Keine Nachricht von Kami. Magnhild Bruheim

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Keine Nachricht von Kami - Magnhild Bruheim


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war ein paar Sekunden lang nicht zu hören. »Aber du …«

      Bentes Herz machte einen kleinen Sprung, sie fürchtete sich vor dem, was kommen würde. Vielleicht wusste es Kami doch?

      »Der Akku ist bald leer«, sagte Kami. »Jetzt sieht er übrigens zu mir her … der Typ. Ich rufe dich an, wenn ich aussteige. Hoffentlich reicht der Akku.«

      »Okay«, sagte Bente und legte auf. Sie war erleichtert.

      Sie telefonierten oft, wenn eine von ihnen allein im Dunkeln unterwegs war. Das nahm etwas die Angst und verscheuchte vielleicht eventuelle Vergewaltiger. Um von der Bushaltestelle nach Hause zu kommen, musste Kari-Marie durch eine Gegend, in der keine Häuser standen.

      Zehn Minuten später ließ sich der melodische Klingelton wieder vernehmen.

      »Hei«, sagte Kami außer Atem. »Jetzt bin ich auf dem Heimweg. Der Typ ist auch ausgestiegen. Er geht genau vor mir. Militärjacke und Boots. Ein erwachsener Mann ist auch ausgestiegen, aber den sehe ich jetzt gerade nicht. Vielleicht ist er hinter mir. Personenbeschreibung: Langer, dunkler Mantel. Kurze Haare. In den 30ern, vielleicht.« Durch das schnelle Gehen war ihre Stimme abgehackt. »Und was hast du heute Abend gemacht?«

      »Das gewöhnliche Mittwochsprogramm«, seufzte Bente. »Lauter langweilige Sachen. Überbackene Brote … die waren übrigens gut.«

      »Ich wünschte mir, Liv würde zwischendurch mal was Gutes machen.«

      »Deine Mutter ist doch okay.«

      »Aber sie hat nie Zeit, es mal gemütlich zu machen.« Kami war außer Atem, als ob sie schneller ginge. »Und sonst? Hast du mit Ingrid gesprochen?«

      »War sie nicht mit im Kino?«

      »Hast du vergessen, dass sie zum vierzigsten Geburtstag von ihrer Tante musste? Sie hat sich sicher zu Tode gelangweilt.«

      »Hab ich nicht dran gedacht«, sagte Bente. Das stimmte nicht: Sie hatte schon an Ingrid gedacht. Das Problem war nur, dass sie zurzeit nicht gerade gut auf sie zu sprechen war. Das hatte sie Kami nicht erzählt.

      Aber jetzt wurde die Verbindung durch ein seltsames Rauschen gestört. Danach hörte sie schwach die Stimme von Kami: »Hei. Ich spreche gerade mit einer Freundin.« Eine Männerstimme sagte etwas, was Bente nicht verstand. Kami antwortete: »Was?« Und danach: »Wart mal.«

      Plötzlich hörte Bente ein dumpfes Geräusch, als ob das Handy auf den Boden gefallen wäre. Die Verbindung war unterbrochen.

      »Hallo?«, sagte Bente, bekam aber keine Antwort. Dann ist wohl der Akku leer, dachte sie. Trotzdem rief sie noch mal an, erhielt aber nur die Ansage, dass der gewünschte Gesprächspartner zurzeit nicht erreichbar sei. Kami wird anrufen, sobald sie zu Hause ist, dachte Bente und blätterte in der Zeitschrift, während sie wartete.

      Nach zwanzig Minuten versuchte sie wieder, die Freundin zu erreichen.

      Niemand ging ran. Hatte sie sich einfach hingelegt, ohne anzurufen? Das sah Kami gar nicht ähnlich. Bente wartete weitere zwanzig Minuten ab, bevor sie es wieder versuchte. Doch diejenige, die sich dann meldete, war Kamis Mutter, Liv Eiker. »Ich bin gerade erst zur Tür reingekommen«, sagte sie. »Ich denke, Kari-Marie ist in ihrem Zimmer. Es ist ja fast zwölf Uhr. Sie schläft sicher schon.«

      »Kannst du bitte nachsehen?«, bat Bente.

      »Natürlich«, sagte Liv unsicher.

      Bente sagte nichts weiter, und Liv legte auf. Ein paar Minuten später rief sie wieder zurück: »Nein, sie ist nicht da. Und ich sehe auch ihre Jacke nicht. Normalerweise ist sie sonst nicht mehr so spät unterwegs, jedenfalls nicht an einem Mittwochabend.« Sorge lag in ihrer Stimme. »Sie muss ja morgen wieder in die Schule.«

      »Ich habe vor ungefähr einer Stunde mit ihr gesprochen«, sagte Bente, während sich etwas in ihr zusammenschnürte. »Da war sie aus dem Bus gestiegen. Sie müsste längst zu Hause sein.«

      »Was sagst du da?«, fragte Liv mit zitternder Stimme.

      Bente versuchte, die passenden Worte zu finden, um zu erklären, was sie wusste.

      2

      Der ganze Schulhof war wie ein summender Bienenstock. Die Schüler schwirrten außerhalb des niedrigen, grauen Steingebäudes hin und her. Alle redeten nur über eine Sache: Kari-Marie Eiker war verschwunden!

      Bente bekam kaum etwas davon mit, was um sie herum geschah. Alles war unwirklich. Ein Gedanke schoss ihr die ganze Zeit durch den Kopf: Was war mit Kami geschehen? Bilder tauchten auf, die sie nicht sehen wollte. Kami im Schnee. Kami mit einem unbekannten Mann über sich. Es war wie ein böser Traum. Und sie selbst hatte zu spät reagiert.

      Die Mitschüler umringten sie. Nachdem sie ein paar Mal das letzte Gespräch mit Kami wiedergegeben hatte, konnte sie nicht mehr. Sie zog sich in das Büro der Rektorin zurück. Dort wollte die Polizei noch einmal mit ihr sprechen. Im Büro saßen auch alle, die am Abend zuvor mit ins Kino gegangen waren. Sie hatten wenig Neues hinzuzufügen. Die Berichte waren alle gleich und endeten an der Bushaltestelle ungefähr um halb elf.

      Die Polizei hatte um halb eins in derselben Nacht bei Bente angerufen und ihre ganze Familie aufgeweckt. Kari-Marie war als vermisst gemeldet worden, und Liv Eiker hatte der Polizei mitgeteilt, was Bente ihr erzählt hatte. Danach war an Schlaf nicht mehr zu denken. Der Vater blieb bis drei Uhr mit ihr auf. Dann rief Liv an und sagte, dass sie nichts Neues zu erzählen hätte, und ihr Vater meinte, dass sie versuchen sollten, ein bisschen zu schlafen. Das war leichter gesagt als getan. Bente war schon wieder aufgestanden, bevor es hell wurde, und wartete auf den nächsten Anruf. Der war jedoch auch nicht erfreulicher.

      Unter den Polizisten war auch eine Frau. Ziemlich jung für eine Polizistin, dachte Bente. Wohl nicht älter als fünfundzwanzig. Die schwarze Uniform war die gleiche wie bei den anderen. Ihre Haare waren hellblond und lockig. Sie war nicht gerade schlank. Sie kam zu Bente herüber.

      »Ich heiße Mona«, sagte sie freundlich. »Ich möchte gerne ein wenig mehr mit dir reden, Bente. Aber ich habe mir gedacht, dass wir besser in ein anderes Zimmer gehen. Wir können das Büro nebenan nehmen.«

      Bente fand das in Ordnung. Zusammen mit der Polizistin trottete sie ins nächste Büro.

      »Bist du sicher, dass Kari-Marie auf dem Nachhauseweg war, als sie dich anrief?«

      Diese Frage hatte sie nicht erwartet. Bente war fast ein bisschen beleidigt. Glaubte die Polizistin etwa, dass sie gelogen hatte?

      »Das habe ich doch gesagt. Sie rief zuerst vom Bus aus an und dann zehn Minuten später, nachdem sie ausgestiegen war.« Bente war es leid, das wieder und wieder erklären zu müssen.

      »Wir haben mit dem Busfahrer gesprochen. Er meint, dass Kari-Marie ein paar Bushaltestellen vor ihrer Haltestelle ausgestiegen sei.« Mona sah Bente misstrauisch an.

      »Aber warum sollte sie vorher aussteigen?«

      »Das fragen wir uns auch.«

      Bentes Gedanken kreisten wild in ihrem Kopf. Sie verstand nicht, was die Polizei vermutete. Sie blickte sich in dem kümmerlichen Büro um. Überall Papiere und Bücher. Der Schreibtisch, das Buchregal, die Schrift an der Tafel. Ein Landschaftsbild war das Einzige, was davon abstach.

      Mona fragte weiter: »Und du bist dir sicher, dass sie den jungen Mann nicht kannte, der mit ihr ausgestiegen ist?«

      »Das hätte sie mir doch erzählt, wenn sie ihn gekannt hätte, oder?«

      »Die Personenbeschreibungen, die sie dir gegeben hat, stimmen mit denen des Busfahrers überein. Der Typ kann ihr gefolgt sein.«

      Das Letzte sagte die Polizistin mehr zu sich selbst, bevor sie Bente wieder ansah. »Hast du auch nur die leiseste Ahnung, wer er sein könnte?«

      Bente konnte nur mit dem Kopf schütteln. Durch das Fenster sah sie die Gestalten, die auf dem Schulhof herumschwirrten. Unruhig. Als ob alles aus den Fugen geraten sei. Eine fehlte dort.

      »Könnte


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