Stark wie die Mark. Rudolf Stratz

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Stark wie die Mark - Rudolf Stratz


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... nur damit man nicht so allein war. Diese Stimmung ... diese Stunde war zu gross für einen einzelnen Menschen ...

      Ein Meer von nassglitzernden Schirmen vor den hellen und dunklen Fenstern des Palais. Regen von oben. Nacht am Himmel. Undeutlich, hoch im Dämmern, riesig Mann und Ross und Dreispitz auf ragendem Sockel. Da reitet erzgegossen der alte Fritz. Und drüben, auf naher Brücke, der Grosse Kurfürst. Heute kommt er zu ihnen, der ihr Werk vollendet, vom Rhein bis an den Rhyn und von der Maas bis an die Memel. Und immer mehr Menschen, bis hin zum Kastanienwäldchen, zur Valerie, deren Erzrachen vor Paris in das erste Hoch auf den deutschen Kaiser hineingebrüllt, bis zum Zeughaus, wo die zerschlissenen Fahnen hängen, zum alten Hohenzollernschloss drüben an der Spree. Hier reden die Steine, der Boden spricht, hier schlägt das Herz von Preussen ...

      ... Und schlägt bald nicht mehr ...

      Eine Bewegung vorne, ein Rauschen durch die Menge, ein Flüstern, ein Weinen von Damen, ein alter General vor Achim drehte sich schluchzend um, das Tuch vor den Augen ... Auf einmal wusste es jeder ... ahnte es ... Wilhelm der Siegreiche war nicht mehr ... Niemand hatte es eigentlich gesagt ... es war wie ein Wehen in der Nachtluft ... das Gefühl von Hunderten und Tausenden zugleich: Es ist geschehen ... Die Zeit hat sich erfüllt ...

      Der Leutnant von Bornim ging davon. Benommen. Nur mit einem Gefühl: Ich muss hin und es dem Vater melden. Der sass in der Weinstube des „Kaiserhof“ an seinem Stammtisch mit anderen Granden des Reichstags. Seine Augen waren diesen Morgen trocken geblieben, als er den Sohn verstiess. Jetzt faltete der alte Mann die Hände und weinte und schämte sich der Tränen nicht. Nie in seinem Leben hatte Achim seinen Vater weinen sehen. Er hätte nie geglaubt, dass das möglich war. Jetzt erst, bei diesem Anblick, kam ihm die ganze Grösse dessen zum Bewusstsein, was geschehen. Und ein leiser Schauer lief ihm den Rücken hinunter.

      Dann hob Exzellenz von Bornim den kleinen, vertrockneten Kopf mit dem schlohweiss gesträubten Haar.

      „Nun gehen wir Alten!“ sagte er sonderbar ruhig zu den anderen verwitterten Grauschädeln um ihn. „Unser alter Herr ist uns voraus und macht Quartier. Wir kommen bald nach.“

      Dass der Kaiser doch noch diese Nacht durch bis in die neunte Morgenstunde hinein geatmet hatte, das erfuhr man erst am nächsten Mittag. Ein Trauerflor senkte sich über Berlin. Achim von Bornim sah vom Fenster seiner Kasernenwohnung die langen Schleier der schwarzgekleideten Damen in dem nasskalten Märzwind wehen, das stumpfe Schwarz über dem Zylinder der Herren, in schwarz ausgeschlagenen Schaufenstern die Büsten Wilhelms des Siegreichen, in vielen Knopflöchern die geknickte Kornblume. In der Kaserne war es still. Es war, als hielte die Armee den Atem an. Noch war der sieche neue Kriegsherr nicht über die Alpen. Und in dieser feierlichen Leere und Weite nach dem Tode, die jeden, selbst den jüngsten Dachs im Kasino, zum ernsthaften Menschen machte, musste er, Achim von Bornim, noch einmal des Abends hinüber in die Luft der Zültzschen Stallung, in der der Pferdegeruch noch weitaus das Reinlichste war. Ilse kam ihm schon auf der Treppe der Schieberhöhle entgegen.

      „Er ist nicht mehr da!“ meldete sie mit ihrer hellen Stimme. „Er ist in der Ritterstrasse, Achim!“

      „Warum denn, zum Kuckuck?“

      „Erst wurd’ es ihm hier in der Haferkiste zu eng. Die Spazierhölzer schliefen ihm ein, sagt’ er! Da kam er oben in den Kleiderschrank. Da passt’ ihm das viele Stehen im Dunklen auch nicht. Da kroch er auf den Heuboden. Da kriegte er Heufisselchen in die Nase und musste immer niesen. Da stieg er wieder ’runter und sagte, hier sei kein Milieu für Kavaliere. Da ist er jetzt, wie’s dunkel wurde, zu Herrn von Flissak!“

      „Dem Heiratsvermittler?“

      „Ja. Er erwartet dich dort!“

      Achim von Bornim unterdrückte einen Fluch und wandte sich zum Gehen. Die Kleine legte eilig und eifrig Hut und Mäntelchen an.

      „Ich muss mit. In Zivil weiss Herr von Flissak ja nicht, wer du bist! Da nimmt er gar nicht die Sperrkette von der Türe. Der kennt auch seine Pappenheimer ...“

      Eine eiskalte gute Stube mit Paneel und Sofa-Umbau. Staubige Makartsträusse. Goldfische im Glas, wie ein glückbringendes Vorzeichen für die Heiratskandidaten. Herr von Flissak spielte gegen den Leutnant den kordialen älteren Kameraden.

      „Unser alter Herr ...! ... Ja ... Herr von Bornim ... da blutet jedes Preussenherz ... Man hat doch gedient ... Man hat doch nicht umsonst so und so viel Jahre seinen Krötenspiess an der Seite getragen ... Können Sie mir nachfühlen ... was? ... Zigarre gefällig? ... Dürfen Sie unter Brüdern rauchen ... sind ja zwei Brüder ... haha ...“

      Und von der anderen Seite drängte seine Frau, eine Schöneberger Bauerntochter, die ganz in die Breite gequollen war und kein Korsett unter dem Hauskleid trug: „Setzen Sie sich doch jefälligst, Herr Baron! Nehmen Sie uns doch nich die Ruhe aus dem Haus!“

      Der junge Gardeleutnant sah über das Ehepaar mit frostigem Hochmut hinweg. Er suchte Lüdecke. Da kam der Kerl endlich. Verschwiemelt ... die frühere Bordeauxröte des Gesichts in das Schlappgraue übergegangen. Heu im Haar! ... zerdrückter Stehkragen ... dabei immer noch herablassende Würde ...

      „Gib mir die Billette! Wie heiss’ ich? ... ‚Friedrich‘ ... gut! ... ‚Wilhelm‘ ... auch gut ... ‚Müller‘ ... grässlich ... nee, Kinder ... nicht Müller ... den Namen hab’ ich schon mal wo gehört ... na meinetwegen ... Wink des Schicksals ... Drüben nenn’ ich mich gleich Mr. Miller ... damit imponiere ich den Grünhörnern von vornherein ... was ...?“

      Es war nicht mehr die alte ungekünstelte Frechheit. Seine Stimme hatte einen falschen Nebenklang wie von einem Sprung in der Kehle. Ach was! Haltung! Haltung! ... ’rin ins Vergnügen! Er kniff sich das Monokel ins Auge und trällerte den Gassenhauer aus dem ‚American Theater‘:

      „Ich stell’ euch hier Susanne vor,

      Ein Mädchen, das ich lieb’ ...“

      Trällerte ... und der Kaiser war noch nicht unter der Erde ... Achim und Ilse tauschten einen Blick. Er war ihnen unendlich widerwärtig in dieser Sekunde. Sie fühlten es jeder vom andern. Fühlten sich darin einander nah ...

      „Auf den Lehrter Bahnhof? ... Nicht zu machen!“ sagte Lüdecke. „Dort stehen die Häscher! ... Ich rutsche mit der Stadtbahn ab, ein schlichter Bürger unter anderen ... von Charlottenburg per Achse nach Spandau, und da erst in den Hamburger Zug ... Adieu ... Kinder! ... Habt euch lieb ... morgen können sich die Leute hier meine Wechsel sauer kochen lassen ... Adieu ... Adieu ... Adieu ...“

      Sie brachten ihn auf den Bahnhof Börse. Er sass da grossartig in seinem überfüllten Abteil am Fenster. Als der Zug sich in Bewegung setzte, streckte er den Kopf noch einmal hinaus und schrie: „Schickt mir eure Verlobungsanzeige, wenn es so weit ist!“

      Achim und Ilse wussten nicht, was sie zu dieser letzten Dummheit sagen sollten. Darum lachten sie beide. Dann fiel ihnen ein, dass jetzt doch kein Mensch in Berlin lachte. Das machte sie wieder verlegen. Auf Ilses Wangen erschien ein leises Rot. Er merkte das, und zugleich wurde auch er rot. Und sie sah das bei ihm.

      Als sie vom Bahnsteig herunterkamen, blieb Achim von Bornim stehen.

      „Sieh nur ... dies tolle Wetter ...“

      Ein Schneesturm heulte über Berlin. Die Flocken strichen schräg wie fliegende Schleier. Dächer und Strassen schimmerten weiss. Es war wie im tiefsten Winter statt kurz vor der Tag- und Nachtgleiche. Schneidender Nordost pfiff um die Häuserecken. Keine Droschke in Sicht. Sie kämpften gegen den Sturm, der Ilse den Atem benahm, dass sie sich unwillkürlich an ihren Begleiter schmiegte. Er hielt sie fest an sich gedrückt. So kamen sie an dem Hohenzollernschloss vorbei, das als ungeheure dunkle Masse in dem Stöhnen und Brausen der Nacht stand. Gegenüber, als ebensolche mächtige Kuppelwölbung, der alte Dom mit hellen Fenstern. Um sie beide auf der finsteren Fläche, die die Laternen im Schneegewirbel kaum erleuchteten, Menschen, immer mehr Menschen ... Offiziere ... Damen in Kopftüchern ... jetzt in der tobenden Geisterstunde ... Schutzleute ...

      Und von drüben, von den Linden her, schwankte es heran wie eine Vision der Nacht. Riesenhaft über den Köpfen der Menge


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