Heimliche Ehe. Rudolf Stratz

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Heimliche Ehe - Rudolf Stratz


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Man hat so Tage! Man fühlt sich allein! Piksolo auf der Welt! Da nimmt man mit dem Ersten, Besten vorlieb! Ach — Stuss: allein! . . . Knie’ dich nur in die Austern, mein Sohn!“

      „Kommst du nicht zuweilen nach Berlin? Na also!“ Otto Vögeding zündete sich die zehnte Zigarre dieses Tages an und reichte dem Landwirt in versöhnlicher Stimmung Feuer. „Dann lass dich ’mal bei uns sehen! . . . “

      Plötzlich schlug seine Laune in Wehmut um. Er beugte sich über den Tisch und flüsterte geheimnisvoll-vertraulich hinter der hohlen Hand:

      „Aber es ist langweilig bei uns! Das sag’ ich dir gleich! Die Käte, deine Schwester, ist so still! Sie sitzt da und schweigt und sieht einen liebevoll an. Sie hat mich ja so lieb. Sie ist mir so dankbar für alles. Rührend ist die Frau. Aber sie ist still! Sie rankt sich um einen. Man kann sie kneten wie Wachs. Man hat keinen Halt. Herrgott — man ist doch auch nicht mehr der Jüngste!“

      Otto Vögeding starrte in den Zigarrenrauch. Er sah plötzlich älter aus, verfallen . . .

      „Da war heute früh . . . “ sagte er langsam.

      „Was war heute früh?“

      „Da hatt’ ich tolles Zahnweh! Nun ist’s vorbei! Ich fühle mich wie ein Jüngling!“ Der Patentanwalt lachte und stand elastisch auf. Er gab dem Schwager die Hand. „Höchste Eisenbahn für mich! Also du trittst ’mal in Berlin bei uns an! Nimm vorlieb! Still ist die Käte eben. Still.“

      10

      „Fräulein Bender: Sie werden am Telephon verlangt!“

      „Wie?“ Die blonde Studienreferendarin, die sic him Lehrerinnenzimmer mit zwei jungen Kolleginnen während der Vormittagspause Tee kochte, hob die Hand ans Ohr. Der Kinderlärm, der durch dir sommerlich offenen Fenster aus den Höfen des Mädchenyzeums heraufdrang, war betäubend.

      „Ihr Schuhmacher will Sie sprechen, Fräulein Bender!“ trompetete Fräulein Mannskopf, die Schul-Sekretärin, mit ernstem Gesicht, in dem nur die Mundwinkel zuckten.

      „Ach so!“ Änne Bender federate mit der Schnellkraft der Turnlehrerin im Nebenamt von ihrem Stuhl, bezwang sich und wandelte sanft und zart, mit weiblich-weichen Bewegungen zum Apparat, ein kühles, abwehrendes Lächeln unter der zierlichen Stupsnase auf dem schmalen Gesicht. Sie horchte und nickte freundlich.

      „Also nach zwölf schicken Sie mir heute die besohlten Schuhe? Danke!“

      „Wie heisst denn Ihr Schuhmacher, Bender?“ schrie Fräulein Schraudt harmlos durch den Spektakel im Hof. Die kleine Mannskopf neben ihr flötete mit einer ganz hohen, durchdringenden Unschuldsstimme:

      „Können Sie mir nicht seine Adresse geben? Ich brauch’ neue Absätze!“

      Änne schob nur eigenwillig und etwas verächtlich die Unterlippe vor und glättete sich scheinbar zerstreut vor dem Spiegel mit der Hand den blonden Bubi-Scheitel. Das Schrillen der Schulglocke überhob sie der Antwort. Das Geschrei auf dem Hof verwandelte sich in ein hundertfaches Füssegepolter auf den Treppen. Die Schulvorsteherin, die Studiendirektorin Fräulein Meinhold, steckte ihren kurzgelöckelten Graukopf durch den Türspalt. Sie war eine sehr energische Dame, wohlbeleibt, atemlos vom ewigen Umtrieb, aber geschäftig-guter Laune wie immer. Eher einer rührigen Familienmutter als einem älteren Fräulein ähnlich.

      „Sie haben jetzt Deutsch, Fräulein Bender?“

      „Ja, Frau Direktor! Besprechung des Aufsatz-Themas: ‚Mein Sonntagsnachmittag-Ausflug’!“

      „Machen Sie es den Kindern nicht zu schwer! Einfache Freude an der Natur! Stilles Vergnügen an jedem Käfer und warum! Wieso lächeln denn die Damen? Ja — ich komme schon!“

      „Was weiss denn unser armes Benderchen von Landpartien?“ sagte entrüsted, währens die Direktorin weiter eilte, die Sekretärin zu der Lehrerin Frau Sittegast. Die war schon fünfzig, grau, rund, klein und neugierig wie eine Maus. Sie riss erstaunt die Kinderaugen auf.

      „Kommen Sie denn nie ins Freie, liebe Bender!“

      „Fräulein Bender sitzt jeden Sonntagnachmittag zu Haus und büffelt an ihrer wissenschaftlichen Fortbildung!“ sagte Fräulein Schraudt feierlich. „Ruderpartien und solchen Schnickschnack gibt es für sie nicht. Dazu ist das Mädchen viel zu ernst veranlagt!“

      Die Studienreferendarin Bender tippte nur schweigend und vielsagend mit dem Zeigefinger gegen ihre Stirn und ging hinüber in ihre Klasse.

      Das Mädchenlyzeum lag im neuen Westen. Die Studienreferendarin Bender fuhr mittags, nach Schulschluss, einen weiten Weg bis nach dem Alexanderplatz. In dessen Nähe wartete, im Volksgedränge des Bürgersteigs, ein junger Mann. Die Leute gingen achtlos an ihm vorbei. Änne verstand die Menschheit nicht recht. Denn das war doch das Schönste, was man weit und breit sehen konnte — in dem eleganten, grauen Sakko, breitschulterig, über mittelgross — das dunkle Haar — die schwarzen, feurigen Augen in dem sportbräunlichen, lustigen Gesicht. Um die glattrasierten Lippen ein hoffnungsvolles Lächeln. Ein amerikanisches Lächeln. Das keep smiling, das man im Film sah. Wie bei den grossen Amerikanern, die die Welt bewunderte: die Grübchen und den ausdrucksvollen Mund für die Frauen, das energisch darunter gerundete Kinn gegen die Männer. Der heissblütige, brünette Typ.

      Die geschäftigen Berliner merkten so was nicht. Doch — jetzt drehten sich zwei junge Mädchen im Vorbeigehen wohlgefällig nach dem Geschäftsvertreter Alfred Giebisch um. Puten . . dachte sich Änne mit einem Stich von Eifersucht. Sie eilte schlank, blond, flüchtig auf ihren Bräutigam zu. Die beiden drückten sich die Hände und traten einträchtig zu dem vergitterten Kasten an der Hauswand nebenan. In dem Aushang des Standesamts war da zu lessen, dass der Kaufmann Alfred Giebisch und die berufslose Änne Bender miteinander die Ehe einzugehen beabsichtigten und dass etwaige Einsprüche dagegen innerhalb von vier Wochen . . .

      „Die vier Wochen sind jetzt um.“ Ännes Stimme würgte in Glück und Angst, „und keine Katze hat was gemerkt!“

      „Nee! Sie glauben alle fest an ein Verhältnis!“ sagte der junge Mann triumphierend.

      „Im Lyzeum auch! Eben heute wieder! Ich lass’ sie meckern!“

      „Es kann uns ja vorläufig gar nichts Besseres passieren! Ein unmoralisches Pärchen — das darf sich driest und gottesfürchtig schnäbeln! Da kümmert sich keine Behörde und kein Wohnungsamt und keine Familie darum! Komische Welt!“

      „Wir Beide haben eben die höhere Sittlichkeit!“ sagte der blonde Studienreferendar ernst und stolz.

      „Die wirkliche geheime Sittlichkeit! So geheim wie möglich — dass niemand was von der Sittlichkeit merkt! Wenn wir so jede Woche ein paarmal vor dem Kasten standen — ein bisschen mulmig war mir doch jedesmal zumute!. . . „dass wir beim Eheschliessen ertappt warden könnten! Ach Gott — Alf — erst mir!“

      „Jetzt sind wir so weit! Deswegen hab’ ich dich heute hierher bestellt!“ Der junge Mann zog schwungvoll ein Papier aus der Tasche. „Ich war dieser Tage noch ’mal bei dem Standesbeamten und hab’ ihm begreiflich gemacht, dass wir an einem Sonnabendmittag heiraten müssen, weil unsere Moneten und mein Beruf uns nur eine Hochzeitsreise übers Weekend nach unserem Häuschen am Müggelsee erlauben . . . Der Mann hatte ein Einsehen. Heute früh bekam ich die Zuschrift. Da lies!“

      Das dürftige, graue Zettelchen glich in seinem Äusseren etwa einer Steuerrechnung. Aber Änne gab es andächtig, mit feuchten Augen, ihrem Verlobten zurück.

      „Alf: übermorgen Mittag um eins!“ sagte sie leise.

      „Übermorgen Mittag um eins sind wir Mann und Frau!“

      „Man wagt es gar nicht zu glauben, Alf! Es kommt einem so unwahrscheinlich vor!“

      „Wird aber!“

      „Herrgott — jetzt darf ich aber nur schauen, dass mein graues Schneiderkleid zur Hochzeit fertig wird!“ sagte der Studienreferendar. „Ich muss gleich ’mal in dem Geschäft vorsprechen. Ich hab’ doch so ein


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