Stark wie die Mark. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.irgendwo einführt, lässt er Wendisch-Wiesche gegen Wechsel auf dessen Namen schreiben, damit der grossartig als Rittergutsbesitzer auftritt und Vertrauen einflösst. So kommt die Partie zustande. Dabei ist doch der letzte Baum abgeholzt — kein Vieh im Stall ... das Haus eine Ruine. Ja, siehst du, das ist Wendisch-Wiesche! So jagt da ein Scherz den andern!“
Achim von Bornim hatte mit der nachlässigen Überlegenheit eines jungen Mannes gesprochen, vor dem Berlin keine Geheimnisse mehr barg. Er hatte sich gefragt: ‚Soll ich ihr das sagen? Doch! Zu ihrem Besten! Sie muss mal erfahren, woran sie ist! Der Alte lügt ihr ja die Hucke voll.‘ Dabei war eine Neugier in ihm: Ahnt sie eigentlich das Frühere? Kaspar von der Zültz’ Ende auf Wendisch-Wiesche? Das junge Mädchen nickte und meinte mit einem leichten Seufzer: „Ich bin dumm! Ich hätt’s mir denken können ... nach dem, was schon vorher alles passiert ist ... Ach ... glaubst du denn, ich wüsste das nicht, dass Papa sich eine Kugel in den Kopf geschossen hat und gesessen hat?“ Ilse von der Zültz nannte es in einem kindlich einfachen Ton beim Namen. Es kam ganz selbstverständlich heraus. Sogar das halbe, unbewusste Lächeln blieb auf ihren Zügen. „Ich war noch nicht zwei Jahre in der Pension, da hatt’ es eins von den Mädchen von zu Hause erfahren und es überall herumgeredet. Denk mal: ich war die letzte, die’s gehört hat. Von der Vorsteherin selber. Da war ich wie verfemt. Da musst’ ich aus der Stadt weg und in eine andere Pension. Dort wussten sie’s nicht. Aber ich.“
„Zwanzig Doppelkronen!“ schrie es entschlossen auf dem Hof. Ein Indianergeheul hinterher: „Ihnen pickt er wohl?“
„Aujust, haste Luft?“
„Ein Gaul wie Gold!“
„Ruhe, meine Herren, Ruhe ...“
Achim von Bornim schaute stumm, fast betreten, auf seine Lackstiefelspitzen. Es war so schwer, mit dem Mädel zu reden — nein ... eigentlich nicht schwer ... nur so komisch ... sie sah diese Dinge so sonderbar an ... so sachlich ... so, als gingen sie sie selber nicht recht was an ... sie hatte gar kein Gefühl, ob das nun schlecht oder recht war ... sie hatte es ja nicht begangen ...
„Ach ... ich möchte reich sein!“ sagte Ilse wieder. Dann nach einer Weile: „Du bist das erste bekannte Gesicht seit Papa, das ich in Berlin sehe! Ich war so froh, wie ich dich gesehen hab’!“
Vom Hof klangen leichte, elastische Schritte. Kaspar von der Zültz kam heran, ein Banknotenbündel in der Hand. Das Pferd war verkauft. Nun rasch die Geschichte im Zimmer drüben schriftlich, ehe die Rosskämme einander wieder in die Haare gerieten! Er hatte nur Zeit, im Vorbeigehen seine Tochter bei den Schultern zu packen und mit einem Zungenschnalzen der Anerkennung wieder sein altes ‚Na?‘ ... zu rufen. Sie machte sich frei und sagte lachend und sich das Haar ordnend: „Was denn: na?“
Und Achim von Bornim merkte an ihren glänzenden dunklen Augen wohl, dass sie wusste, wie hübsch sie war.
„Endlich kommt die Itta!“ sagte sie. Ein junges Mädchen in ihrem Alter und einfach gekleidet wie sie schritt über den Hof.
„Wer ist denn das?“
„Itta Flissak. Sie holt mich zum Bummeln ab!“
„Die Tochter von dem Herrn von Flissak ... dem Kerl von vorhin?“
„Ja. Mit irgend jemandem muss ich doch spazieren gehen! Ich kann’s mir nicht aussuchen!“
Nun ja ... Ilses Vater hatte gebrummt. Der Vater der leidlich hübschen Blondine, die da herankam, war aus der Armee gestossen. Warum sollten da die beiden Mädel nicht gemeinsam die Berliner Schaufenster bewundern? Aber dem Leutnant von Bornim schien es jetzt doch die höchste Zeit, zu gehen ... „Auf Wiedersehen!“ sagte er rasch und machte, dass er wegkam, ehe er womöglich auch noch dem Fräulein von Flissak vorgestellt wurde, und sprang draussen in eine Droschke und fuhr zurück nach dem Westen, in sein heimatliches Berlin.
Die beiden nächsten Tage ertappte er sich immer wieder bei dem Gedanken an Ilse. Seinem Vater konnte er noch keinen Bericht abstatten. Der alte Herr war nicht zu sprechen. Er war vom Morgen bis zum Abend im Reichstag. Ungünstige Gerüchte über das Befinden des greisen Kaisers liefen um. Es wurde auch im Kasino davon gesprochen. Auf der Strasse. Überall. Und der Thronerbe siech im Süden. Die Zeiten waren ernst. Wurden vielleicht noch ernster. Es lag eine Wolke über der Stadt Berlin. Achim von Bornim wusste nicht: kam die beklemmende Stimmung voll Unruhe, voll Erwartung, in der er sich in diesen Tagen befand, davon oder von was sonst? Einmal, an einem dieser einsamen Abende, an denen niemand mehr Lust zu Gesellschaften und Vergnügungen hatte und ihm das Herumsitzen auf der Wache oder im Kasino zu langweilig dünkte, zog er Zivil an und bummelte die Friedrichstrasse hinauf gen Norden, nach dem Oranienburger Tor. Was er dort im Dunkel eigentlich wollte, war ihm selbst nicht recht klar. Mit der schäbigen Pferdehandlung da hinten und der Ilse hatte es gewiss nichts zu tun. Oh nein. Das wäre ja lächerlich gewesen. Da wäre er gleich heimgekehrt. Aber er kam auch so nicht weit. Aus der Tonhalle, an deren engem Eingang Plakate die grosse Versammlung der ‚Berliner Bewegung‘ ankündeten, strömten dunkle Menschenmassen, füllten die Strasse. Die Versammlung war aufgelöst. Von den Arbeitern gesprengt. Im Laternengeflacker ein Gewimmel von Hüten — Schutzmannshelme ... Pferdeköpfe ... Pfiffe ... „Haut ihm!“ ... „Nieder mit die Blauen!“ ... Blitzende Säbel ... Vom Bürgersteig ein flüchtiger Einblick in den Saal ... Rauchwolken, umgestürzte Stühle ... Auf dem Podium der Pfarrer von Slawatz und zwei andere Geistliche. Sie hielten jeder mit beiden Händen die aufgeschlagene Bibel gegen die Menge. Wie Luther in Worms. Die Bierseidel flogen um ihre Köpfe. Unten sangen die Ihren:
„Ein’ feste Burg ist unser Gott ...“
Und ihnen antwortete es, brauste auf, pflanzte sich tausendstimmig ins Freie, bis an die nächsten Strassenecken fort:
„Es stand meine Wiege im niedrigen Haus,
Die Sorgen, die gingen drin ein und drin aus ...“
Achim von Bornim sah die fanatischen Gesichter der Arbeiter, hörte die hellen Stimmen der Fabrikmädchen. Zum erstenmal schienen ihm diese Massen, die er täglich grau, stumpf, still auf der Strasse an sich vorüberströmen sah, wie von einem unterirdischen Feuer belebt, es regte sich etwas, wovon er kaum je etwas gehört oder gelesen, in der Tiefe, unter der Oberfläche der Dinge. Es rollte weithin durch die Nacht:
„Und guckt die Sorge auch mal durch die Scheiben,
Ein Sohn des Volkes will ich sein und bleiben!“
Und von innen tönte dumpf der Choral:
„Das Reich muss uns doch bleiben!“
Als Achim von Bornim sich dem Getümmel entzogen hatte und auf dem Rückweg befand, begegnete ihm Unter den Linden ein Major des Regiments. Der achtete heute nicht auf das Zivil des Leutnants, der sich ungesehen an ihm vorbeidrücken wollte. Er sagte ohne weitere Anrede: „Ich komme eben vom Palais. Es steht nicht gut um Majestät!“
Drüben, gegenüber dem Denkmal Friedrichs des Grossen, waren Fenster hell. Schwarze Menschengruppen standen da, trotz der bitteren Kälte. Hohe Offiziere gingen aus und ein, wurden mit bangen Blicken verfolgt. Ein Ahnen umher. Und auch in dem jungen Leutnant: Das Alte, das Grosse neigt sich zu Grab. Die Heldenzeit geht zu Ende. Ein neuer Morgen steigt herauf. Neue Kräfte suchen den Tag ...
6
‚Nimm sie heraus aus dem Rosstäuscherkram am Oranienburger Tor, dann ist die Ilse Zültz ’ne Dame! Lass sie dort, dann ist sie’s nicht ... Es kommt nicht darauf an, wer sie ist, sondern wo sie ist! Verstehst du das, mein Sohn?‘
Achim von Bornim fuhr aus dem Schlaf auf. Er glaubte, noch die bedächtige, knarrende Stimme seines Vaters zu hören. Er hatte geträumt, er habe den um Rat gefragt — wieder im Reichstag — wie man es als korrekter junger Mann mit der Ilse Zültz halten müsse ... Andere alte Herren hatten herumgesessen ... die Ilse selber kam herangeschlendert, direkt aus dem Sitzungssaal ... ganz unbefangen ... sie hatte sogar die Frechheit und stand am Seiteneingang, da, wo Bismarck gewöhnlich hineinfuhr. Dessen Wagen bog schon um die Ecke. Man hörte das Donnern in der Torwölbung ...
Der Leutnant war jetzt ganz wach.