Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann
Читать онлайн книгу.wagte nicht vorwärts zu gehen, und wagte nicht das Zimmer zu verlassen.
Da kehrte ihm Alexander mit jäher Wendung das Gesicht zu und heftete einen rätselhaften flammenden Blick auf ihn. Langsam zog er seinen Siegelring vom Daumen und reichte ihn Perdikkas mit weitausgestrecktem Arm.
Über und über erbebend, nahm Perdikkas den Ring. Das war mehr, als er erwartet hatte. Die Stirn des Mannes zitterte, wie das Leder eines Schildes zittert, wenn ihn der sausende Pfeil durchbohrt. Stumm kniete er an dem Lager nieder, um den Saum der Byssosdecke zu küssen, die Alexanders Körper umhüllte, stumm wollte er sich hierauf entfernen.
Alexander schnellte empor. »Perdikkas!« schrie er.
Bestürzt wandte sich Perdikkas um.
»Du denkst also wirklich, daß ich sterben werde?« fragte Alexander mit einer hohlen, heiseren, angstgepreßten Stimme.
Perdikkas machte eine beschwörende Bewegung.
»Warum hast du dann den Ring genommen?« fragte Alexander weiter, indem er sich höher aufrichtete und die Haare zurückschüttelte wie ein herannahender Löwe.
Perdikkas schwieg.
»Ich bin zweiunddreißig Jahre alt,« fuhr Alexander fort, und sein Gesicht verzerrte sich medusenhaft, »ist es da schon Zeit zu sterben? Wie alt bist du? vierundsechzig, also doppelt so viel, denkst du etwa daran zu sterben? Riecht ihr denn schon das Aas, ihr makedonischen Geier, geht es euch nicht schnell genug? Wollt ihr den Stuhl zerbrechen, auf dem ich sitze? Hab ich euch das Haus gebaut und das Bett gerichtet und verliert ihr nun die Geduld zu warten, bis der Baumeister seiner Wege geht? Alexander, Alexander, verlassenster Mensch auf Erden!« Keuchend, aufstöhnend, fiel er aufs Lager zurück und bedeckte das Gesicht mit den Händen.
Perdikkas schwieg.
Da hob sich Alexanders Brust, der Leib bäumte sich, wie der Wüstenglutwind kam das Fieber. Perdikkas schrie die Wachen herein. Diese holten die Ärzte, und in jedem Gesicht lag, klar bis zur Schamlosigkeit, die Erwartung des Todes. Alle Dinge sprachen vom Tod. Aufgereckt schritt er, der königliche Tod, durch die Palasthallen und Höfe, und die weitgebauschte Schleppe seines Mantels schleifte lautlos über die Marmorfließen. Man sah schwarze Vögel aus dem Schoß feurig geränderter Wolken sinken, und sie flogen ratlos hin und her, als ob sie eine Zuflucht suchten. Es wandte sich die Zeit zurück, ja, sie stand stille, um ihre Toten noch einmal zu überzählen. Das Bild der Sonne zeigte einen Zug der Verwesung. Es erhoben sich die Schatten aller Junggestorbenen, an denen sich das Schicksal nicht so erfüllt hatte, wie ihr fromm stürmendes Herz gewollt. Kinder spielten arglos in einer Straße, wo man einen Mörder verfolgte. Ein Schleier und Druck von Müdigkeit breitete sich über die Länder.
Fünf Stunden lang lag Alexander bewußtlos. Als er erwachte, riß er die nassen Tücher ab, mit denen seine Stirn umwunden war. »Wo ist Perdikkas?« fragte er sogleich. Niemand hatte Perdikkas gesehen. War es nur ein Schrecktraum? fuhr es Alexander durch den Kopf, und er betrachtete seine Hand. Der Ring war nicht mehr da. »Wo ist Perdikkas?« wiederholte er angstvoll. Er erhob sich, lief zu den Türen und rief nach Perdikkas. Kämmerer, Schreiber und Aufseher rannten herzu. Boten verließen den Palast in größter Eile. Indessen befahl Alexander, daß man ihn ankleide. Die Diener zögerten erstaunt. Entfesselt griff er nach dem Schwert, um die Ungehorsamen niederzustechen. Sie brachten das persische Kleid, er wollte das makedonische. Die Boten kamen mit der Nachricht zurück, Perdikkas sei nicht zu finden. »Verraten! verraten!« stöhnte Alexander. Seine Sinne umdunkelten sich. Fliegende Hitze lähmte jede Bewegung. Perdikkas ist zum Gelage des Larissäers Medios, hieß es plötzlich. »Zu Medios! zu Medios!« lallte Alexander. Er wollte fort, nach wenigen Schritten wankte er und drohte zu fallen. Man legte ihn auf ein Tragbett, und so verließ er den Palast.
Dieser Medios war erst vor einigen Tagen in Babylon angekommen. Sein Reichtum, sein Geist und seine Heiterkeit hatten ihn schnell zum Liebling der Makedonier gemacht. Er wohnte in einem palastähnlichen Kaufmannshaus am Sternenkanal. Eine zahlreiche Gesellschaft hatte sich bei ihm versammelt. Sie waren nicht in der glücklichsten Laune. Stundenlang warteten sie schon auf Perdikkas, um zu erfahren, was er mit Alexander gesprochen und wie seine Bitte aufgenommen worden. Eumenes und Seleukos hatten sie sehr beunruhigt.
Es war schon Abend, da kam ein Mann, verlangte Medios zu sprechen, wurde in den Saal geführt und übergab dem Larissäer einen versiegelten Brief. Medios las, die Umsitzenden verfolgten gespannt das Hin-und Herlaufen seiner Blicke auf den Zeilen. Sie sahen ihn erbleichen, er biß die Zähne in die Lippen, schlug die Hand vor die Stirn, ballte den Papyros zusammen und warf ihn in die Flamme des Feuerbeckens.
»Was ist es? was ist geschehen? sprich, Medios!« so riefen die Stimmen durcheinander. Die Männer sprangen auf, Verwirrung und Ängstlichkeit malte sich auf den Gesichtern.
Eumenes war zu Medios getreten. »Perdikkas schreibt dir?« fragte er ruhig und ernst, mit einer Miene, als sei ihm alles, was geschah, längst durch Ahnung vertraut. Medios erwiderte nichts. Sein schönes Gesicht, dem man eine seltsame Ähnlichkeit mit dem des großen Perikles zuerkannte, wurde immer fahler. Auf einmal stürzten die Sklaven aufgeregt herein und riefen: »Der König kommt!«
Die Gäste drängten zur Türe. In der Erregung fielen Becher zu Boden und wurden Fackeln ausgelöscht. Als Alexander hereingetragen wurde, konnten viele Makedonier ihrer Erschütterung nicht Herr werden. Sie drückten sich gegen die Wände und lehnten die Stirn an die Mauer. Eine unendliche, unbestimmbare, selbstsüchtige Angst schnürte ihnen das Herz zusammen.
Medios ging Alexander begrüßend entgegen. Er hob die Hände ein wenig empor. Man sah an gewissen Zuckungen des Körpers, daß Alexander Schmerzen litt. Sein Gesicht war bleigrau und überzog sich bisweilen mit hektischer Röte. Seine Augen forschten in dem Gedränge der makedonischen Edlen, liefen von Gesicht zu Gesicht und fanden dasjenige nicht, das sie suchten.
»Wo ist Perdikkas?« fragte er mit erstickter Stimme.
Medios senkte den Kopf, er zitterte an Armen und Beinen.
»Wo? wo?« drängte Alexander und richtete sich mühselig auf.
Weinend stürzte Medios auf die Knie und legte den Kopf auf den Rand des Tragbettes. Ein banges, furchtbares Schweigen entstand.
»Sprich, Verdammter!« brach Alexander aus und packte Medios mit beiden Händen in den Haaren.
Medios erhob sich. Er war wachsgelb. »Perdikkas ist nach Borsippa geflohen,« flüsterte er.
»Nach Borsippa?« Alexander beugte sich gierig vor, um besser zu hören.
»Er ist zu den Chaldäern nach Borsippa gegangen, mein Alexander,« sagte Medios, die Finger an die Wangen gelegt und stumpf vor sich hinblickend. »Er erwartet dort –«
Und alle wußten, was Perdikkas hinter den siebenfachen Mauern von Borsippa erwartete. Nur Alexander schien es noch nicht zu begreifen. Er schüttelte verwundert und besinnend den Kopf. »Was erwartet er?« fragte er. »Wann, glaubst du, daß er zurückkehren wird?«
Jetzt verhüllten Eumenes und Demetrios und Seleukos und Ismenias und noch einige andere das Haupt. Da hauchte Alexander ein langes, langsames, herzzerreißendes Ah! aus der Brust und dann brach er in ein entsetzliches Gelächter aus. Er schüttelte sich hastig, raffte die Decken über den Knieen zusammen, versuchte mehrmals zu reden, ohne daß es gelang, und stieß endlich hervor: »Nach Borsippa! Auf nach Borsippa!«
Eine träge, traurige Bewegung entstand. Man trug Alexander hinaus. Alle folgten, stiegen die Terrasse hinab zum Ufer des Kanals, an dem die Barken bereit lagen. Alexander wurde ins Boot geschafft, Medios, Eumenes und Peithon folgten. Die am Ufer Zurückbleibenden nahmen ihre Helme ab und grüßten die Fortziehenden in tiefem Schweigen.
Es war eine Sternennacht. Die Sterne lagen fast so rein in der schwarzen Fläche des Kanals wie sie rein am Himmel blinkten. Melodisch tönte das von den Ruderstangen aufbewegte Wasser. Die dunklen Häuser glitten vorüber. Die Kronen von Palmen und Pinien wurden wie finstre Gefieder riesengroßer Vögel gegen den lichtschimmernden Himmel gemalt. Bisweilen senkte der Schein der Fackeln, die in jedem Boot brannten,