Heimliche Ehe. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.Zielen des Adelphenbundes erzogen, die ihr alle in eurem sozialen Egoismus nicht versteht!“ Die Stimme des Weltverbesserers klang warm und weich. „Zum Dienst an anderen . .“
„Wem dient die Linda denn jetzt eben, im Schweisse ihres Angesichts?“
„Heiss wird die Fahrt nach der städtischen Anstalt in Wuhlgarten heute schon sein! Und vom Bahnhof noch eine Viertelstunde zu Fuss! Linda hat dort eine epileptische Schwester. Ich gestate es.“ Ein Faustschlag aufs Knie . . . „Ich wünsche es sogar, dass sie das Unglücksgeschöpf, — Sidonie ist ihr Name — man nennt sie Siddy — dass sie diese verblödete Siddy regelmässig besucht. Der Menschheit ganzer Jammer . . . “
„. . . hast du denn da draussen den Wuhlgarten angesehen? Warst du ’mal mit?“
„Ich? Ich kann doch mein Atelier nicht im Stich lassen!“
„Ach so!“
„Du, Friedrich“, began Alfred Giebisch nach einer Pause des Schweigens. „Ich würde an deiner Stelle die Linda doch nicht so allein ’rumlaufen lassen!“
„Fege gefälligst vor deiner Türe! Ja?“ Der Denker warf leidenschaftlich die grauen Strähnen in den Nacken. Die Kampfnatur lohte unter seinen grauen Augenborsten und flackerte über die zerwühlten Züge. „Da gibt’s Kehricht genug!“
„Da ist alles piksauber, mein Sohn. Wirst du gleich vernehmen! Also übermorgen früh photographierst du hier mich und die Änne im Brautstaat — natürlich for Nass — unter Brüdern — und um Punkt halb eins stehst du mit uns auf dem Standesamt!“
„In Gottes Namen! Ich habe es nun einmal versprochen!“ sagte Friedrich Giebisch. „Es ist ja höchst unmoralisch, was ihr vorhabt . .“
„Unmoralisch, wenn wir uns heiraten? Das ist die Höhe!“
„Ihr heiratet heimlich! Ihr fürchtet euch vor den Menschen. Der Mensch soll für das einstehen, was er tut!“
„Herrgott — wenn die anderen Leute nun mal so verbohrt sind!“
„Meine Linda, dies freie Kind, und ich“, der Volksphotograph erhob sich feierlich in seinen mageren, schlotterigen Länge, „wir stehen Hand in Hand offen vor aller Welt. Wir leugnen nicht, dass wir niemals vor dem Altar und vor dem Standesamt gestanden sind . . . “
„Traurig genug! Wo ihr es jeden Augenblick könntet . .“
„. . aber nicht wollen! Weil uns der Höhenflug der Kameradschaftsehe über die Vorurteile der Menge erhebt! Diesen Vorurteilen trotzen wir — als neue Menschen . . “
„. . . wenn ich nur wüsste, was daran neu ist, du alter Schwede!“
„. . . und zu diesem Trotz gehört Mut. Den Mut — den lob’ ich mir! Ihr aber verkriecht euch wie Adam und Eva nach dem Sündenfall! Das Standesamt ist für euch nur der Baum der Erkenntnis!“
„Sind alle deine Adelphen so verrückt wie du?“
„Weiter:“ Der Photograph Giebisch ging mit Siebenmeilenschritten durch das Atelier. Seine zerdrückten Rockschösse wehten. „Wollt ihr künftig zu zweit sein oder zu mehreren?“
„Wir müssen zu zweit bleiben — bis auf weiteres — ob wir wollen oder nicht — Herrgott: — ohne Wohnung — ohne Mödel — ohne . . . “
„Also ihr müsst, was ihr nicht wollt! Wiederum der Widerspruch! Wiederum die Furcht vor den Menschen! Da schau’ Linda und mich an! Wir sind fest entschlossen: Wir gehen ein für allemal Hand in Hand zu zweit durch dies Leben!“
„Und was wird aus der Menschheit?“
„Alles Unglück auf der Welt kommt daher, dass es zuviel Menschen gibt. Und zu wenig Land und Raum und Licht und Luft und Nahrung für die vielen Menschen!“ Friedrich Giebisch machte bedeutungsvoll halt. „Verringere die Zahl der Menschen, und du schaffst die Kriege und die Kohlrübenwinter, die Kellerwohnungen und die Epidemien aus der Welt! Je weniger Menschen, desto glücklicher sind sie! Wer für sein Teil die Menschheit nicht vermehrt, ist ein Wohltäter der Menschheit!“
„Friedrich: dir haben sie seinerzeit den Kopf verkehrt angeschraubt!“
„So wird die freiere Liebe zwischen Linda und mir zur höheren Liebe für die Menschheit!“
„Du hast ganz recht, dass du die Linda nicht da hinaus in ihre Anstalt begleitest!“ Der jüngere Bruder stand auf. „Die sind imstande und behalten dich gleich dort! Weisst du: Früher hat man die Kameradschaftsehe einfach ’n Verhältnis genannt und nicht so grosse Worte darum gemacht! Also ich für mein Teil bin so unsittlich und heirate! Du — da bimmelt’s! Da kommen Leute, die photographiert sein wollen! . . Auf übermorgen!“
12
„Bruno Giebisch, Dominium Niestedt, Post Wittenbeke, Holstein. Tante Fridas Beisetzung Sonnabend mittag ein Uhr. Wir rechnen bestimmt auf dein Kommen. Alfred.“
Alfred Giebisch überantwortete dem Schalterbeamten in dem kleinen Postamt in der Friedrichstadt die Depesche. Hinterher, draussen, ein langsam aufsteigendes, beklemmendes Gefühl in Sommerhelle und Sommerhitze unterm Himmelblau: Nettes Zukunftszeichen, eine heimliche Heirat mit einem erlogenen Todesfall zu bemänteln . . .
Aber man musste die Drahtung dringend machen. Sonst kriegte jetzt, während der Erntezeit auf dem Dominium in Holstein, der Bruder Bruno dort keinen Urlaub.
Ein Stapel Musterkoffer bis auf den Bürgersteig hinaus. Ein Hotel für Geschäftsleute, nahe dem Hausvogteiplatz und der City. Ein Blick des Portiers nach dem Schlüsselbrett.
„Herr Strömich und Herr Merz? Die Fabrikanten aus Plauen? Nummer 107. Sind zu Hause!“
In dem Zimmer, das der Vertreter von Strömich und Merz betrat, sassen seine beiden Chefs gedankenvoll nebeneinander auf dem Kanapee und rauchten. Vor ihnen auf dem Tisch lag ein Haufen Bank-Korrespondenzen. Herr Strömich hob die Glatze. Er war ein munterer, kleiner, dicker Sachse, Speckfalten im Genick, kurze, fette Finger, die er freundlich im Sitzen dem jungen Mann reichte.
„Nu — Sie nenn’ ich ä dicht’gen Gärl! Sie sind ja hell’sch uff’n Damm!“
„Heute früh sind wir erst angekommen!“ Herr Merz sprach ein leises, trocknes, vorsichtiges Hochdeutsch. Er war eine nüchterne, magere Erscheinung von beträchtlicher Länge, eher vom grünen Tisch als von der Klöppelmaschine. „Und bevor wir noch Zeit hatten, Sie zu benachrichtigen . .“
„Ich hörte heute Vormittag bei der Kundschaft von Ihrer Anwesenheit“, der junge Mann setzte sich, „und erlaubte mir, jetzt in der Mittagspause in einer Privatangelegenheit . . . Meine Tante ist nämlich gestorben. Ich bitte für Sonnabend Vormittag um Urlaub!“
„Nu nadierlich — wo wer’n wir nich!“
„Mein Beileid!“
„Danke, Herr Merz!“
Es war ein Schweigen. Alfred Giebisch sass unbehaglich da. Wieder, neben dem braunen Eichenholztisch des Standesamts, Schwarz dieser Schatten eines Sarges . . . Er hob entschlossen den dunklen Kopf. Sein Gesicht leuchtete.
„Ausserdem, Herr Strömich und Herr Merz, halte ich es für gut, wenn ich sobald als möglich hier bei Ihnen antrete und Ihnen über das Geschäft hier berichte! Ich kann ohne Ruhmredigkeit sagen: Ich habe Feuer dahinter gemacht! Das Geschäft marschiert flott!“
„Is bekannt! Nähmen Sie ä Zigarre?“
„Danke! . . . Und das Geschäft ist noch einen enormen Erweiterung fähig! Es muss nur amerikanisch aufgezogen warden — mit intensiver, individueller Bearbeitung der vorhandenen Kundschaft und grosszügigen Reklame für die kommenden . . . “
„Das gostet ä Häbbchen Geld!“
„Ich habe da grosse Pläne, die ich Ihnen entwickeln möchte . .“
„Das Geld — das is das Maleer!“
„Das