Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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der Tod konnte diesen Frevel sühnen. Aber Alexander wagte nicht ein solches Urteil zu sprechen. Das Unheilverkündende des Ereignisses suchte er zu verwischen und lächerlich zu machen, er wollte ihm den Schein der Wichtigkeit rauben und gab den Befehl, Arrhidäos wie einen Sklaven auszupeitschen. Arrhidäos nötigte den Vollziehern der Strafe Bewunderung ab durch die heldenhafte Art, wie er die Schmerzen ertrug. Während seine Haut von den Geiselhieben zerrissen wurde, drang kein Laut aus den festverpreßten Lippen, und der Ausdruck seiner Augen flößte Schrecken ein: es war die Begeisterung des Wahnsinns darin, ein schwüles, fanatisches, tolles Feuer des Wunsches. Perdikkas, der zugegen war, ließ die Folter beenden. In seinem Erbarmen um den Bastard Philipps von Makedonien lag ein letzter Funke rührender Anhänglichkeit an den früheren Herrn.

      Mit wundervollen Tagen war der Frühling eingebrochen. Alles stand in Blüte. Die Gärten waren mit rotem Mohn bedeckt, an den Mauern klomm die blaue Winde. Die Frauen trugen kupferne Gefäße vollgepackt mit Rosen in die Tempelvorhallen. Jeder Tag war ein ununterbrochenes Fest. Alle wollten die Zeit der Freude nutzen, die ihnen Babylon noch gab, denn nach Hephästions Leichenfeier sollte der Aufbruch des Heeres stattfinden. Das Blut in allen Adern brannte von Begierden, in blindem Taumel durchstürmten sie die Stunden, ungern überließen sie sich dem Schlaf, von Ausschweifungen erschöpft, kamen sie zu den militärischen Übungen. Sie schauderten im stillen vor den kommenden Entbehrungen der Kriegszüge und empfanden eher Befriedigung denn Sorge, als sich die Nachricht verbreitete, Alexander sei erkrankt, er habe sich bei einem nächtlichen Bad erkältet.

      Am Tage der Leichenfeier waren die Straßen in der Umgebung des Sonnentors von dichten Menschenmassen belagert. Viele hatten sich seit der vorhergehenden Nacht auf den Zinnen und Dächern der Nähe niedergelassen. Die von den Frühjahrswassern hochgeschwollnen Kanäle wimmelten von Fahrzeugen aller Art. Das sonore Rauschen der zahllosen Stimmen klang, als ob gewaltige Metallsaiten von einem Ende des Horizonts zum andern ausgespannt seien und der Wind spiele in ihnen mit mächtiger Hand. Das Geschmeide der Männer und Weiber blitzte in der scheidenden Sonne, die Metallhelme der Söldner sahen aus wie Kristalle, und ihre Schuppenpanzer schimmerten silbern und golden.

      Ein Murmeln des Erstaunens erhob sich in der Ferne, kam näher und schwoll an wie ein Gesang, als der Wagen nahte, der den Leichnam enthielt. Er hatte vier Deichseln, an jeder waren vier Joche, und vierundsechzig Maultiere zogen ihn, jedes mit einem vergoldeten Kranz geschmückt, an jedem Backen eine goldene Schelle, und um den Hals eine Kette von Halbedelsteinen. Goldene Löwen standen am Eingang des Wagens um den Katafalk und schauten mit majestätischer Kopfbewegung auf den Sarg zurück. Der gewölbte Baldachin wurde von silbernen Säulen getragen, zwischen denen ein goldenes Netz mit fingerdicken Fäden lief.

      Dem Zug ritt Perdikkas voran. Sein Gesicht zeigte eine finstere Versonnenheit. Er fürchtete nicht mehr die Entdeckung seiner Tat. Er wußte, daß der Dampf der Lüste Babylons die Sinne jener mitschuldigen Söldner in eine Raserei versetzt hatte, in der sie ihr ganzes früheres Leben vergaßen; mit teuflischer Berechnung hatte er ihre Quartiere rings um den Tempelhain der schauerlichen Astarte verlegt. Das Geschehene glich einem Traum; Gebeine sind Gebeine; wer konnte einen verbrannten Körper mit Namen nennen?

      Doch die Lüge an seinem Herrn brannte wie Feuer. Was er vollbracht, zeigte ihm die Zustände dieser Welt in absonderlicher Schalheit, ernüchterte seinen Geist, verhärtete sein Herz.

      Fanfaren meldeten die Ankunft Alexanders. Wenn der erste Stern am verdunkelten Himmel aufleuchtete, sollte der Fackelbrand geworfen werden. Aber noch immer schwammen rosige Wölkchen über die graublaue Wölbung, wurden wie von unsichtbaren Armen höher gehoben, um sich aufzulösen im rosigen Licht. Aus der Ferne schallte das dröhnende Gebrüll der Stiere, die zum Blutopfer bestimmt waren; bisweilen schrieen sie im Chor, es klang wie Meeresbrandung.

      Dem Rat der Ärzte zuwider hatte Alexander den Palast verlassen. Es fror ihn ein wenig, und er verlangte einen wärmeren Mantel. Dann schritt er gegen das Eingangstor des gigantischen Scheiterhaufenbaues.

      Der Unterbau aus Backsteinen enthielt sechsunddreißig Gemächer, die mit wohlriechenden Kräutern, mit Weihrauchwerk, Sandelholz, Granatholz oder Aloe gefüllt waren, lauter leichtentzündlichen Stoffen. Auf dieser Plattform erhoben sich bis zur Höhe von hundertundfünfzig Ellen fünf würfelartige Stockwerke, in Terrassenform zurückweichend, aus Palmstämmen erbaut. Jedes Stockwerk war mit Bildnereien verziert und leuchtend bunten Draperien verkleidet. Zu unterst waren zweihundertundvierzig vergoldete Schiffsschnäbel angebracht, sechzig auf jeder Seite, und auf ihren Ruderbänken kniete je ein Bogenschütze und stand ein geharnischter Reiter, ganz aus Silber, fünf Ellen hoch. Die Zwischenräume waren mit zottigen Purpurvorhängen bedeckt. Das zweite Stockwerk war mit lauter langen goldenen Fackeln geschmückt, am Handgriff hingen goldne Kränze, und an Stelle der Flamme senkte sich mit ausgebreiteten Flügeln ein goldener Adler gegen einen Drachen herab, der den Stiel umklammerte. Der dritte Umkreis war mit gestickten Geweben verhängt, die einen Fries von Jagden bildeten, der vierte zeigte einen Kentaurenkampf, der fünfte trug eine sich fünfzigmal wiederholende Gruppe: ein Löwe im Kampf mit einem Stier.

      Als der Sarg mit der Leiche in das Innere des Gebäudes gebracht war, ließ sich Alexander eine Fackel reichen und ging hinein. Eine jähe Stille umfing ihn. Von oben durch die Fugen zwischen dem Gebälk tropfte rotes Sonnenlicht herab. Er wandte sich zu der hölzernen Treppe, die emporführte, da sah er eine menschliche Gestalt, aufrecht an einem Pfosten lehnend. Ein drückendes Gefühl der Unentrinnbarkeit umfing Alexander wie Dunst, als er Arrhidäos erkannte.

      »Verzeihe meine Gegenwart, Alexander,« flüsterte Arrhidäos, »aber mir ist wohl in Gräbern. Ich liebe die Toten.«

      Alexander schritt vorbei und erwiderte nichts. Er stieg einige Stufen aufwärts, dann wandte er sich um. »Sind denn die Wunden schon geheilt, die du von der Peitsche hast?« fragte er.

      Arrhidäos seufzte. »Diese Wunden sind Wunden des Fleisches, sie sind leichter zu ertragen als die deinigen, Alexander,« entgegnete er.

      Alexander starrte ihn an.

      »Ich kenne deine Qual, Alexander,« fuhr Arrhidäos mit gedämpfter Stimme fort.

      Wieder wandte sich Alexander ab, wieder schritt er einige Stufen empor, wieder kehrte er sich um. Arrhidäos war ihm gefolgt.

      »Wie einsam ist es hier,« sagte Arrhidäos, noch immer schüchtern und demütig. »Ringsum ist alles dem Tod verfallen. Wunderbar ist es zu leben.«

      Alexander sah in dies Gesicht, das zugleich knabenhaft und greisenhaft war, in diese hagern und doch verschwommenen Züge, in dieses Auge, halb sanft und zärtlich, halb verzückt und ekstatisch, und er glaubte, den Affen der Trauer, den Affen der Würde, den Affen der Weisheit zu sehen. Etwas zog ihm das Herz zusammen.

      »Schon lange hat es mich gedrängt, mit dir zu sprechen,« begann Arrhidäos von neuem, und der Klang seiner Stimme war weiblich schmeichelnd. »Ich bin übers Meer gefahren, habe keine Demütigung gescheut, die Not hat mich nicht entmutigt, mein Inneres hat nach dir verlangt. Du hast mich beleidigt, geschlagen, erniedrigt, und ich bin ein Mensch.«

      »Beredt bist du,« höhnte Alexander, »du bist beredter als ein Tafelschwätzer. Schwerter sind nichts gegen deine Zunge.«

      »Ich kenne deine Qual, Alexander; ich kenne nicht deine Schuld, aber ich kenne deine Qual.«

      Sie standen auf der zweiten Plattform, die mit makedonischen Waffen bedeckt war. Ein säuselnder Wind blies in die Flamme der Fackel, die Alexander hielt.

      »Mit deiner Fackel wirst du den Brand entfachen,« sagte Arrhidäos klagenden Tons, »was du berührst, muß zu Asche werden. Das Lebendige ist dir nichts, und was sind dir die Toten? Tausende unseres Volkes sind verblutet und keiner weiß, wo sie ruhen. Warum solches Gepränge um einen einzelnen Mann? Was liegt dir an ihm? was liegt dir am Einzelnen? Willst du dein vergeßliches Herz aufrütteln? O sprich wahr, Mund! und wenn dich der Tod dafür schließen müßte.«

      Der Zorn regte sich in Alexander, lähmte ihm aber wie nie zuvor den Arm. »Was heftest du dich an mich, was folgst du mir, drängst dich an mich?« grollte er.

      Sie stiegen die vierte Treppe empor.


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