DIE MINE. Tim Curran
Читать онлайн книгу.in Sackgassen endeten, hätte er schwören können, hinter sich Schritte gehört zu haben.
Aber als er sich umgedreht hatte … nichts.
Er erreichte die Tür, ging hindurch und befand sich auf einer Stufe, von der aus er über den gesamten Parkplatz und all die riesigen Gerätschaften blicken konnte, die hier unten geparkt war. Er ging eine eiserne Treppe hinunter und sah sich um. Über sich konnte er die Glasfront des Büros und die Gesichter von Jerry und Woody sehen, die ihn sehr aufmerksam beobachteten. Er winkte nach oben. Sie winkten zurück. Er wusste, dass sie ängstlich wie ein paar Kinder waren, die gerade eine gute Geistergeschichte gehört hatten.
Die Sache war, Dew fing an, sich genauso zu fühlen.
Das war das Problem am Polizistendasein. Unabhängig von den Umständen, unabhängig davon, wie furchtbar etwas war oder wie sehr es einen zu Tode erschreckte und einem die Eier abfaulen ließ, man musste es untersuchen. Das war sein Job. Man musste herausfinden, woher etwas kam, und sich ihm stellen. Das brachte das Tragen dieses Abzeichens mit sich.
Er trat hinaus auf den nassen Betonboden. Der Parkplatz war riesig, fast so groß wie ein Häuserblock in der Stadt. Lastwagen und schweres Gerät standen aneinandergereiht. Ein paar Laternen weit über ihm erleuchteten den Parkplatz ungleichmäßig mit einem unnatürlich orangefarbenen Licht. Dew bewegte sich langsam, zögernd. Obwohl es keinen Grund zur Vorsicht gab, war sein Rücken durchgedrückt. Er spürte die Gefahr, wie sie sich in seinen Bauch einnistete, und kein vernünftiger Gedanke konnte sie zerstreuen.
Aber weswegen machte er sich eigentlich Sorgen?
Wegen einigem, dachte er. Ich habe Angst, dass die ganzen Arbeiter hier unten wirklich verschwunden sind. Ich habe Angst, dass wir herausfinden, warum. Ich habe wirklich Angst, dass, wenn wir es herausfinden, wir ihnen folgen werden.
Er lief an der Reihe Fahrzeuge entlang und roch den Diesel und das Hydrauliköl, während sich sein Magen verkrampfte. Er schaltete die Taschenlampe an, weil es einfach zu verdammt viele Schatten gab. Während er das tat, testete er noch einmal sein Funkgerät. Nichts außer dem Rauschen. Es ergab keinen Sinn. Wenigstens seine Stellvertreter hätte er damit erreichen sollen, aber selbst das wurde ihm verwehrt und er steckte es wieder an den Gürtel.
Lauf einfach weiter. Denk nicht darüber nach.
Er erinnerte sich daran, dass seine Stellvertreter ihn beobachteten – ohne Zweifel sehr intensiv – und er konnte nicht zulassen, dass sie ihn schwitzen sahen. Tatsächlich war er das Einzige, was die drei zusammenhielt; das musste er im Kopf behalten. Bleib gelassen, bleib locker. So musste es sein. Er trat hinter einem Kipplaster und leuchtete die Schatten mit seiner Taschenlampe aus.
Was zum Teufel?
Da lag etwas auf dem Boden. Ein Stiefel. Das war alles. Ein kniehoher Gummistiefel. Wahrscheinlich von der Art, wie Minenarbeiter sie unten in der Grube trugen. Grüner Gummi. Dew redete sich ein, dass er wahrscheinlich einfach nur vom Laster heruntergefallen war … aber wirklich überzeugt war er nicht. Es ist nur ein alter Stiefel, gottverdammt. Ja, mehr nicht. Eine vollkommen harmlose Sache, aber aus irgendeinem Grund jagte es ihm eine Welle der Angst durch die Eingeweide. Er ging hinüber und trat dagegen. Der Stiefel fiel um. Kein Blut klebte an ihm, kein Stück Knochen ragte hinaus, kein Grund für sein Unbehagen … dennoch fühlte er es.
Was für ein Schwachsinn.
Er wusste es besser, als sich solchen Blödsinn auszumalen …
Er zögerte, konnte Musik hören. Ein lächerlicher Gedanke, aber da war wirklich etwas: Eine gedämpfte, kaum wahrnehmbare Melodie, die wie ein Kinderlied klang. Irgendetwas, was er einmal gekannt hatte, aber auf das er nun nicht kam. Ängstlich und ziemlich desorientiert ging er wieder nach vorn. Sein Mund war plötzlich staubtrocken, sodass er sich kaum die Lippen befeuchten konnte. Oben im Büro konnte er Jerry und Woody sehen, wie sie hinunterschauten.
Die Musik spielte immer noch.
Sie musste von einem der Fahrzeuge kommen. Es gab keine andere Erklärung. Er nahm sein Funkgerät vom Gürtel. »Jerry? Woody?«, fragte er leise. Wieder hörte er nichts als Rauschen. Er drehte sich zu der Reihe Fahrzeuge um und begann an ihnen entlangzulaufen, bis er zu einem riesigen Frontlader kam, dessen Schaufel ein Haus hätte aufnehmen können. Nun konnte er das Lied deutlicher hören. So unglaublich es auch schien, er war sich sicher, dass es das schottische Kinderlied »Watend durch den Bach« war. Allein der Gedanke, dass solch ein Lied von einem der monströsen Fahrzeuge im leeren, stillen Parkhaus kam, war entweder lachhaft oder das Schrecklichste, was sich sein Kopf in diesem Moment vorstellen konnte.
Der Lader.
Es kam von diesem gottverdammten Frontlader.
Dew stand im Schatten eines seiner riesigen Räder und fragte sich, was er tun sollte. Als Polizist wusste er ganz genau, was er tun musste … aber etwas hielt ihn zurück. Es machte ihn unsicher. Genug! Er begann die Leiter des Laders hinaufzuklettern, die Stufen kalt in seinen bloßen Händen. Die Leiter führte auf eine kleine Plattform neben der Tür. Dort kletterte er hinauf, während sich sein Magen umdrehte. Als er oben ankam, konnte er die Musik deutlich hören.
»Sollte Einer treffen Eine,
Watend durch den Bach,
Sollte Einer küssen Eine,
Schrie wohl Eine, ach?«
Das Ganze war verdammt noch mal verrückt.
Die Scheiben des Frontladers waren getönt. Mit der Taschenlampe in der Hand ging Dew zur Tür hinüber, griff nach dem Schloss und zog sie auf. Auf der Stelle verstummte die Musik. Der Führerstand war leer. Die Schlüssel steckten, aber das war auch alles. Die Anzeigen waren dunkel. Aber für einen kurzen Moment, als er die Tür geöffnet hatte, hatte er einen Geruch wahrgenommen … süß, süßer als süß, wie rosa Zuckerwatte auf dem Jahrmarkt.
Dann hatte er sich verzogen.
Dew stand da und lehnte sich in den Führerstand, unsicher, ob er die Musik je gehört hatte. Dann sah er zurück zum Büro. Er war nun auf gleicher Höhe und konnte sehen, wie sich Jerry und Woody unterhielten. Sie schienen nicht einmal in seine Richtung zu schauen.
Als er die Leiter hinunterstieg, konnte er hören, wie eine Tür zuschlug. Mist! Er kletterte den Rest hinunter und rannte an der Reihe Laster entlang. Es hätte jede einzelne Tür sein können. Er sah sich nach hinten und vorne um, konnte aber nichts entdecken.
Aber während er dort wartete, die Taschenlampe in der Hand, der Atem beschleunigt, wusste er, dass er nicht alleine war. Wer auch immer hier unten bei ihm war, war direkt hinter ihm oder hielt sich irgendwo hinter den Lastern oder in den Schatten versteckt. Die Stille wurde nicht durchbrochen. Ab und zu hörte er, wie etwas Matsch von einem der Fahrzeuge fiel, aber das war alles.
Sein Herz hämmerte in der Brust, seine Kiefer waren aufeinandergepresst. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er allein war, nicht nur hier unten auf diesem riesigen Parkplatz, sondern in den Hügeln rings um Superior Mining. Solch ein einsamer, entfernter Ort. Außerhalb der Funkreichweite. Er konnte den dreckigen Matsch unter seinen Stiefeln riechen, ebenso wie das Fett und Öl und die Dieselabgase der Maschinen.
Langsam wurde er wütend.
Wütend, weil er unruhig und ängstlich war und weil es ihm nicht gefiel, so zu empfinden. Es war eine grobe Beleidigung für alles, was er darstellte. Fast instinktiv griff seine Hand nach der 9mm Beretta und löste sie von seinem Gürtel. Die Waffe lag schwer in seiner Hand und füllte ihn mit Selbstvertrauen. Dew war nicht die Art Polizist, die ihre Pistole oft zog. Er war einer von der alten Schule, und man zog das Ding nicht, wenn man nicht vorhatte, es zu benutzen; etwas, was diese ganzen jungen Polizisten heutzutage nicht zu verstehen schienen.
Aber genau jetzt … als er fühlte, wie ihn der Unbekannte umkreiste … war er bereit, sie zu benutzen.
»OKAY!«, rief er und das Echo seiner Stimme erschreckte ihn. »ICH HABE