Heimliche Ehe. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.Sie rang mit sich. Sie stiess hervor:
„Alfred . . . noch ist es Zeit . . . “
„Zu was denn?“
„. . . . bis übermorgen bist du noch frei!“
„Leider noch bis übermorgen! Ich wollt’, die zwei Tage wären schon ’rum!“
„Überlege es dir!“
„. . . ob wir heiraten sollen?“ frug der junge Mann verblüfft.
„. . . ob du mich heiraten willst! Es liegt ja alles nur an mir! Es dreht sich ja alles um mich. Sogar die erste Idee mit der heimlichen Heirat hab’, glaub’ ich, ich zuerst gehabt!“
„Die ist uns beiden zugleich gekommen — ganz von selber —“
„Aber du übernimmst die Last . . und die Sorge — für die ganze Zukunst! Wenn es doch herauskommt — und ich fliege . . . “
„Flüstere doch nicht solchen Kohl, Schatz!“
„. . . dann hast du mich auf dem Hals . . dann must du den Kampf in Berlin für uns beide aufnehmen! Berlin ist doch kein Kinderspiel . . . “
Unser täglich Brot gib uns heute — donnerten die Lastwagen auf dem Pflaster. Die Fenster klirrten. Die Autos hupten. Die Strassenbahn dröhnte. Ännes zarte, angstvolle Stimme:
„Alf — wird dir das nicht zuviel?“
Im Schweisse deines Angesichts sollst du dein Brot essen! —heulten drüben die Fabriksirenen. Die Radler flitzten. Die Schupos ruderten mit den Armen. Die staubig-heisse Sommerluft zitterte. An en Litfasssäulen umher klebten bis hoch hinauf die grellen Plakate mit amerikanischen Theatersücken, amerikanischen Jazzbands, amerikanischen Girls, amerikanischen Bars. Aner unten schrien die Steine, brauste der Asphalt von deutscher Not, deutscher Arbeit, deutschem Willen zum Leben.
„Alf: wird es dich nie gereuen?“
„Lachbar!“
„Koofen Sie Schnürsenkel, Herr Direktor! Der Vater is arbeitslos . . . .“ Eine Knirpsstimme vom Boden her — weinerlich-weh, Menschenströme darüber hin — Schwarz — flutend — hastig . . . Männer mit Stosskarren . . . Mähren vor Mörtelwagen . . . Rammschläge vom Neubau . . . heisere Rufe . . . die Arbeit . . . die Not . . . Menschen . . . Menschen zu Millionen . . . Millionen in Berlin . . . durch das Rennen und Rasseln und Wimmeln ein heller Ruf: „Röschen! Röschen! Die kleenen Sommerboten!“
Alfred Giebisch kaufte der jungen Frau ein Sträusschen ab und steckte es Änne behutsam in die Hohlhand.
„Da hast du unsere Sommerboten! Für übermorgen! Mehr sag’ ich nicht!“
„Willst du wirklich . . . ?“ Ännes blaue Augen waren nass. Sie fing an zu lächeln.
„Erste Mal, dass du Nerven hast, Annemie! Macht aber nichts!“
„Ach — Nerven!“ Änne Bender steckte sich den kleinen bunten Hochzeitsbusch an und senkte leise, liebevoll ihre Stupsnase hinein. Ihr schmales Gesicht belebte sich in blutwarmem Schein.
„Halt du dich nur an mich, du Schaf . .“
„Nur dir nie zur Last fallen! Nie! Nie! . . . Ich hab’ meinen Stolz!“
„Nu lass ’mal! Also ich hab’ mir das so gedacht: Nach der Trauung Fütterung der Raubtiere — ich meine der Trauzeugen — irgendwo! Verwöhnt sind sie gottlob ja nicht. Unser Verhältnisrad . . . “
„Eherad!“
„Eherad vorher zu deiner Schneiderin! — Ist das hier ihr Haus? Schön! Dort ziehen wir uns um und sausen hinaun nach dem Müggelsee . . . “
„Ach — herrlich!“
„Nun muss ich nur gleich schauen, dass ich meine Herren Brüder zum Sonnabend dingfest mach’!“
„Also es bleibt dabei?“
„Es bleibt dabei — heut’ und in Ewigkeit! Hergott Donnerwetter! Für wen hältst du mich denn?“
„Für den besteb Menschen auf der Welt!“
„Unterschätz’ dich nur nicht! Wer dich kriegt, kann lachen. Der hält, was er hat! Aber feste! Herrgott — da kommt meine Elektrische! Adieu! Adieu!“
11
Am Eingang der mächtigen Mietskaserne im Berliner Norden, auf die Alfred Giebisch zuschritt, hinge in verstaubter Glaskasten: ‚Friedrich Giebisch, Photograph’, voll verblasster Lichtbilder von Brautpaaren, Kindern, Konfirmanden, Weiblichkeit in Sonntagsstaat. Ein paar puppig lächelnde, wächserne Damenköpfe im Schaufenster daneben. Goldbuchstaben auf der Glasscheibe: ‚Eugen Höltl, Damenfriseur. English spolen.’
Herr Höltl lehnte weltmännisch, in blendend weisser Jacke, die Brennschere zwischen Ohr und Krauskopf, in der Tür seinen Geschäfts und plauderte vertraulich mit einer eleganten, schmalschulterigen und schmalhüftigen Damenerscheinung in sommerlich-duftigem, modischem Weiss. Das Berlinische, intelligente, beweglich-hübsche, schwach gepuderte Gesicht der Dame zeihte lachend unter dem weissen Spitzenschirm die weissen Zähne. Alfred Giebisch ergriff ihre sorgfältig gepflegte, schmale, langfingerige Hand.
„Na, Linda“, sprach er wohlwollend zu der freien Frau seinen Bruder, „du wirst jeden Tag noch schöner! Wie machste denn das?“
„Darf ich vorstellen?“ Linda, die sich eben noch vor Vergnügen quietschend mit der flachen Hand auf den Schenkel gepatscht hatte, zeigte die weltläufige Würde einer Empfangsdame. „Herr Höltl . . . Mein Schwager!“
„Eine fabelhafte Linie!“ Der Friseur Höltl drückte dem Anderen verbindlich die Hand, das Auge noch auf Linda. „Diese natürlich Büste — diese langen, schnurgeraden Beine. Ich bin doch Fachmann, Herr . . . Wenn man wie ich jahrelang auf Lloyd-Linien das international Publikum bedient hat . . . Und so ’was ist nicht beim Film!“
„Nee! So wat is nich beim Film!“ sagte Linda hell in unbekümmerter Sprache der Spree. Ihre scharfen braunen Augen kokettierten aus der feinen weissen Puderschicht des Gesichts unter den sorgsältigen Bubiwellen aus dem Topfhütchen. „Aber schick — was?“ Sie drehte sich, mit ausgebreiteten dünnen Armen, wohlgefällig und leichtfüssig, in langen, schmalen Schuhen tänzerisch um ihre eigene Achse. „Alfred — merkst du Herrn Höltl nichts an?“
„Oh — ich werde oft auf meine Ähnlichkeit mit Mussolini angeredet!“ versetzte Herr Höltl schnell und geschmeichelt. Linda nickte.
„Er hat so ’was Neckisch-Italienisches — der kleine Mann!“ Sie war, lang und schlank, einen Fingerbreit grösser als er. Ein Blick auf ihre Armbanduhr. „Gott — ich darf machen! Good bye, gentleman!“
Sie stürmte mit langen, energischen Schritten, jetzt weniger Dame als Laufmädel von einst, die Strasse entlang. Herr Höltl sog den schwachen Parfümhauch hinter ihr in die Flügel seiner römischen Nase.
„Das Englisch, das die Frau am Leib hat, das hat sie von mir!“ sprach er stolz. „Einen Bildungstrieb hat sie — einen Fleiss — nicht zu sagen! Möcht’ man nicht glauben, wenn man sie so sieht! Na — Sie wollen wohl zu dem glücklichen Gatten im Olymp hinauf? Mahlzeit, Herr . . . “
Oben im Atelier waren keine Kunden. Friedrich Giebisch, der Volksphotograph, steckte, al ser Schritte hörte, den hageren, gefuchten Charakterkopf au ser Dunkelkammer. Die langen, grauen Strähnen fielen ihm genialisch-wirr bis in die grauen, grossen Augen, zwischen denen die Hakennase kämpferisch vorsprang. Das bittere Lächeln es Menschenfeinds verzog seine bartlosen, herrisch aufgeworfenen Lippen und wurde plötzlich sonnig, als der Name Lindas fiel.
„Du hast sie unten getroffen!“ Er schritt in seiner mageren Länge, einem älteren Provinzschauspieler gleich, durch das Atelier und langte mit pathetischem Armschwung zwei Strohstühle durch die Luft. „Ja. Sie musste fort. Sieh’: Das ist auch mein Werk! Das macht mich stolz und glücklich!“
„.