Stark wie die Mark. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.einfach: Er hatte wahrhaftig in diesem Zültzschen Stallmist nichts zu suchen. Er ging nicht wieder hin. Da sah er auch die Ilse nicht mehr ...
Draussen donnerte es wieder. Ein Klopfen mit Faust und Stiefelspitze gegen die Türe.
„Zum Teufel ... wer ist denn da?“
„Ich! Lüdecke! Mach auf!“
Der hatte gerade noch gefehlt! Der Jüngere fluchte und öffnete im Hemd die Türe. Da stand der ehemalige Gardekavallerist. Hinter ihm der Musketier der Kasernenwache, der ihn hinaufgeführt und sich nun wieder auf dröhnenden, nägelgespickten Kommisssohlen trollte.
„Was hast du denn nun wieder ausgefressen?“
Lüdecke von Bornims Gesicht war rot und süffisant wie immer. Er liess sich, die Hände auf den Goldknopf seines Stocks gestützt, das Einglas im Auge, den Zylinder im Genick, rittlings auf einen Stuhl nieder, als sässe er in der Bar, und sagte mit einer gewissen Feierlichkeit:
„Kapores!“
„Was?“
„Alle! Fertig! Schluss! ... Ich bin unter schlechte Menschen gekommen. Man hat meine und Rehfischs Unerfahrenheit ausgebeutet. Es ist nichts mit dem grossen Coup. Ich muss fort! Höchste Eisenbahn ...“
„Da haben wir’s!“
„Meine Verdienste werden hier nicht anerkannt. Für mich ist Berlin zu eng! Ich soll hier auf einmal überall Wechsel decken, Rechnungen zahlen ... Ich glaube, die Leute sind verrückt ... Nee ... lieber nu schon Amerika ... Aber standesgemäss ... Erster Güte ... sonst bleib’ ich da! ... Sag das auch unserm alten Herrn ...“
„Herrgott, geh doch einmal zu Hans-Christoph, statt dass ich immer ... Oder schreibe Papa ...“
„Hans-Christoph ist ein Rindvieh! Und schreiben? ... time is money, wie wir Yankees sagen ... Die Weltfremdheit unsrer Richter ... die Kerle haben selber keine Pelze. Nun begreifen sie nicht, dass ’n Gentleman so ’n Zeugs auch mal versetzt ...“
„Unbezahlt?“
„Bezahlt soll er auch noch sein?“ sagte Lüdecke erstaunt. „Du bist nicht übel, mein Sohn! Na ... drüben in den States ...“ Er erhob sich und spähte durch das Fenster. „Die Unsicherheit in Berlin nimmt immer mehr überhand! ... Ich kann mich kaum mehr ruhig auf der Strasse zeigen, ohne dass verdächtige Elemente ... Also nun sause mal schleunigst zu unserm Erzeuger ... sag ihm, ich stände sonst für nichts ... Ich würde glattweg verhaftet ...“
„Himmelherrgottdonnerwetter ...“
„Pst! Ein Kavalier regt sich nie auf! Bring mir das Geld um zwei in die Kaiserklappe an der Ecke der Karlstrasse! Wenn ich nicht vorn bin, frag nur den Kellner nach dem Grafen Müller. Unter dem Namen bin ich da bekannt. Dann holt er mich! ... Aber mach deine Sache ordentlich. Verstanden?“
Er nickte gönnerhaft, als ein älterer Bruder, der dem Jüngeren gute Lehren gegeben, und verschwand. Achim schaute ihm zornig nach. Immer wieder diese verfluchte Lüdeckesche Müllgrube! Jetzt zum letztenmal! Erwartet hatte er es schon lange, dies Ende mit Schrecken bei Lüdecke, statt des bisherigen Schreckens ohne Ende. Sowie der Dienst vorbei war, suchte er Hans-Christoph, den Ältesten, im Auswärtigen Amt auf. Der Regierungsassessor schwieg zu seinem Bericht. Er schwieg eigentlich immer. Das war das Geheimnis seiner Stellung hier. Sein Vater hatte einmal gesagt: ‚Der Mensch schweigt sich noch zum Botschafter empor!‘ ...
„Also, was soll man denn nun machen?“
Hans-Christoph zuckte die Achseln. Er wollte mit der Sache nichts zu tun haben. Ein Geheimrat stürmte herein. Eine flüchtige Verbeugung gegen den jungen Gardeleutnant. Dann ein eiliges: „Ach, bitte, Herr von Bornim ... zum Dechiffrieren ...“
Der Assessor griff nach den Akten. Dabei sprach er endlich: „Ich habe jetzt keine Minute ausserdienstlich Zeit. Das Befinden von Majestät ... wir kommen wahrscheinlich die nächsten Nächte überhaupt nicht ins Bett ...“
Es war wirklich eine Erregung in dem niederen, langgestreckten, grauen Gebäude, dessen Rückfenster durch den winterlichen Park nach der Backsteinmauer an der Königgrätzer Strasse schauten. Ein Laufen von Tür zu Tür ... flüsternde Stimmen im Gang ... nebenan, im Hof des Reichskanzlerpalais, hielten ganze Reihen von Equipagen. Achim griff erbittert nach seiner Mütze.
„Wenn Bismarck wüsste, wie stumpfsinnig du bist,“ sagte er. „Na ... döse man weiter! Gute Nacht!“
In zwei Minuten war er um die Ecke am Reichstagsportal. Exzellenz von Bornim sei vorhin zu einer Besprechung in das Abgeordnetenhaus gegangen, meldete ihm der Pförtner. Also weiter ans andere Ende der Leipziger Strasse! In dem winkeligen Treppengewirr des alten Kastens am Dönhoffplatz war es nicht leicht, jemanden zu finden. In dem Foyer standen im Zigarrenqualm Hunderte von Herren. Landtagsabgeordnete und von aussen Gekommene. Ein Stimmengewirr. Hier war man Preussen. Hier war man ganz unter sich. Denen hier war nicht nur der neu gekürte Kaiser krank, nein, vielen von ihnen aus Väterszeiten und alten Ruhmestagen mehr: ihr König und Herr ...
Greise waren in Menge da, seine Altersgenossen. Und andere, mit seltsam ernsten Mienen, die Männer von fünfzig, die seit einem halben Menschenalter, seit dem Anfang der siebziger Jahre, auf den Thronwechsel warteten. Und nun zeichnete, schon über ein Jahr, der Tod den Sohn noch vor dem Vater, lenkte ihr Lebensziel ins Leere. Und ein paar junge Herren waren da, zerhauene, blonde Landwirte, Rittmeister a. D., Rittergutsbesitzer — im Alter des Prinzen Wilhelm — seine Bonner Korpsbrüder — seine einstigen Kameraden in der Potsdamer Attila ... vielleicht über Nacht die Erben einer ausgeschalteten Generation ...
In der Mitte des Raums stand der Minister von Puttkamer mit seinen mächtigen Favoris. Wo der war, war Alt-Preussen. Drängten sich die Granden. War auch Papa.
Exzellenz von Bornim hörte, mit seinem Sohn in eine Ecke getreten, dessen Bericht. Starren, feierlichen Ernst auf dem kleinen vertrockneten Antlitz. Der galt seinem scheidenden König. Es war, als ob für ihn alles andere daneben verginge. Er sagte: „Ich war darauf vorbereitet, dass Lüdecke einmal hinüber muss ... Ich hab’s mit mir abgemacht. Faules Holz muss fort vom Stamm! ...“
Es war der gleiche Gesichtsausdruck, es waren fast die gleichen Worte, mit denen er vor Jahren auf seinem Schloss Sommerwerk dem hilfesuchenden Wendisch-Wiescher den Weg zur Türe und Pistole gewiesen. Kein Mitleid. Unerbittliche Härte unter dem hängenden, weissen Schnurrbart um den eingefallenen Mund. Spreu, flieg vom Weizen! ... Er hatte ja noch zwei Söhne ...
Er zog sein Scheckbuch aus der Tasche, legte es fernsichtig weit von sich auf den Tisch und schrieb mit zitternder, umständlicher Greisenschrift eine Anweisung auf tausend Mark.
„Aber nicht bar in die Hand! — hörst du, Achim? Sonst verspielt er’s und bleibt hier. Du kaufst ihm seine Überfahrtskarte und was dazu gehört! Ich kann mich nicht damit befassen! ... Ich muss auch gleich wieder in den Reichstag ... Niemand weiss, was wird ... der Kaiser ist krank ...“
Wilke von Bornim sah vor sich hin ... Sein Kaiser ging ... in Glanz und Ehren. Sein Sohn schied in Unehren. War es doch der Sohn ...? Er zuckte. Er sprach mühsam ... vom Kaiser ...
„Vorigen Herbst habe ich ihn zuletzt gesehen, Achim! ... Er hat mich herangewinkt und mit mir gesprochen. Er hat mich auch nach dir gefragt! Vergiss das nie! ... Ich hab’ ihm noch einmal die Hand küssen dürfen ... ich und Leggien ... Geh jetzt ... geh!“
Er schob beinahe ungeduldig den Sohn von sich. Niemand merkte ihm etwas an. Der Leutnant blieb stehen.
„Papa ... möchtest du nicht Lüdecke noch einmal sehen?“
„Nein.“
Achim von Bornim überlegte auf dem Heimweg: Verwünscht: Gerade heute du jour. Jetzt Fleischempfang. Dann in die Küche, das Mannschaftsessen kosten. Dann zu Tisch ins Kasino. Nachmittags Turnen, Instruktion, Brotfassen ... wann sollte er denn um Himmels willen die Sache mit Lüdecke besorgen?
Einen anderen darum bitten? Nee — danke schön ... die schmutzige Wäsche ans Tageslicht ziehen — dagegen empörte sich sein Hochmut — selbst