DIE MINE. Tim Curran
Читать онлайн книгу.Menschenfleisch es gewesen wäre. Die Abscheulichkeit lag darin begründet, dass er nicht hierher gehörte. Es war unnatürlich, möglicherweise sogar schlimmer als das – etwas Niedriges, Grobes und Bösartiges. Solche Gedanken hätten ihn gestern oder letzte Woche noch zum Lachen gebracht, jetzt lachte er nicht.
Er wusste, dass er nachsehen musste, wer den Motor des Lasters gestartet hatte.
Genauso wusste er, dass niemand in der Fahrerkabine sein würde, wenn er dort ankam. Absolut niemand. Denn hier wurde irgendein abgefucktes Spiel gespielt.
Was zum Teufel?
Zufällig sah er hoch zum Büro und konnte Jerry und Woody hinter dem Fenster sehen, wie sie winkten. Aus dem Sichtwinkel, den er hatte, war klar, dass sie nicht ihm zuwinkten.
Aber wem dann?
Dew sah sich um, aber da war niemand, natürlich nicht. Nur er und die aufgereihten Fahrzeuge und das nagende, grauenhafte Gefühl, dass er nicht allein war, dass noch jemand hier war, jemand, der gern grausame Spiele spielte.
Jerry und Woody winkten immer noch.
Entweder sehen sie etwas, dass du nicht sehen kannst, dachte Dew, oder sie werden dazu gezwungen.
Aber als er sein Motorola-Funk hervorzog, fiel ihm ein, dass es noch eine Alternative gab – sie waren gar nicht wirklich da. Diese Idee war zu verwirrend und er hatte keine Zeit, seine Gedanken zu entwirren.
»Jerry! Woody! Ich brauche euch hier unten! Sofort!«
Zuerst kam das Rauschen, gefolgt von demselben weinerlichen Kreischen, das Jerry gehört hatte. Dew verzog das Gesicht. Es stieg zu einer hohen, durchdringenden Note an, gleich einer Silbernadel, die dabei war, sein Trommelfell zu durchbohren.
Er dachte sich: Du solltest besser da hoch gehen. Während du hier unten Geistern nachgejagt bist, hätte ihnen alles Mögliche zustoßen können.
Richtig, und er würde zu ihnen zurückkehren, aber da war etwas anderes, was er zuerst tun musste. Seine Eingeweide wanden sich wie heiße, paarungswillige Würmer, als er auf den brummenden LKW zurannte. Es war hinten beim Frontlader. Als er dort endlich ankam, hämmerte sein Herz wild in der Brust und er hatte keinerlei Spucke mehr im Mund. Die Beretta in seiner Hand fühlte sich schwer an, und er fragte sich, ob er überhaupt noch genug Kraft hätte, sie zu heben, wenn es dazu kam.
Oh, du wirst sie schon heben können, glaub‘ mir, sagte ihm eine Stimme. Wenn es irgendetwas gibt, gegen das du sie heben kannst.
Es fiel ihm leicht, den richtigen Laster zu finden, denn seine Lichter waren eingeschaltet – Scheinwerfer wie Kabinenlichter. Es war ein anderer Laster, nicht ganz so groß wie der Frontlader. Dennoch musste er die Leiter erklimmen, um zum Führerhaus zu kommen. Ein Blick sagte ihm, dass es genauso leer war, wie er es sich gedachte hatte. Er zog an der Tür und sah sich um. Die Schlüssel steckten im Zündschloss, natürlich. Er lehnte sich hinüber und schaltete den Motor aus.
Im selben Augenblick kam ein knackendes Rauschen vom Funk. Alle diese Fahrzeuge hatten Funk. Das hatte nichts zu bedeuten.
Es knackte erneut.
Dew lehnte sich ins Führerhaus, seine Haut kribbelte, als ob sie gleich von seinen Knochen rutschen würde. Sein Gefühl sagte ihm, dass er verdammt noch mal da raus musste … aber seine morbide Neugier wollte wissen, was geschah, wenn er sich darauf einließ.
»Hier ist Nummer drei«, sagte eine Stimme im Funk. »Bitte antworten, Nummer zwölf.«
Natürlich war Nummer zwölf in großen schwarzen Buchstaben an der Tür angebracht. Was auch immer für ein Fahrzeug Nummer drei war, es funkte ihn an.
Wieder knackte es und rauschte. »Antworte, Nummer zwölf.« Die Stimme gehörte einem Mann, tief und rau, dafür aber vollkommen menschlich. »Du solltest besser antworten, Nummer zwölf. Deine Zeit läuft ab.«
Dew schnappte sich das Mikrofon. »Wer zur Hölle sind Sie?«, fragte er.
Mehr Knistern. »Das ist die große Frage, die eine, auf die es keine Antwort gibt. Das Problem ist, mein Freund, dass du hier wirklich in der Klemme steckst und wenn du das überleben willst, solltest du langsam anfangen, nachzudenken. Hier ist etwas, Dew. Etwas, das vielleicht lebendig ist oder vielleicht auch tot. Ich denke, dass es einer dieser Psychopathen ist, von denen man hört, so ein Schizo, ein Serienmörder. Die Art Monster, die es liebt, einen nach dem anderen zu töten. Trennt sie gern von den anderen, jagt ihnen Angst ein und dreht dann an der Schraube, bis sie es nicht mehr ertragen und dann … ja, dann kommt es aus der Dunkelheit und zeigt, was sich hinter der Maske verbirgt, was all das ist, vor dem du dich je gefürchtet hast, all die kriechenden, gelbäugigen Albträume aus deiner Kindheit – der Boogeyman und das Fremde, das atmende Ding in deinem Schrank und das Monster unter deinem Bett. Kurz bevor es zuschlägt, uuuuuh-wiiiih-uuuuh, erschreckt es sie dermaßen, dass ihnen das verdammte Herz stehen bleibt und …«
»WER ZUR HÖLLE SIND SIE?«, verlangte Dew zu wissen.
Für ein paar Sekunden hörte er nichts als Knistern und Knacken im Funk, nur dass es dieses Mal so wirkte, als folgte es einer Art Rhythmus. »Komm schon, Nummer zwölf. Wo wäre denn dabei der Spaß? Du bist ein Polizist, finde es heraus. Aber du beeilst dich besser damit, denn ich habe deine zwei Jungs im Visier und werde mich mit ihren Eingeweiden vollstopfen und auf ihren Lebern herumkauen, wenn du mich nicht aufhältst. Dann werde ich kommen, dich zu holen, so wie ich jeden in der Mine geholt habe.«
Dew versuchte Haltung zu bewahren. »Glauben Sie, es gibt nur uns drei? Versuchen Sie es noch mal. Wir haben eine Armee von Polizisten hinter uns, und sie kommen, Sie zu holen.«
Die Stimme kicherte nun wie ein Kind. »Nein, das werden sie nicht, Dew. Weißt du, warum? Weil deine Zeit und meine Zeit nicht real sind. Verstehst du? Du bist erst vor zehn Minuten hierhergekommen und in einer Stunde wirst du nicht einmal losgegangen sein. Wenn du erst tot bist, mein Freund, wird es gestern sein.«
Dew versuchte, das zu verstehen, aber es war zu verwirrend. »Warum hören Sie nicht einfach mit dem Versteckspiel auf und wir besprechen das von Mann zu Mann? Wie wäre es damit?«
»Nochmal, wo wäre der Spaß dabei? Wo die Herausforderung? Wo der Wettstreit der Willensstärke? Nein, ich glaube, das würde nicht funktionieren.« Für einen Moment war Stille, nur unterbrochen vom Summen der Stimme. »Du hast nicht viel Zeit. Ich bekomme mächtig Hunger, und wenn ich anfange, mich zu füllen, geht der Spaß erst richtig los. Was hältst du davon, Diddly-Dew mit Kuhscheiße am Schuh? Wie gefällt dir das? Dies ist mein Revier und meine Zeit und niemand kommt hier lebend raus …«
Dew zitterte.
Er zitterte von Kopf bis Fuß. Nie zuvor hatte er solche Angst gehabt, ein schierer Terror, der ihn vollkommen lähmte. Er hatte Angst, sich zu bewegen, und Angst, es nicht zu tun. Er spürte, wie sich Dinge im Dunkeln um ihn herum bewegten und musste den äußerst realen Drang, wie ein kleines Mädchen zu schreien, unterdrücken. Was hältst du davon, Diddly-Dew mit Kuhscheiße am Schuh? Das hatte die Stimme gesagt, aber es gab keine Möglichkeit, wie sie davon wissen konnte. Nicht von Diddly-Dew, wie ihn Dews Onkel Jake als Kind immer genannt hatte. Die Stimme konnte das nicht wissen, und sie konnte auch nichts von dem einen Mal wissen, als er bis zum Knöchel in einem Kuhfladen versunken war und wie Onkel Jake vor Lachen gebrüllt hatte. Ach du heilige Scheiße, wenn das nicht Diddly-Dew mit Kuhscheiße am Schuh ist? Die Stimme konnte davon nichts wissen. Niemand, der noch lebte, erinnerte sich daran, aber diese Stimme wusste es … wusste es …
Dew kletterte die Leiter des Kipplasters hinab.
Angst und Wut trieben ihn an. Sobald er wieder Boden unter den Füßen hatte, rannte er. Wenn das Nummer Zwölf war, dann würde Nummer Drei am anderen Ende der Reihe sein. Ja, er sah beim Rennen, dass sie alle nach ihrer Nummer aufgereiht waren. Und dort war Nummer Drei. Als er darauf zurannte, wurden die Scheinwerfer eingeschaltet und blendeten ihn kurz. Vorn herum und dann zur Leiter. Mit der Waffe in der Hand kletterte er hinauf, so verängstigt, wie er es noch nie gewesen war, aber auch