Heimliche Ehe. Rudolf Stratz

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Heimliche Ehe - Rudolf Stratz


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      „Na — und du? Bift du anders? Du denkst wie all ihr smarten jungen Kerle jetzt nach dem Krieg denkt: Geld machen und ‘nen neuen Hut für die Frau und ein Auto auf Abzahlung: Schluss! Pudelwohl fühlt ihr ein Auto auf Abzahlung: Schluss! Pudelwohl fühlt ihr euch in einer Welt ohne Götter! Halbe Amerikaner seid ihr und wisst nicht, dass Deutschland ein Geist ist!“

      „Na — — und du?“

      Ein Strich der mächtigen Hand drüben quer durch die Luft.

      „Ich leugne alles! Alles!“

      „Auch ‘ne Beschäftigung!“

      „Du warst zu jung! Du hast den Krieg nicht mehr mitgemacht!“

      „Hast du jemals die Front geziert?“

      „Ich war vier Jahre Krankenpfleger im Lazarett!“ sagte Friedrich Giebisch grüblerisch. „Wenn das alles möglich war, was ich in den vier Jahren mit diesen Augen gesehen hab’, dann haben alle Grundlagen der menschlichen Gesellschaft versagt. Dann müssen wir die Welt aus dem Schutt heraus auf einer ganz neuen, freieren und sittlicheren Ordnung wiederaufbauen. Deswegen lebe ich Kameradschaftsehe. Deswegen habe ich die Gemeinschaft der Adelphen gegründet. Da nebenan kommen übrigens schon die ersten . . . . .“

      „Dann willst du also auch nicht unser Trauzeuge sein?“ Alfred Giebisch erhob sich.

      „Warum nicht? Was schiert mich fremde Torheit? Wenn du wüsstest, wie menschlich veredelt es ist, nicht verheiratet ze sein — ‚wenn du frei sein kannst, so gebrauche dess doch viel lieber!’ steht schon in der Schrift . . . “

      „Sei so gut und missbrauche nicht auch noch die Bibel — ja?“

      „Aber sei rücktändig — renne in dein Unglück! Mein Bratenrock ist noch gut! Ich erscheine zu deinem Begräbnis! Ich meine: auf dem Standesamt.“

      „Danke! Und zu Linda kein Wort! Nicht wahr?“

      Alfred Giebisch ging. In dem dämmerigen, kahlen Atelier versammelte sich auf den Holzbänken schon die Gemeinde. Er konnte den paar Dutzend stiller Gesichter nichts Besonderes ansehen. Es schienen alles kleine Leute — Handwerker — ältere Frauen — ein Strassenbahnschaffner — ein Briefträger — einige junge Menschen, die wie Studenten und Studentinnen aussahen. Als er die Treppe hinabstieg, hörte er schon von oben die leidenschaftlich dröhnende, blutwarme Predigerstimme seines Bruders. Er schüttelte den Kopf, kettete unten sein Rad los und fuhr Davon, dem Berliner Zentrum zu.

      5

      Dort, in der kleinen Strasse nahe dem Alexanderplatz, sass Änne Bender, die Studienreferendarin, mit ihrer Mutter zusammen im Wohnzimmer. Es war ein noch ganz altmodischer Raum, mit einem weissen Kachelofen und bläulichem Gasstrumpflicht von der Decke. Aus den vier Fenstern der Gartenwohnung der Ausblick auf zwei lebensmüde Birken im Vorderhof. Auf dem Tisch am Febster, an dem Änne mit gesenktem Blondkopf in ein Heft schrieb, brannte eine Petroleumlampe. Ihre Mutter sass hinten im Zwielicht auf dem Wandsofa und strickte. Mitten in der Stube trug ein Rundtisch zwei schwarzeingerahmte Photographien — zwei lustige junge Leute in Feldgrau — blutjung — fast noch Rnaben — der eine 1918 gefallen am Kemmel, der andere nachträglich erst 1919 in Rurland. Aber die beiden Söhne waren nicht tot. Sie gingen seit vielen Iahren neben der Mutter weiter burchs Leben.

      „Du — Änne —“, sagte die verwitwete Sanitätsrätin sinnend nach langem Schweigen, „ich glaube, der Paul ist jetzt dicht am Amtsrichter!“

      „Na sicher, Mutter — bei seinen Gaben!“

      Änne Bender sann über den nächsten Satz in ihrem Heftchen. Sie trug jetzt, nach des Tages Hitze, ein jungenhaftes, gestreistes Pnjama und hatte eine Zigarette im Mund. An den feinen, weissen Fingern blühten zwei rote Tintenfleckchen.

      „Ach Gott — und der Emil jetzt bald als Baurat! . . . as könnte Häuser geben, Kind!“

      „Na — kolossal!“

      Das Kritzeln der Feder. Das Klappern der Nadel. Iregendwo da draussen wehte der Wind um flandrische Gräber und kurischen Sumpf.

      „Korrigierst du Hefte, Änne?“

      „Nachher! Jetzt führe ich mein Tagebuch!“

      „Ich möchte nur wissen, was du jeden Tag so Merkwürdiges hineinzuschreiben hast!“

      „Ich fetze mich mit mir und meiner Stellung zur Welt auseinander!“ Änne Bender neigte grüblerisch das hübsche Profil, in dem die Nase neugierig, erwartungsvoll gegen das Leben, ein bisschen als Stupsnase, hochging, dicht über das Papier.

      „Ich Weiss nicht — zu meiner Zeit — Änne — da nahm sich ein junger Mensch nicht so furchtbar wichtig . . . “

      „Es gibt nichts Wichtigeres als den Menschen, Mutter!“

      „Aber es kann sich doch nicht um jeden Menschen die Welt drehen!“

      „Jeder Mensch ist die Welt!“

      „Kind — Kind — wir haben doch auch gelebt!“

      „Wir leben vielleicht einfacher als ihr!“ Änne wandte nicht den Kopf beim Schreiben. „Aber wir leben schwerer. Denn wir müssen uns unseren Weg durch das Leben selber suchen! Wir erben ja nichts von euch.“

      „Nun mach’ auch noch Vorwürfe..“

      „Ich meine doch nicht, dass Vater mitten im Krieg gestorben ist und wir unser Geld nachher in der Inflation verloren haben! Aber vor uns liegt lauter Neuland. Wir müssen uns Deutschland und das Leben erst neu entdecken, wie der Kolumbus Amerika! Glaub’ mir: die Besseren unter uns machen as sich nicht leicht!“

      „Wenn man euch nur helfen könnte . . . .“

      „. . . nur indem man uns zu verstehen sucht! Ich suche mich selber ja auch erst zu verstehen! Deswegen geb’ ich mir in dem Tagebuch Rechenschaft — nicht aus Grössenwahn, sondern aus Verantwortungsgefühl. Das gab’s zu deiner Zeit nicht. Da hat man uns das alles abgenommen. Aber dann war auf einmal der Kladderadatsch da . . und nun . . . Herrgott — da bimmelt’s!“

      Der Studienreferendar sauste in drei Jagdsprüngen hinaus, warf sich draussen ein Mäntelchen über Jacke und Hose und flog der dunklen Gestalt auf der Schwelle in die Arme. Küsse. Stille. Endlich:

      „Na — Alf — was hat dein Bruder gesagt?“

      „Mies hat er gemacht!“

      „Der muss es ja wissen! Dem seine sogenannte Ehe . . . “

      „Aber er hilft uns trauen!“

      „Na — Gott sei Dank!“

      „Er hat’s auch nicht leicht im Leben! Er macht sich’s noch unnötig schwer! Er käme ja nie zu was! Herrgott: Wenn ich nur mal ordentlich Spielraum hätte im Leben!“

      „Ja — wenn . . wenn . . Und dem Bruno schreibst du! Auf den kann man sich verlassen — als Trauzeugen! Uff! — Wie, Mutter? Störe jetzt nicht! Herr Giebisch steht hier draussen!“

      „Ich hab’ nämlich ‘ne Idee! . . Wozu hab’ ich denn eigentlich ‘ne Schwester, die an einen Schwerverdiener wie den Vögeding verheiratet ist?“ Der braungebrannte, hochgewachsene, lederne Kraftfahrer beugte den dunklen Krauskopf zu dem blonden Haupt nieder. Die schwarzen Augen flackerten hoffnungsvoll in dem verwegen lächelnden, bartlos-energischen Gesicht. „Ein Federzug von dem Kerl und ich bin gemacht! Weisst du: Ich geb’ meinem Herzen einen Stoss und such’ doch mal den teuren Schwager heim! Jetzt gleich — ehe es mich reut — und frage ihn, ob er wirklich an ‘ner Kraft wie mir vorübergehen will!“

      „Der wird dir ‘was malen! Der geniesst schon längst die Familie seiner Frau nur aus angemessener Entfernung! Das weisst du so gut wie ich!“

      „Er hat mich ja seit vier Jahren nicht mehr gesehen! Vielleicht imponiere ich ihm jetzt!“

      „Ein ganzer Kerl bist du!“ Änne musterte


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