Keine Nachricht von Kami. Magnhild Bruheim

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Keine Nachricht von Kami - Magnhild Bruheim


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      »Warum um alles in der Welt?«

      »Nein, in Ordnung. Tschüs dann.« Die Mutter schloss die Tür leise hinter sich.

      Genau in diesem Augenblick klingelte das Handy neben ihr. Bente griff schnell danach. Es war nur Martine, aber trotzdem besser als nichts.

      »Etwas Neues?«, fragte Martine.

      Bente verneinte. Nicht einmal Martine konnte sie von den rätselhaften SMS erzählen. Zumindest jetzt noch nicht. Auch die Information, dass Kami an der falschen Haltestelle ausgestiegen war, behielt sie für sich.

      »Glaubst du, dass sie von dem Typen, der mit ihr gesprochen hat, gekidnappt wurde?«, fragte Martine.

      »Oder es kann der andere Mann gewesen sein. Sie glaubte, dass er genau hinter ihr ging.«

      »Aber er müsste doch dann ein Auto dort gehabt haben, oder?«

      »Ich glaube, dass die Polizei die Umgebung gründlich abgesucht hat, ohne eine Spur zu finden.«

      »Stell dir vor, er ist ein Vergewaltiger.«

      »Uh, daran mag ich gar nicht denken.«

      »Ich hoffe nur, dass sie am Leben ist.«

      Bente dachte wieder an die SMS. Falls Kami sie wirklich geschrieben hatte, musste sie noch am Leben sein. Und wenn sie es nicht gewesen war …? War es dann jemand, der ihr Handy an sich genommen hatte? Der Täter womöglich? Der Bentes Nummer gefunden hatte. Sie war ja die Letzte, die Kami angerufen hatte.

      »Du …«, Martine unterbrach ihre Gedanken. »Die Lokalnachrichten im Fernsehen fangen jetzt an. Die waren heute in der Schule und haben gefilmt, da gibt es sicher einen Bericht.«

      Bente stand vom Bett auf und ging mit dem Handy in der Hand ins Wohnzimmer. Der Bericht begann mit einem selbstzufriedenen Sprecher, der erklärte, dass ein fünfzehnjähriges Mädchen spurlos verschwunden sei. Ein Foto von Kami füllte den Schirm. Es war unheimlich, sie zu sehen und nicht zu wissen, wo sie war.

      Die Nachricht vom Verschwinden war der erste Beitrag. Das Foto von Kami wurde erneut gezeigt, während der Reporter über die rätselhaften Vorgänge berichtete. Dann zeigten sie Bilder von Schülern im Schulhof, während sie weiterredeten.

      »Wir haben heute ein größeres Gebiet abgesucht«, gab der Polizist Auskunft, der auf dem Bildschirm erschienen war. Es war nicht Mona, aber der Mann, der mit ihr zusammen in der Schule gewesen war.

      »Hat die Polizei Befürchtungen, dass es sich um eine kriminelle Straftat handelt?«, fragte der Reporter.

      »Es ist zu früh, um darüber Aussagen zu treffen«, sagte der ernste Polizist.

      »Aber man kann es auch nicht ausschließen?«

      »Nein«, antwortete der Polizist, bevor er vom Bildschirm verschwand.

      Plötzlich sah Bente sich selbst vom Schulgebäude Weggehen. Die Reporterstimme erzählte, dass eine Freundin die letzte Person gewesen war, die mit Kari-Marie Eiker vor ihrem Verschwinden gesprochen hatte. Bente hörte, dass er das Wort Handy erwähnte, und sah ein Bild von einer Hand mit Handy. Weder das Handy noch die Hand gehörten zu ihr. Dann war wieder sie zu sehen, diesmal näher. Sie sah ganz verwirrt aus, wie sie inmitten einer Traube von Schülern und Journalisten stand.

      »Wir sind gute Freundinnen«, sagte sie im Fernsehen. Danach antwortete sie »ja« auf die Frage, ob es ein schlimmer Tag gewesen sei, ob es der schlimmste in ihrem Leben gewesen sei, und ob sie Angst hätte, dass Kari-Marie Opfer einer kriminellen Handlung geworden sei. Sie drehte den Kopf von einer Seite zur anderen und sah sowohl ängstlich als auch merkwürdig aus. Außerdem wirkte sie in der blauen Jacke dick. Das war ihr bisher nicht aufgefallen.

      »Ich wusste nicht, dass es ein Interview war«, sagte sie erklärend zu ihrem Vater, als der Bericht endlich zu Ende war. »Sie haben mich gefilmt, ohne dass ich es wusste. Verdammte Scheiße.«

      Er machte keine Bemerkung über das Fluchen, sondern sah sie nur bekümmert an.

      »Ich werde auf jeden Fall die Jacke nicht mehr anziehen«, sagte sie bestimmt.

      »Die Jacke?«, fragte der Vater verwundert. »Was hat die denn mit der Sache zu tun?«

      »Ich sehe darin aus wie eine gestopfte Weihnachtsgans.«

      »Bente«, sagte der Vater ernst. »Setz dich hin, damit wir ein bisschen reden können.« Er klopfte auf den Platz neben sich auf dem Sofa.

      »Ich muss Martine wieder anrufen«, sagte sie. Sie hatten aufgelegt, als der Bericht über Kari-Marie anfing.

      Aber Martine war schneller. »Hast du dich im Fernsehen gesehen?«, brüllte sie in Bentes Ohr.

      »Ja, leider. Man könnte glauben, ich käme aus einer Institution für Geistesgestörte, gekleidet von der Heilsarmee.«

      Martine lachte. »So schlimm war es doch nicht, oder?«

      »Schlimmer«. Bente ging wieder in ihr Zimmer. Es war nicht nötig, den Vater mehr einzubeziehen als notwendig. Sie war allerdings noch nicht angekommen, als es an der Tür klingelte. Sie blieb im Flur stehen, während ihr Vater öffnete. Die Frau, die hereinkam, war Liv Eiker.

      Kari-Maries Mutter war eine gut aussehende Frau. Sie hatte immer schicke Kleider an und eine moderne Frisur, die sich ein paar Mal im Jahr änderte. Bente hatte sie immer gemocht. Sie war die jüngste der Freundinnenmütter und sah noch jünger aus, als sie mit ihren fünfunddreißig Jahren war. Jetzt allerdings nicht. Jetzt war sie grau und verheult und sah mindestens wie vierzig aus. Sie wollte wissen, was Bente über Kami wusste.

      »Ich fürchte, es gibt Dinge, die mir Kami nicht erzählt hat«, sagte sie.

      »Was sollte das sein?«, war das Einzige, was Bente einfiel.

      »War sie in letzter Zeit mit neuen Freunden zusammen?«

      Bente fragte sich, was für eine Antwort Liv auf diese Frage erwartete.

      »Nein«, sagte sie und erhielt einen forschenden Blick des Vaters.

      »Einen Freund?«

      »Soweit ich weiß, nicht.« Niemand würde Bente dazu bringen, etwas zu verraten.

      »Kann sie in irgendeine Sache verwickelt gewesen sein? Drogen?«

      »Kann ich mir nicht vorstellen. Das würde ich wissen.«

      »Ich fand, sie war in letzter Zeit etwas verändert«, sagte Liv und wandte sich zu Bentes Vater. »Es war in gewisser Weise schwerer, mit ihr klarzukommen.«

      »Aber glaubst du, dass ein Zusammenhang damit und mit ihrem Verschwinden besteht?«, fragte der Vater vorsichtig.

      »Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll«, sagte Liv resigniert.

      »Aber die Polizei fragt und fragt. Wir können nicht ausschließen, dass Kami freiwillig verschwunden ist, sagen sie. Sie haben mich mit allen diesen Fragen bombardiert. Ich weiß nicht mehr weiter.«

      Sie legte die Hände vor das Gesicht und fing an zu weinen.

      Bente wünschte sich, sie würde aufhören.

      Der Vater schlug vor, Kaffee zu machen, und verschwand in der Küche.

      »Wir hatten früher ein so vertrautes Verhältnis«, sagte Liv in die Luft.

      »Das habt ihr doch jetzt auch noch«, sagte Bente, nur um etwas zu sagen.

      Das Gespräch kam ins Stocken, bis ihr Vater zurückkam und die Stimmung entspannte. In der einen Hand hatte er eine Kaffeekanne und Tassen, deren Griffe er sich in jeweils einen Finger gehängt hatte. In der anderen Hand hielt er einen Teller mit aufgeschnittenem Napfkuchen.

      »Wenn du auch etwas zu trinken haben möchtest, es ist noch Cola im Kühlschrank«, sagte er zu Bente.

      Sie holte sich eine Cola und ließ sich wieder auf dem Sofa nieder, während sie


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