Heimliche Ehe. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.und dem Staub?“
„Ich zieh’ mich fix daheim um!“
„Also . . . Wie, Mutter? Nein: Herr Giebisch kann nicht ’reinkommen und mit uns Tee trinken! Er muss fort! Also in Gottes Namen, Alf! Ich bin skeptisch!“
Alfred Giebisch lief mit dem letzten Kuss auf den Lippen die Treppe hinab und fuhr davon. Die Fläche vor dem Stettiner Bahnhof kribbelte Schwarz von heimkehrenden Ausflüglern. In hundertfachem, eintönigem Grau standen endlos lang die alten Häuser der Invalidenstrasse. Eine Türe ging, in einem von ihnen, unmittelbar auf den Treppenabsatz. Das war seine Bude. Drinnen langte er in Eile seinen graukarierten Sonntagnachmittagsanzug aus dem Schrank — der kurze Rock knapp auf Taille gearbeitet, die Hose so scharf in der Bügelfalte gekniffen, dass sie fast von selbst stand. Er trat prüfend vor den Spiegel. Er sah im Glas den grossen, kräftigen Jungmännertyp des Deutschland nach dem Kriege, der in seiner angelsächsischen, bartlosen, sportlichen Gepflegtheit alle früheren Unterschiede von Rang und Beruf verwischte. Er öffnete auf dem Treppenabsatz mit einam Drücker die Flurtür neben seiner Stube, zur Zweizimmerwohnung seiner Eltern.
„Ich futtere heute nicht daheim, Vater!“
Der alte Giebisch hob im Sitzen, hinter einem Wust von Schriftstücken, den gesträubten, weissen Kakaduschopf. Über der Hakennase und dem weissen Spitzbart funkelten in dem feinen, rosig gefältelten Gesicht die hellblauen, unruhigen Augen. Er war klein und zart von Gestalt, aber sehr beweglich für seine Mitte der Sechzig.
„Mutter is doch noch aus Potsdam retour!“ sagte er heiter und schon mit einem Schwung die Papiere zurück. „Siehste mir nichts an, mein Sohn? . . . Mit euch jungen Kerlen is ja nischt los! Hoho — wenn wir Alten nicht wären! . . . Wenn det halbwegs jlückt — mit der Transaktion —, dann bin ich in den nächsten Tagen Aufsichtsrat!“
„Vater — lass doch das ewige Projektemachen! Das ist je Mumpitz!“
„So?“ Der Alte zuckte belustigt und überlegen die Schulter. „War ich schon ’mal Millionär oder nicht — hä?“
„’n papierener, Vater! In der Inflation! Das waren viele!“
„Haben wir nich ’ne Reise in die Schweiz jemacht — damals, die janze Familie? . . . hab’ ich nich ’ne pikfeine Villa jemietet . . hab’ ich euch Jungens nich zwei Jahre ’nen Hauslehrer jehalten?“
„. . . bis plötzlich die Stabilisierung ausbrach!“
„. . . mach’ ich’s eben künftig mit der Deflation! Ich komm’ wieder hoch!“ Der alte Giebisch nickte siegesgewiss. „Wenn der Mensch einmal im Leben schon so weit war . . . “
„Na ja — Armut macht nicht immer glücklich!“ sagte der junge Mann. „Aber manchmal denke ich, es wäre besser gewesen, wir hätten gar nicht erst Blut geleckt mit dem Geldverdienen, sondern das kleine Drogenlädchen von vor dem Krieg behalten, statt dass du in der Kohlrübenzeit mit deinen Ersatzmitteln . . . “
„Hast du nicht selber als Bengel geholfen, die Millionen bündeln?“ rief der Alte triumphierend. Seine blauen Augen leuchteten.
„Ja. Und das geht mir heut’ noch nach! Da hat man nun, mit dem Hauslehrer damals, ’n bisschen Manieren gelernt und ’n bisschen Bildung! Nun ist man nicht zufrieden! Nun will man immer höher hinaus!“
„Wart’ nur, bis ich in den nächsten Tagen wieder mang die Jründer jehe!“ Der alte Giebisch warf feurig den weissen Kakaduschopf ins Genick. „Na Mutter? Endlich! Wat — ‚schon wieder Luftschlösser!’ sagste? Nur für’n Jroschen Jeduld! Wie war’s denn in Potsdam?“
„Die Herrschaften waren so jnädig!“ Mutter Giebisch war noch atemlos vom Treppensteigen. „Sie, die alte Exzellenz, hat mir die Hand jedrück und jesagt: ‚Das vergesse ich Ihnen nicht, liebe Giebisch, dass Sie zur Taufe meines Enkelchens gekommen sund!’ Und ick hab’ fast jeweint und jesagt: ‚Wenn man dreissig Jahre in den hohen Häusern in Berlin und Potsdam als Kochfrau gekocht hat, dann verlässt man die Herrschaften auch im Unjlück nich! Denn kocht man wieter für sie, mit Gott für König und Vaterland!’. .“
Mutter Giebisch setzte sich. Sie war auch schon sechzig. Aber sie blühte rundlich, mit rotem, vollem Gesicht, in dem guten schwarzseidenen Kleid, das einen leisen Kampfergeruch verbreitete.
„Die jnädige Frau Jräfin Tochter und andere hohe Damens sind in die Küche jekommen und haben mir die Hand jejeben. Und der alte Herr Jeneral selber mit all seinen Orden. Und die alte Exzellenz war janz jerührt und hat jesagt: ‚Das ist doch noch eine alte treue Seele von rechtem Schrot und Korn!’ Und ick hab’ jesagt: ‚Ick versteh’ nichts von Politik. Ich bin ’ne alte Person! Ich bleib’ da, wo ick mein Leben lang jestanden hab’!’. . “
„Recht hat sie! Politik ist Quatsch!“ rief der alte Giebisch. „Det Jeld — is es! . . Heirate du dich nur mal hübsch warm ein, Alfred, in ein flott jehendes Jeschäft. Witwe ohne Anhang, mit Vierzimmerwohnung.“ Der Alte schnalzte geniesserisch mit der Zunge. „Schau’ nur, Mutter: Wenn der Bengel so dasteht — in der feinen Kluft — auf den müssen ja die Mächen fliejen!“
„Wie’n Jraf!“ Seine Mutter faltete mütterlich gerührt die herdroten Finger.
„Ach wat, Jraf! Mehr! Wie einer im Kino, wenn er so nongschalang vor seinem Schloss in sein Auto steigt . . . Wo willste heute abend noch hin? Was — zum Vögeding?“ Der Alte schnellte in die Höhe. „Na — mich sieht mein Herr Schwiegersohn nich mehr! Dat weiss ich!“
„. . . weil er dir durch das Mädchen hat hinaussagen lassen, er hätte die Blattern, wie du ihm mit deinen wilden Geschäften Tag und Nacht keine Ruhe gelassen hast! . . und er sei wegen wichtiger Sitzungen für den Rest des Jahrhunderts nicht mehr zu sprechen!“
„. . . sowenig wie für den ewig klammen Friedrich! Jhr habt den Vögeding ganz kopfscheu gemacht mit dem Geschnorre!“
„Hat er unsere Tochter zur Frau oder nich?“
„Na — jrüss’ die Käte!“
„Jedenfalls geh’ ich mal zu ihm in den Löwenkäfig!“ sagte Alfred Giebisch. „Gute Nacht!“
6
Draussen, im äussersten Westen Berlins, suchte Alfred Giebisch, vom Bahnhof Hohenzollerndamm her, beim Laternenschein in der breiten Prunkstrasse die Hausnummer seines Schwagers. Die sechs grossen ebenerdigen Fenster rechts in dem ragenden Mietspalast waren hell.
„Was? Herr Doktor Vögeding nicht daheim?“ sagte er zu dem öffnenden Dienstmädchen. „Liebes, verehrtes Fräulein — das Hamburger Häubchen steht Ihnen übrigens reizend — Sie gehen vielleicht heute noch über die Halensee-Brücke . . . Schade dann um so viel Schönheit und Jugend!“
„Es ist schon Uhrer zehne abends! Herr Doktor reist um Mitternacht nach Hamburg!“
„Und das sagen Sie so fristig? Lächeln Sie doch ’mal ’n bisschen! Ich bin überzeugt: Sie haben ein Paar Grübchen! Na — sehen Sie: ich auch! Ja — wir beide . . . Also — sagen Sie der gnädigen Frau, ihr Bruder Alfred sei da!“
„Nee! Denn geht’s nicht!“ Die Hausangestellte strich sich misstrauisch die Schürze glatt.
„Warum sind Sie eigentlich noch nicht beim Film? Bei Ihrem Äussern? Also melden Sie Frau Vögeding, es sei ein schöner, junger Mann draussen! Ihnen gefiele er . . . “
„Ich darf doch nicht!“
„. . . und Sie könnten seiner netten Art, zu bitten, nicht widerstehen . . . “
„Na — Sie sind aber auch einer!“ Das Mädchen lief halblachend, mit rotem Kopf, nach hinten. Gleich darauf kam von dort, mit weichen, leisen, Fast lautlosen Bewegungen, eine dunkeläugige, junge Frau. Sie war ein paar Jahre älter als ihr Bruder, mittelgross, vollschlank, in dunklem Kleid. Ihre vollen, runden Wangen waren blass, und ebenso blass der weiche, herzförmig geschnittene Mund. Um den spielte, als die beiden sich im Boudoir gegenübersassen,