Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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Händen in die Luft. Sein Gesicht war blaß wie Schwefel. Die Augen loderten so, daß man glauben konnte, sie würden in kurzer Frist den ganzen Körper aufzehren und verbrennen. Da stürzten die Makedonier auf ihn zu. Sie stießen tierische Schreie aus. War es Liebe und Schmerz? oder Haß und Wut? Wurden sie der Demütigungen bewußt, die sie durch ihn erlitten? dachten sie an die hingemetzelten Freunde, an das beste Herzblut Makedoniens, das er vergossen? oder an das Leben voll phantastischer Pracht und abenteuerlicher Größe, das er ihnen eröffnet? Glaubten sie den Augenblick gekommen, wo sie sich rächen konnten dafür, daß er sie an Asien verraten hatte? Ertrugen sie es nicht, ihn in seiner Schwäche zu sehen, ihn, Alexander, den sie für einen Sohn Gottes gehalten? Überwältigte sie die Furcht vor seinem Ende, der Zorn, daß er sterben wollte, um sie in Babylon sich selbst zu überlassen?

      Sie waren nicht mehr Menschen. Sie stürzten auf ihn los. Einige schlangen die Arme um ihn, als ob sie ihn küssen wollten. Aber sie preßten ihn an sich, daß ihm der Atem verging. Sie kamen mit ihm zu Fall. Andere, von den wild Nachdrängenden geschoben, traten auf seinen Leib, auf seine Brust. Immer mehr entfesselt packten sie ihn bei den Armen, bei den Schultern, bei den Haaren, schon blutete er aus hundert Wunden, als das Wehgeheul eines aus dem Taumel Erwachenden sie wieder zur Besinnung brachte.

      Eine Totenstille entstand. Langsam spaltete sich die Masse, öffnete sich der Kreis.

      Da lag Alexander. Da lag er, da lag der Herr der Welt, da lag er …

      Dreizehntes Kapitel.

       Babylon

       Inhaltsverzeichnis

      Durch die regnichte Finsternis der Rabenstraße, ganz im Westen der rechtsufrigen Stadt, ging langsam Arrhidäos und wandte sich nach manchem unschlüssigen Stillstehen in die Richtung gegen den Euphrat.

      Kein einziges Haus war beleuchtet, aus keinem Tor schimmerte Licht. Sonst waren auch in tiefer Nacht hier immer viele Leute zu treffen, heute war kein Mensch zu sehen.

      Nach einer Weile hörte er durcheinanderredende Stimmen. Eine lärmende Schar näherte sich auf der andern Seite der breiten Straße. Es waren böotische Söldner, sie rannten wie gejagt, ihre Schuhe klapperten auf dem Pflaster, ihre Schwerter klirrten beim Lauf gegen die Beinschienen.

      »Rhibton hat sein Pferd zuschanden geritten,« sagte einer von ihnen keuchend.

      »Wann soll es gewesen sein?« ein anderer.

      »Was soll nun werden!« rief ein dritter.

      Und vorüber waren sie wie der Sturmwind.

      Arrhidäos blickte ihnen nach. Er schüttelte den Kopf. Er glaubte es nicht, daß Alexander gestorben sei. Mißtrauisch hatte er die allgemeine Erregung der letzten Tage an sich vorüber gehen lassen. Er hielt alles für eine geheimnisvolle Finte. Vielleicht wollte Alexander die Treue seiner Freunde und Soldaten auf die Probe stellen oder das Maß ihrer Trauer kennen lernen.

      Und doch, wenn es wahr wäre! Arrhidäos blieb stehen und griff mit allen zehn Fingern in sein lang herabhängendes Haar. Wenn es wahr wäre! Dann konnte es vielleicht geschehen, daß das Unaussprechliche, das Unausträumbare Wort und Form gewänne. Vor dieser Schwelle standen die Gedanken still. Eine rätselhafte Bangigkeit kam über Arrhidäos. Zweifel und Zuversicht bekämpften sich in seinem Innern und chaotische Visionen lösten sich los, aber wie sonderbar, daß er sich in ihnen nur als Verfolgten und Beleidigten sah und daß er das Bewußtsein der Kraft und des Genius immer als Wunde in der Brust trug.

      Er ging über die Euphratbrücke und durch die Königsstraße. Beim großen Sonnenobelisk begegneten ihm königliche Edelknaben, etwa zwanzig oder fünfundzwanzig. Stumm, langsam, dumpf, barhäuptig, gespensterhaft wandelten sie vorbei. Ein paar hundert Schritte, und die Mauern des Palastes tauchten auf. Arrhidäos sah nichts als eine schwarze Masse zahlloser Menschen. Vollständige Dunkelheit herrschte, keine Fackel, kein Flammenhaufen brannte. Nur ostwärts am Kanal loderten ein paar trübe Lichter, die den herunterrieselnden Regen aufblitzen ließen.

      Unbekümmert drängte sich Arrhidäos durch die Haufen der Söldner. Ihre bleierne Ruhe hatte etwas Herzzusammenschnürendes. Viele hatten die Lanze aufgestützt und den Kopf zwischen die Arme gewühlt. Viele kauerten auf der Erde und achteten der Regennässe nicht.

      Nach langem Bemühen kam Arrhidäos in den ersten Palasthof. Hier standen makedonische Hauptleute in lautlosem Schweigen. Hallen, Gänge, Vorgemächer und Treppen, alles war voll von Männern, alle unbeweglich und schweigend. So wirkte das Ereignis auf die Menschen, daß ihr Gemüt nicht fähig war, es auf einmal zu erfassen; sie mußten Gedanken, Ahnungen, Erinnerungen und die dumpfe Tiernatur zu Hilfe nehmen, um es ganz zu begreifen.

      Da er eine Zeitlang weder vorwärts noch zurückgehen konnte, mußte Arrhidäos, eingekeilt in die Masse, der seltsamen Stille lauschen, die eine Art Schwirren in der Luft hervorbrachte. Der warme Atem der hinter ihm Stehenden berührte seinen Nacken.

      In diesem Augenblick begann er, durch irgend etwas Ungreifbares überzeugt, an Alexanders Tod zu glauben. Er lächelte wild in sich hinein. Zugleich erhob sich sein Begehren wie auf Flügeln, und der inbrünstige Glaube an sich selbst trieb Tränen der Beseligung in seine Augen. Aber wohin nun? Wem sich zeigen? wem eröffnen? Schweigen! schweigen und warten! Er, der jedes fremde Verdienst auf den Nacken des Zufalls lud, erwartete alles eigene Glück von einem rasenden Ungefähr.

      Nun ergriff ihn eine abergläubische Furcht vor dem Gedanken, Alexanders Leiche sehen zu müssen. Es gelang ihm, einen mit Teppichen verhängten Seitenausgang zu erreichen, und er kam zu einer hölzernen Treppe. Auf allen vieren, mit den Beinen voraus, kroch er Stufe um Stufe hinab und befand sich alsbald in einem schmalen Gang, der in die Nebenhöfe und in die Gärten führte.

      Es war schon Tag, trüber, regnerischer Tag. Unter einem Säulenbogen legte er sich ermattet auf eine Bank und schlief ein. Als er erwachte, begann er sein zweckloses, aber von einer tiefen Erregung beschwingtes Herumstreifen aufs neue. Park und Höfe, alles war voll Soldaten. Er wollte in den Palast zurückkehren, aber die Wachen stießen ihn beiseite. Es durfte niemand mehr hinein. Eine Abteilung der Edelscharen hatte den Auftrag, alle andern Söldner aus den Vorhöfen zu vertreiben. Die Führer des Fußvolks traten den Edelscharen entgegen und hielten ihnen in leidenschaftlichen Worten ihre überflüssige Feindseligkeit vor. Die Rundschildner bereiteten sich zum Kampf.

      »Alles Blut auf Perdikkas!« schrie eine Stimme.

      Es tönten kriegerische Gesänge. Die neu anmarschierenden Truppen waren bis an die Zähne bewaffnet.

      Halb erschreckt, halb entflammt, nicht wissend, wohin er sich wenden sollte, wanderte Arrhidäos am hohen Kanalufer entlang, kehrte wieder um und ging, ohne es zu bemerken, denselben Weg drei-oder viermal. Ein Reitertrupp sprengte vorüber. Vor dem Nergaltempel standen vornehme junge Babylonier und flüsterten. Aus ihrem friedlichen Müßiggang aufgeschreckt, beobachteten sie mit Spannung das unheimliche Treiben in der Stadt. Die Häuser waren verschlossen und verrammelt. Ein Wagen, mit Frauen und Kindern beladen, von langgehörnten Ochsen gezogen, fuhr gegen Borsippa. Am jenseitigen Ufer des Kanals tauchte ein griechischer Soldat auf und rief irgend jemandem zu, daß im Susaviertel eine Feuersbrunst ausgebrochen sei, chorasmische Söldner hätten den Brand gelegt.

      In seiner schmerzlichen, fieberhaften Träumerei gelangte Arrhidäos zu einem weitgestreckten Gebäude, aus dessen Innern ein schwermütiger Gesang von Frauenstimmen erschallte; es war eine Teppichfabrik, die Sklavinnen sangen zur Webearbeit. Unten im Wasser wuschen Frauen lange weiße Gewänder.

      Arrhidäos lehnte sich an den Sockel einer verwitterten Statue. Unbesiegbare Trauer nahm von ihm Besitz, uferlose Betrübnis. Wohin nun mit den Taten, die in mir ruhen? dachte er. Allzugroß erschien ihm die Welt, allzuviele Wege hatte sie. Welchen wählen? Er wäre fähig gewesen, sein Leben zu opfern, aber wann, bei welcher Gelegenheit? Sollte er durch die Stadt rennen, um sich anzupreisen? Er hatte keinen Freund, keinen Gefährten, keinen Anhänger.

      Der Abend senkte sich herab. Südwind, Meereswind hatte den Himmel reingefegt, und der


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