Heimliche Ehe. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.Giebisch trat, an der Dunkelkammer und den Arbeitstischen vorbei, in das abgeschrägte Dachzimmer — Wohn-, Schlaf- und Essraum in einem. Auf einem Schemel in der Mitte stützte ein mittelgrosser Mann nahe den Vierzig den glattrasierten, ausdrucksvollen Charakterkopf dumpf in die Hände. Sein gefurchtes und leidenschaftliches Antlitz mit der Hakennase, den grossen, grauen Augen, dem bitteren, starkfaltig ausgeprägten Mund erinnerte an einen älteren Provinzmimen. Aber die unzähligen Furchen auf der Stirn, die grüblerischen Krähenfüsse um die Tränensäcke deuteten auf den Denker. Er blickte auf und fuhr sich heftig mit der hand durch die genialischen, langen, grauen Stirnsträhnen.
„Setz dich!“ sagte er. „Es ist heiss hier. Im Sommer. Im Winter um so kälter. Linda und ich frieren um die Wette!“
„Kriegt ihr denn keine andere Wohnung?“
„Wir?“ Der Photograph lachte wild auf. „Für Unverheiratete, mein Sohn, gibt es möblierte Zimmer. Aber in getrennten Häusern. Sonst kommt der Hausverwalter!“
„Ach so!“
„Da kann ich zehnmal auf dem Wohnungsamt feierlich vor Gott und den Menschen erklären: ‚Linda und ich sind ein freies Paar! Wir leben in Kameradschaftsehe!’ Der Beamte blättert: ‚Ich finde da nur eine unverehelichte Luise Knieriem, die bei Ihnen als Assistentin angestellt ist!’ Hier oben lassen einem die Banausen wenigstens ungeschoren! Was bringst du? Viel Zeit hab’ ich nicht! In einer halben Stunde kommen die Adelphen!“
„Verbessert ihr immer noch die Welt?“
„Es tut not!“ sagte der Mann mit dem verwüsteten Charakterkopf leise und fest. Aus dem Atelier rief Linda mit ihrer scharfen Kehle: „Wegen mir können die Brüder“ — sie sagte mehr: „die Brieder“ — „kommen!“
Sie hatte die photographischen Apparate beiseitegerückt, Stuhl, Tisch und Wasserglas darauf hingestellt und aus ein paar Plättbrettern über Stühlen zwei Reihen Sitzbänke hergerichtet. Sie streifte ihren weissen Atelierkittel ab. Ein Sonntagnachmittag-Kleid aus himmelblauem Crêpe de Chine veränderte plötzlich ihr Menschenbildnis. Der hauchdünne Stoff verfloss mit dem mondän frisierten Kopf darüber zu einem Ausschnitt neurer Berliner Eleganz der unteren Hunderttausend. Sie wirkte in ihrer interessanten Blässe fast damenhaft, als sie über die Schwelle trat. Man sah jetzt erst, wie schlank und flott sie gewachsen war. Sie blickte selbst befriediat auf das Faltenspiel des halbdurchsichtigen Gewebes um ihre Knie nieder.
„Richtige, lange, dünne gerade Filmbeine — was?“ sagte sie stolz unbefangen. „Du, Männe: Ich geh’ jetzt in die Englische Stunde!“ Sie reichte Alfred die Hand. „Nicht schlecht braun gesotten is er! Du hast natürlich heute wieder ’n ganzen Tag mit deiner Kleinen auf dem Wasser gelegen?“
„Das ist keine Kleine, sondern eine Lehrerin der Kleinen! — Ein Studienreferendar!“
„Verzeihung! Ich wollte der Iräfin-Braut nich zu nahe treten!“ Linda ging. Sehr leichtfüssig. Schmalhüftig. Schmalschulterig. Sehr bewusst Nur ein schwacher Parfümhauch blieb von ihr in der Luft übrig
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Friedrich Giebisch, der Photograph, blickte seiner freien Frau nach. Ein andächtiges Leuchten lief über seine gefurchter, vom Lebenskampf verwüsteten Züge, wie Sonnenschein über ein Schlachtfeld.
„Diese Seele hab’ ich gerettet!“ sprach er feierlich. „Das versöhnt mit manchem in Dasein! Wenn ich denke, woher sie kam..“
„Gott — ‘ne Bolle aus der Invalidenstrasse!“ sagte der Bruder ziemlich gefühllos.
„. . . der Vater ein Säufer, die Mutter lungekrank, sechs Kinder in der Kellerwohnung . . . Mit vierzehn Iahren Laufmädel in einem Abzahlungsschäft im Osten.s Dann an den Hausvogteiplatz — mitten in die Konfektion . .“
„. . da krabbelte sie sich doch schon in die Höhe . .“
„Frage mich nicht, wie . . . . — . . . .:Tippen und Kurzschrift und Buchführung hat sie ja in der Zeit im Fortbildungsunterricht mit der ihr eigenen Energie gelernt! Aber sonst . . . . Ich kam diesem Kind als ein Erlöser! Ich riss sie aus den Klauen eines dicken Ranonchefs, neben dem sie auf seinen Einkaufsreisen verwilderte.“
Der Merschenfeind schloss halb die Lider. Er summte, still lächelnd, andächtig vor sich hin.
„Sie war ein Kind des Volks und schön!
Sie trug das Glück in kalte Höh’n . . . . .“
Dann schlug er mit der Fraust auf den Tisch, jugendliches Feuer in den Augen.
„Aber auch ich habe sie dafür in die höheren Regionene des Lebens getragen! Ach — das tut einem einsamen Menschen wie mir wohl, einem Menschen etwas zu sein! Es füllt erst mein eigenes Ich! Sie ist so willig — so dankbar! Sie lechzt ja nach Bildung!“
„Ietzt treibt sie Englisch?“
„Ja. Es ist rührend von Herrn Höltl — an seinem freien Sonntagabend! Herr Höltl ist der Damenfrieseur unten im Hause. Er hat sich erst vor kurzem selbständig gemacht. Er war lange Frieseur auf einem Llonddampfer nach New York. Daher sein Englisch. Linda lernt da ‘ne Masse! Aber — Herrgott . . . “ Ein Blick auf die Uhr. „. . . die Adelphen! . . Du wolltest was? Mach’s kurz, Alfred!“
„Also: die Linda ulkte da eben mit ihrer Berliner Schnauze über meine Gräfin-Braut! Gräfin ist Unsinn. Aber Braut — das stimmt! Wir wollen Heimlich heiraten, Fritz!“
Der Photograph hörte mit einem sardonischen Zucken der Mundwinkel zu. Als der Iüngere geendet, umspannte er mit seinen grossen, trockenen, nervös heissen Händen dessen braune Sportfaust. Sein Charakterkopf legte sich in feierliche Furchen:
„Tu’s nicht, Alfred! Wozu? Mahce es wie ich! Lebe in freiem Bund!“
„Nein. Das wollen wir gerade nicht!“
„Warum nicht?“
„. . . weil wir uns dafür zu lieben!“
„Liebe ist Feriheit!“ sagte langsam durch die Dämmerung Friedrich Giebisch, der Photograph. „Sie ist eine innere Notwendigkeit. Sie duldet keinen äusseren Zwang. Und Ehe ist die höchste Liebe. Also ist Ehe höchste Freiheit! Deswegen heirate ich nicht: Aus Ehrfurcht vor der Ehe! So, wie ich unter dem Wort ‚Ehe’ den Bund zweier Menschen verstehe!“
„Weisste — das ist mir zu hoch!“
„Seit zwei Iahren lebe ich jetzt mit Linda zusammen. Ich könnte mich jeden Augenblick vor ihr trennen. Ich tue es nicht. Ich werde es nie tun. Gerade weil ich fessellos bin, bin ich gebunden — durch höhere Gewalten als der Bürokrat auf dem Standesamt und das Bürgerliche Gesetzbuch, das für eine Hnpothek auf eine Seigenfabrik gut sein mag, aber nicht für die letzen Dinge dieser Welt!“
„Und die Rinder? . . . “
„Haben wir welche?“
„Nein. Aber wenn alle so denken, stirbt die Welt aus!“
„Wäre das ein Unglück?“ Der Menschenverächter stützte den Kopf in die Hand. „Dann stirbe sie in Schönheit!“
„Nein — auf diese Rutschbahn im Lunapark folge ich dir nicht! Dazu bin ich nicht gelehrt genug — für deine Spintisierereien!“ Der junge Kaufmann lachte. „Ich will heiraten und ‘ne richtiggehende Frau haben und Kinder und ‘mal Enkelkinder, damit ich Weiss, wofür ich mein Leben lang schufete und wem ich ‘mal das grosse Vermögen, das ich mir sicher zusammenkratzen werde, hinterlass’!“
„Siehst du — das ist’s: Du denkst rein wirtschaftlich!“ Der Weltverbesserer sties dem anderen leidenschaflich den gereckten Zeigefinger vor die Brust. „Du bist genau wie unser Schwager, der verfluchte Vögeding! Dem sein fauler Witz: ‚Je Dollar, je besser!’ ist kennzeichnend für den ganzen Mann. Na — mich sieht der Gemütsmensch nicht mehr wieder!“
„. . . weil er dich in seiner gemütlichen Art gefragt hat, ob die Gemeinde Dalldorf