Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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spielen.

      Es klang wie die Stimme eines Vogels, leise und dünn, zikadenhaft vibrierend. Dann schwollen die Töne an und gewannen an Tiefe und Umfang, und es war, als schritte ein Sänger langsam von Wolkenhöhen herab, Stufe für Stufe, und nähme den Schmerz der Erde in sich auf in dem Maß, wie er sich der Erde näherte. Schwer und lallend klang das dunkle Lied, manchmal trillernd wie das erste Lachen eines Kindes, aber bald deckten Wehmut und Trauer alles wieder zu. Aus keinem Menschenmund war je ein so kummervoller Ton gekommen.

      Ein echter Künstler spielte das.

      Als Arrhidäos aufgehört hatte, blieb er regungslos in der tiefen Stille sitzen. Ein niegekanntes Gefühl erwachte in ihm und rang sich aus dem widerwilligen Innern los: Bewunderung für Alexander. Gereinigt und feierlich gestimmt durch die Einsamkeit und die Hingebung seiner Seele an die Musik, ahnte er jetzt, welch ein Mensch mit Alexander hingegangen sei. Gleich darauf schlug er erschrocken die Hände zusammen und starrte auf einen einzigen Punkt in der Luft, als ob er dort das Schauspiel seines eigenen Untergangs erblickte.

       Der Aufruhr um den Junker Ernst (Zeit der Hexenprozesse)

       Inhaltsverzeichnis

       I

       II

       III

       IV

       V

       VI

       VII

       VIII

       IX

       X

       XI

       XII

       XIII

       XIV

       XV

      I

       Inhaltsverzeichnis

      An einem Aprilnachmittag im dritten Jahr seiner Regierung erhielt der Bischof Philipp Adolph von Würzburg durch einen reitenden Boten die Meldung, daß seine Schwägerin, die Freifrau Theodata von Ehrenberg, am Ostersonntag auf Schloß Ehrenberg eingetroffen sei.

      Eine unerwartete Botschaft; die Freifrau war acht Jahre lang beinahe verschollen gewesen. Ihr Gemahl, der Bruder des Bischofs, Chambellan gentilhomme am kaiserlichen Hof in Prag, war im Todesjahr des Kaisers Mathias beim Zweikampf mit einem Baron Wrbna verblieben und hatte nichts hinterlassen als eine Börse mit Dukaten, die man in seiner Tasche fand, außerdem Schulden über Schulden, zu deren Tilgung Philipp Adolph, damals noch Abt zu Rimpar und Domkapitular von Würzburg, angerufen wurde. Er wollte aber nicht zahlen; sein Geiz war noch größer als der Zorn gegen die leichtfertige Lebensführung des Bruders und der Schwägerin.

      Die Freifrau, die sich nicht anders zu helfen wußte, schickte ihren sechsjährigen Sohn Ernst mit seiner Aja, der tauben Lenette, und dem Magister Onno Molitor auf den fränkischen Stammsitz der Familie, das am Rande des Spessarts gelegene Ehrenberger Schloß, und empfahl ihn der Obsorge des reichen Prälaten und leiblichen Oheims. Der zog saure Mienen, mußte sich aber trotz seines Ärgers in das Übel finden, da er es für seine Christenpflicht erkannte, sich des verlassenen Neffen anzunehmen. Das geschah in der Art, daß er dem Wirtschafter Wallork, dem schon seit dreißig Jahren die Verwaltung des Schlosses samt Pflege des Viehs und Einbringung der Zehnten oblag, mageres Vieh und einer notleidenden Bauernschaft mühselig erpreßter Zehnter übrigens, daß er dem also monatlich fünf Gulden rheinisch aus seiner Schatulle überweisen und dem Magister Molitor, der ihm an jedem Neujahrstag über die Fortschritte des Neffen, namentlich im Hinblick auf seine Erziehung zum rechtgläubigen Christen mündlichen Bericht erstatten mußte, fünfzehn Gulden rheinisch als jährlichen Gehalt durch den Bruder Säckelmeister auszahlen ließ. Auf Ehrenberg selbst hatte er den Fuß noch nicht gesetzt in all den Jahren; seinen Neffen gesehen oder sich sonstwie seiner angenommen hatte er auch nicht.

      Von der Freifrau war ihm in der Folge nur erzählt worden, daß sie sich abenteuernd in der Welt herumtreibe. Ob es damit seine Richtigkeit hatte oder nicht, unterließ er zu erforschen, schon deswegen, weil er ihren Namen am liebsten nicht hörte. Auch den Leuten in Ehrenberg wurden nur unsichere Gerüchte über sie zugetragen, und das Auffallendste war, daß sie sich um ihren leiblichen Sohn nicht mit einem Atemzug und Federstrich kümmerte, so daß es fraglich schien, ob sie überhaupt wußte, daß er noch am Leben war. Seit ungefähr drei Jahren waren auch die jeweiligen Nachrichten über sie verstummt, und der Bischof hielt dafür, nicht ohne innere Erleichterung, daß sie in der Fremde das Zeitliche gesegnet habe.

      Und nun war sie wieder da.

       Inhaltsverzeichnis

      Damit hatte es nicht sein Bewenden, daß sie dem Bischof ihre Ankunft meldete. Das hätte ihn nicht um die Ruhe gebracht, deren er zur Ausübung seines hohen Amtes und zur Auffindung, Geständigmachung und Aburteilung der Ketzer, Hexen und Zauberer so dringend bedurfte; schoß doch das grausame Unheil mit jeder Woche üppiger aus dem fluchbeladenen Boden des Landes, so daß der strafende und rettende Arm schier erlahmen wollte. Was geht ihn die Frau an, Witwe eines langverstorbenen Lüderjahns von Bruder? Mag sie kommen; mag sie wieder verschwinden; was geht ihn die an? Doch kaum vierundzwanzig Stunden später erschien abermals ein Bote, brachte abermals ein Sendschreiben, eigenhändig und dringlich von der Freifrau abgefaßt, Seine Gnaden der Herr Schwager möge dem Überreicher des Briefes fünfzig Dukaten mitgeben, zu Ehrenberg fehle es am Nötigsten, es seien unaufschiebbare Zahlungen zu leisten, wie zum Beispiel an den Fuhrknecht, der die Freifrau von Kassel bis Ehrenberg befördert habe und nun, da er auf die Entlohnung warten müsse, im Schloßhof greulich randaliere, sodann an den Medikus, den sie wegen einer Magenübelkeit aus Rimpar habe kommen lassen; bei den Leuten im Schloß aber herrsche solche Armut, daß ihr niemand aus der schlimmen Lage helfen könne.

      Die kleinen hellen unruhigen Augen des Bischofs röteten sich an den Rändern, als er die Epistel gelesen hatte. Entrüstet warf er sie auf den Tisch zwischen die Arme Michel Baumgartens, des Sekretarius, eines Franziskaners, und fuhr ihn an, er solle schreiben, was er ihm diktiere, er solle keine Silbe auslassen, solle genau niederschreiben, was er ihm vorsage. Mit hastigen Schrittchen lief er ein paarmal im Zimmer querüber, zupfte mit den dürren, mit vielen Ringen geschmückten Fingern an dem schütteren Ziegenbart, der ihm vom Kinn abstand, und begann mit der kreischenden Stimme eines alten Weibes: »Euer Liebden jetzo und fürder zur Kenntnis, daß wir mit nichten gesonnen sind, dero unberechtigte Ansprüche an unsere Munifizenz zu erfüllen. Habt Ihr das? Erfüllen.


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