vor der Erinnerung. Etwas Neues. Leise wippte der Kürassierdegen im Gehen. Silbern klingelten die Sporen ...

      Das eigentliche Städtchen hatte hier ein Ende. Die Häuser aber nicht. Die standen jetzt einstöckig und einförmig, eines wie das andere, aber schmuck, mit sauberem Vorgärtchen, in Reih und Glied in breiten, ungepflasterten, sich rechtwinklig schneidenden Strassen. Hundert und mehr. Eine Welt für sich. Und das westfälische Ackerstädtchen drüben eigentlich nicht viel mehr als ein zurückgebliebenes Anhängsel an dem Riesengebilde der Aktiengesellschaft, vormals Theodor Lauckardt und Kompanie, diesen Arbeiterwohnungen, diesen Anschlussgeleisen voll Güterwagen, diesen fünfstöckigen, hundertfenstrigen Fabrikgebäuden, diesem Wald von Schornsteinen. Über denen brüteten schwere Schwaden von Kohlenqualm ... ein dumpfes Brummen und Summen war in der Luft ... gehorsam arbeiteten da drinnen in den Sälen die Maschinen, arbeiteten die Menschen, sassen im Verwaltungsgebäude reihenweise die Kontoristen, hantierten in dem Laboratorium Herren mit Zwickern in weissen Leinwandkitteln ... Papa brauchte nur in seinem Privatbureau morgens auf den Knopf des ungeheuren Instruments zu drücken: Los! ...

      Freilich ... Papa hatte sich dies Instrument selbst geschaffen, diese Fabrikanlagen, in zähem Kampf, Zoll um Zoll, Jahr um Jahr aus dem Boden wachsen lassen, bis zu dem letzten, seiner prunkvollen Villa — Schloss durfte es bei Todesstrafe niemand nennen — drüben hinter Park und Mauer. Dort begrüsste er den Sohn, vom Schreibtisch aufstehend, mit einem schallenden: „Herr Jeses, unser Vaterlandsverteidiger“, selbst noch ein Mann im besten Alter, noch nicht fünfzig, mit braunem Haar und braunem langgezwirbelten Schnurrbart und einem Widerspiel im Gesicht zwischen den lustigen Rheinländeraugen und der eisenharten Geschäftsenergie um den Mund.

      „Nu lass dich mal ansehen!“ sagte er und rückte den Sprössling an den Schultern zurecht. „Junge ... du bist zu dick! ... Nee ... wahrhaftig ... nimm mir’s nicht übel! ... Ich möchte dein Gaul nicht sein ... Sei nur nicht gleich empfindlich! Ich dacht’, das hätten sie dir glücklich abgewöhnt, beim Kommiss! ... Du kennst mich doch! Bist ja ein stattlicher Kerl! ... Mutter ... Mutter ... komm fix ... der verlorene Sohn ist da ...“

      Frau Kommerzienrat Lauckardt war klein und zart. Sie stammte aus einer Pastorsfamilie. Sie weinte beim Anblick des Sohnes und schloss ihn in die Arme. Plötzlich erschrak sie.

      „Ottochen ... Ottochen ... wie siehst du denn um das Gesicht herum aus?“

      „Er war zu gewissenhaft, Mutter!“ sagte ihr Mann vergnügt. „Er hält’s mit der Bibel: So dich einer auf die linke Wange haut, so halt ihm auch den Kopf hin!“

      Wieder blickte der junge Leutnant den Vater empfindlich an.

      „Ich hab’s euch doch geschrieben von meiner Mensur mit Herrn von Bornim! ... Nein? ... Ich hätte sicher angefangen, Mama? ... Ach was ... weisst du, was der Kerl ausgesprengt hatte: Papa wäre ein Seifensieder!“

      „Schade, dass ich das nicht wusste! Ich hätt’ ihm gern eine Probe meiner Produkte geschickt!“ Der Geheime Kommerzienrat Lauckardt lachte unbändig. „Junge ... hast du denn gar keinen Humor? ... Nee ... Mutter ... hat er nicht! ... Tieftraurig steht er da! Immer noch das gekränkte Bratwürstchen! ... Gerade wie als Hosenmatz ...“

      Aber Frau Lauckardt war entrüstet. Sie forschte: „Und was ist denn aus dem bösen Buben geworden?“

      Im selben Augenblick ging eine Wandlung mit ihrem Sohn vor. Er versetzte beinahe verweisend: „So musst du nicht von Herrn von Bornim sprechen, Mama! Er ist doch seit voriger Woche auch Offizier, so gut wie ich — in seinem Gardeinfanterieregiment ...“

      Das ganze Jahr auf Kriegsschule hatte er mit Achim von Bornim das Zimmer geteilt, war ständig mit ihm zusammen gewesen. Jetzt, wo er sich bemühte, scharf zu sprechen, klang deutlich dessen nachlässiger Ton durch seine eigenen Worte. Es hatte auf ihn abgefärbt. Er fügte hinzu: „Du musst doch denken: ein Bornim! ... Die Bornim sind so alt wie die Mark! ... Mit die erste Familie im Land ...“

      „Das ist was anderes, als wenn einem Müller und Schulze die Zähne einschlägt!“ sagte der Vater lachend. „Das ist Ehre und Vergnügen! Na ... Gott segne deine Studia! Nu wollen wir essen! ... Die Jörissens sind heute auch da! ... Lass Sekt kalt stellen, Mutter! Wir wollen unsern Kürassier begiessen!“

      Der Superintendent Jörissen aus dem Wuppertal war der Bruder der Hausfrau. Ein strenger Christ, dem Tanzen ein Scheuel war und Theater ein Greuel. Dann Oskar, der Chemiker, der jüngere Sohn und Erbe der Firma, der Generaldirektor Fahrenholtz, in Geschäften aus dem Ruhrgebiet gekommen, der alte Bankherr Jungblüth, ein Grossaktionär der Lauckardtschen Werke, aus Elberfeld, ihre Frauen, andere Gäste. Aber der Mittelpunkt war heute der frischgebackene Leutnant. Er fand es ganz natürlich. Er sprach fast allein. Meist von sich. Und vom Regiment. Das Regiment war nach seinen Berichten einfach feudal. Tadellos. Grossartig.

      „Vorige Woche haben sie mich natürlich mächtig im Kasino begossen! Aber der Oberst war riesig nett zu mir! ... Er hat auch auf deine Gesundheit mit mir angestossen, Papa!“

      „Gegenseitig!“ sagte der Geheimrat und leerte mit einer feierlich-tiefen Verbeugung gegen einen Unsichtbaren vor ihm seinen Sektkelch. Sein Sohn lächelte etwas befangen vor sich nieder: „Denkt mal: Kruseneck ist ’rausversetzt! Wir sind jetzt nur noch zwei Bürgerliche im Regiment! ... Ein Prinz ... drei Grafen ... und so ...“

      Den Rest des Offizierskorps verwies er mit einer lässigen Handbewegung in die niederen Gothaer Almanache. Frau Lauckardt erkundigte sich.

      „Und sie sind alle freundlich zu dir?“

      „Sehr, Mama! ... Mit vier jüngeren Herren bin ich auf Du! Auch mit Graf Issern!“

      „Wie er selig vor sich hinkuckt!“ sagte der Vater. „Verschämt wie ein Mädchen! Wie ’n Mädchen, das von seiner ersten Liebe spricht!“

      Der Leutnant wurde ein bisschen rot. Er lenkte ab: „Weisst du: das hat mir natürlich sehr geholfen, Papa: der wundervolle Viererzug, den du mir zum Degenfähnrich gestiftet hast. So was hat sonst keiner. Und die prachtvolle Wohnungseinrichtung! ... Und die brillante Jagdpacht ... Ich muss mich ja natürlich anstrengen! Das erwartet man! ... Aber ich tu’s ja gern!“

      „Ein goldenes Herz hat der Junge!“ Der Geheimrat goss eigenhändig seinem Sohn Sekt ein. „Was, Mutter? Wenn man ihm Geld schickt, opfert er sich und nimmt’s!“

      Oskar, der Chemiker, ein kleiner, unscheinbarer Herr, feixte niederträchtig über sein von Schmissen zerfetztes Gesicht, in dem die Augen schlau unter dem Zwicker funkelten.

      „Ich rutsche nächstens mal zu dir nach Ostelbien ’rüber, Otto! In einem tollen Zivil! ... Und erzähl’ bei euch im Kasino, Eugen Richter wäre gar kein so unebener Mensch!“

      „Ist er auch nicht!“ ergänzte halblaut der Bankdirektor Jungblüth. Der junge Kürassier sah sich nervös im Kreise um. Er hatte solch ein Frösteln. Er fühlte sich nicht so daheim wie früher. Es war alles so anders ...

      „Ihr müsst nicht spotten!“ sprach er empfindlich, obwohl er wusste, dass diese harmlosen Neckereien von jeher zum Ton des Elternhauses gehörten. „Ich bin doch dort neu. Die anderen Herren im Regiment sind doch die Träger uralter Namen. Auf diesen Namen beruht doch die Armee und der Staat.“

      „Ich glaube, bei dir ist schon blaues Blut herausgelaufen, als sie dich in Potsdam auf deiner Mensur zur Ader gelassen haben!“ sagte der Vater. „Junge ... geh mal an den Rhein ... und die Mosel ’rauf und an die Vogesen. Da stehen überall Schlösser. Aber sie sind leer. Kaputt. Trümmerzeug. Die Leute, die drin gehaust haben, sind fort. Ausgestorben. Verschollen. Und die Welt steht immer noch. Sogar ganz feste. Auch ohne siebenzackige Kronen. Es wird sogar hier zehnmal mehr Geld verdient als drüben in euren Gefilden ...“

      „Sehr richtig!“ rief der Generaldirektor Fahrenholtz, ein grosser, starker Mann.

      „Ich weiss von meinem Grossvater Lauckardt nur noch, dass er Bergmann war. Weiter hinauf nichts! ... Aber ich blech’ dem Fiskus Steuern, mein Sohn — ich glaub’, davon kann er dein ganzes Kürassierregiment


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